2. Advent

2. Advent

Jes 63, 15-16(17-19a)19b; 64, 1-3                                             2. Advent – Großgrabe/Oßling, am 10.12.2017

„So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name. Warum lässt du uns Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsere Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, was wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! – und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“

Liebe Gemeinde am 2. Advent! Jeder hat seine eigne Sicht von Gott und der Welt. Jeder eine eigne Geschichte mit Gott und der Welt. Jeder hat seine eigne Vorstellung, was  „an Gott glauben“ in Theorie und Praxis meint. Wir nennen das „unsere Frömmigkeit“. Unser Glaube wohnt darin wie in einem Haus. Unser Glaube ist gern in seinen eignen vier Wänden: Im Wohnzimmer, das ist es so schön gemütlich; im Schlafzimmer, da ruht es sich so schön; und der kleine Garten vor dem Haus, da wird geschafft. Ja, unser Glaube hat seine eigne Welt. Jetzt gerade sitzen wir in unserm Glaubenshäuschen, schauen aus dem Fenster. Bald muss er vorbeikommen, unser heutiger Predigttext. Wir werden ihm zuwinken; erhoffen uns etwas Freude, ein tröstliche Wort. Vielleicht bleibt der Zug – wie manchmal – an unserm Glaubenshäuschen stehen und spricht uns an. Wir freuen uns dann gemeinsam an meinem Garten, an Kraut und Rüben, was eben so wächst und gedeiht. Ahh, da kommt er – und bleibt, wie erwartet stehen. Wir rufen: na, wie geht´s? Aber statt des üblichen Gegenrufes „es geht“, vernehmen wir eine laute, sehr ernste Stimme: „Zieh deine Pantoffeln aus, Mantel und Schuhe an und nimm dein Essen vom Herd. Du musst jetzt mitkommen.“ Aja, ich sehe schon, unser Predigttext ist so eine Art Sonntagsdemo. Ein Protestmarsch mit Plakaten wie „Rüttelt Gott wach“ und „Schluss mit lustig im Himmel“ und „Bleib auf dem Teppich, Gott“. Also, ich finde das ein wenig rabiat. Man sollte es sich mit Gott nicht verderben. Ich frage den ersten: „Warum ruft ihr mich? Ich brauche vor Gott keine Protestdemo. Ich bin im Großen und Ganzem zufrieden.“ Antwortet mir doch dieser freche Kerl: „Zufriedenheit ist die Pille für den Glauben, da bringt er keine Kinder zur Welt. Sehnsucht nach Veränderung gehört zum Glauben wie der Deckel zum Topf.“ Hat man Töne. Ich bin platt. Aber die Frage bohrt: Hat mein Glaube Sehnsucht nach Veränderung? Ich packe den Typen am Arm: „He, was soll sich denn verändern? Wieder kommt so eine patzige Antwort: „Gott heile deine Blindheit.“ „Aber“, widerspreche ich, „ich sehe doch, sehe dich, mein Haus, meinen Garten …“ Er erwidert: „Quatsch, glauben heißt, hinter den Horizont blicken. Dazu muss der Glaube aus sich herauskommen, in die Weite, zum Horizont laufen. Also, komm mit!“ Da hab´ ich dann doch noch ´ne Frage: „Was wollt ihr denn mit eurer Demo bei Gott?“ Nun hört euch doch bloß diese respektlose, freche Antwort an. Sagt der doch: „Wir wollen Gott sagen, dass er nicht nur in den Himmel starren soll. Einen Hans-guck-in-die-Luft-Gott brauchen wir nicht. Er soll von seiner Couch aufstehen und uns helfen. Er soll Buße tun!“ Also das … „Wie bitte? Gott soll Buße tun? Das ist doch die Höhe! Ihr fordert Gott zur Umkehr auf? Da nickt dieser Typ und sagt: „Umkehr ist nicht nur was für Menschen, sondern auch für Gott. Hier ist unsere 1. Petition, lies!“ Ich lese: „Gott, schau vom Himmel, sieh herab. Wo ist denn laut deiner Zusagen dein leidenschaftliches Eintreten für uns? Deine verheißne, große Barmherzigkeit spüren wir an kalten Gefängnismauern und Peitschen auf dem Rücken. Du bist hart. Tu Buße, kehr um.“ Das wollt ihr Gott unter die Nase reiben? In dem Ton? Da werdet ihr nichts erreichen, sondern alles verlieren.“ Er schaut auf. „Verlieren?“, fragt er, „ich habe vor meinem Gott nichts zu verlieren. Du etwa?“ Während ich mit ihm diese Worte wechsle, bin ich schon mitten im Zug. Die Frage brennt: Was habe ich zu verlieren, wenn ich zu Gott gehe? Habe ich Angst, dass Gott mir Leid und Entbehrungen zumutet wie meinem Gesprächspartner, dessen Namen ich nicht einmal kenne? Ich zupfe ihn am Ärmel: „Wie heißt du?“ „Jacob. Ich heiße Jacob.“ Ihm sieht man irgendwie an – er hat alles verloren. Sein Glaube kennt kein Wohnzimmer. Die Spuren in seinem Gesicht sagen mehr als Worte. Ich wundere mich, warum er noch an Gott festhält und frage: „Nach all dem – warum glaubst du noch? Was hast du von deinem Glauben?“ Da schaut er mich befremdet an: „Was soll diese blöde Frage? Hast du immer noch nicht verstanden? Lies!“ Und er reicht mit Blatt II der Petition an Gott. Ich lese: „Du bist doch unser Vater, ja, du Herr bist unser Vater – „Unser Erlöser“ – das ist von alters her dein Name.“ „Verstehst du?“, presst Jacob heraus, „die Familie gehört doch zusammen. Niemals verstößt ein Sohn den Vater für immer. Ich gehör zu ihm. Und – jetzt dreh den Satz mal um: Niemals verstößt ein Vater den Sohn für immer.“ Jetzt sehe ich etwas von der Kraft, die den Glauben des Jacob in Bewegung bringt. Er weiß sich so unauflöslich mit Gott verbunden, wie ein Sohn mit dem Vater. Lachend sagt Jacob: „Mein Vater nimmt mir den dreisten Ton nicht übel. Wenn man die Nase voll hat, muss man schnäuzen. Besser ein Gewitter als dumpfes Schweigen. Der Vater ist der Einzige, wo ich so rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist.“ Der Mann wird mir sympathisch. Man weiß bei ihm, woran man ist. Sicher liegt es daran, weil er weiß, woran er mit seinem Gott ist. Die Sonntagsdemo geht also zu Jacobs Vater. Ich schaue in sein leidgeprüftes Gesicht. Ich muss ihn fragen: Sag Jacob, wenn einem Volk oder einem Menschen viel Schweres geschieht, das ist doch kein Zufall. Wenn Haus und Heimat, Glaubenshaus und –heimat verloren gehen, in Trümmern liegen, das ist doch Gottes Strafe für Sünde und Abfall?“ Er blickt mich merkwürdig an. In seinen Augen tanzt eine Mischung aus Spott und Hohn, als er sagt: „Gottes Strafe für Sünde, meinst du? Du wirst recht haben, Strafe ist nie unverdient. Aber es ist dumm darüber nachzudenken, was Strafe ist und was nicht. Wenn ich sündige, vom rechten Weg abkomme, dann bin ich nicht allein dran schuld.“ „Willst du etwa“, frage ich, „Gott für deine Sünde mit verantwortlich machen?“ „Ja“, sagt er schlicht. „Wenn ein Kind den Abhang runter kullert und sich den Kopf blutig schlägt, kann ich doch nicht sagen: Geschieht dir recht, du  dumme Göre. Nein, ich helfe dem Kind und verwarne den Vater: Pass du mir bloß auf dein Kind besser auf! – Gott hat uns die Suppe mit eingebrockt, er muss sie auch mit auslöffeln. Vater ist Vater. Punkt. Das ist unsere dritte Petition, lies!“ Ich lese: „Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr um Gott, Vater.“ In diesem Moment sieht mein Glaube etwas. Das liegt an Jacob. Ich kann für einen Augenblick hinter den Horizont sehen, Wahrheit erblicken, höre lichte Worte in meinem Herzen singen: Immer und überall ist Gott dein dich liebender Vater: Sieh ihn so! Ruf ihn so! Begegne ihm so! – Wenn Gott mein Vater ist, dann ist alles gut. – Dieser Blick hinter den Horizont füllt mein Herz mit Frieden und ich frage Jacob: Sag, wann weiß man, dass man hinter den Horizont geschaut hat?“ „Ganz einfach“, lächelt er, „wenn ein lichtvoller Friede zwischen Gott und dir dein Herz erfüllt.“ „Ist das dann Zufriedenheit?“ „Nein“, meint er, „an Zufriedenheit arbeiten und basteln wir selber. Den Frieden, den bekommst du geschenkt – vom Vater!“ Jetzt bin ich sehr froh, dass ich Jacob kenne. Bin dankbar, dass er mir so bestimmt und ernst zugerufen hat: Du musst jetzt mitkommen. Hinter dem, was er sagt, steht er mit seinem Herz. Ich spüre den unbändigen Drang weiter zu fragen, weil ich mir einer ehrlichen Antwort gewiss bin: „Sag Jacob, wenn du mit deinen Petitionen Gottes Eingreifen forderst, was soll er denn, deiner Meinung nach tun?“ „Zwei Antworten“, sagt er, „gebe ich dir. Was Gott tun soll? Zuerst, was ich mir als schwacher, gebeutelter, nach Rache und Gerechtigkeit dürstender Mensch in meinem armen Herzen wünsche: Die Faust! Wie Heuschrecken müssten die Unterdrücker, ja alle Völker niederfallen und die Macht Gottes zitternd anerkennen, hier!“ Er reicht mir Blatt IV der Petition. „Das habe ich ihm ehrlicherweise auch geschrieben:“ Ach, dass du die Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir erzittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen!“ „Ja“, nicke ich, „das wünscht sich mein kleiner Wohnzimmerglaube auch, dass Gott ganz groß auftrumpft.“ Jacob schließt die Augen und sagt: „Ja. Aber das erwarten wir nicht. Wir glauben nicht an einen Terminator der Endzeit – solche gibt´s leider viele.“ Er öffnet die Augen, sie schimmern in einem seltsamen Glanz: „Wir haben einen Gott, der ist unser Vater, wer hat das je gesehen und gehört. Und wer von seinen Kindern zu ihm geht, der bekommt nichts außer Wohltat und Barmherzigkeit. Denn eines kann unser Vater nicht: Die enttäuschen, die ihn suchen. Hier, der letzte Punkt der Petition.“ Ich lese: „Kein Ohr hat je gehört, kein Auge je gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“  – „Und das, das war schon immer so!“ Amen.