Am Brunnen vor dem Tore (Oßling)

Am Brunnen vor dem Tore (Oßling)

Joh. 4, 5 – 14                                                                   3. Sonntag nach Epiphanias – Oßling, am 27.01.2019 

„Jesus kam in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Joseph gab. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder, es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihmdie Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“    

 Liebe Gemeinde! >Am Brunnen vor dem Tore<Am Brunnen vor dem Tore – kommt eine Frau mit sich ins Reine. Es sind besondere, meist unvergessliche Tage, wenn einer mit sich ins Reine kommt. Wir sind noch Zaungäste, beobachten. Wir sehen, sie verlässt die Stadt und kommt den steinigen Pfad zum Brunnen entlang. Auf dem Kopf balanciert sie einen Wasserkrug. Schöpfen, Wasser schöpfen will sie. Am Brunnenrand sitzt ein fremder jüdischer Mann. Sie kann nicht glauben, was sie ihn sagen hört: „Gib mir zu trinken!“ Will dieser Mann anbändeln oder wirklich nur Wasser, oder beides: Kontakt und Wasser? Sie weist ihn, der im Schatten sitzt, ab: Du, ein Mann, dazu ein Jude, gar ein Rabbi, erbittet von mir, einer Frau, dazu eine Samaritanerin, eine Labsal? Zwischen uns stehen jahrhundertealte Tabus: Ein Mann spricht in der Öffentlichkeit keine Frau an. Auch sind seit –zig Generationen die Juden mit uns verfeindet, Erbfeindschaft. Von Kindesbeinen an lernen wir: es ist uns untersagt, uns gegenseitig als gleichberechtigte Menschen anzuerkennen. Zwischen uns liegen Welten, Abgründe. >Am Brunnen der Verständigung <  Hier machen wir eine erste Pause, lassen die Frau reden und schauen auf unsere Welt. Auch zwischen den Menschen heute liegen Welten, Abgründe, Tabus. Da es in unserm Predigttext um Erschöpftsein, Hunger und Durst geht, liegt ein Gedanke, besser ein Traum direkt vor uns: Der Traum von einer besseren Welt: Könnten wir Menschen und Völker uns auf der Ebene von Hunger, Durst und Erschöpftsein einfühlen, hineinfühlen in die Not eines andern Menschen oder Volkes, dann gäbe es keine Grenzen mehr; keine Zäune zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“, Deutschen und Russen und Sudanesen, Katholiken und Protestanten, Israelis und Palästinensern, Orient und Okzident. Alles erwiese sich als Spuk. Die Realität ist: wir sind Menschen mit Grundbedürfnissen. Diese haben wir alle gemeinsam. Das zu entdecken, bringt uns auf Augenhöhe miteinander. Dann sehen wir mit dem Herzen –  keiner steht über oder unter dem anderen. >Am Brunnen der Missverständnisse < Schauen wir wieder auf Jesus und die Wasserschöpferin. Es scheint, als wäre ihr Gang zum Brunnen ein Spiegelbild ihres Lebens. Sie will schöpfen, ist selbst erschöpft. Mit dem anderen Geschlecht hatte sie keine Glück. Ihr jetziger Lebensgefährte ist ihr sechster Versuch. Ihre wilde Ehe wird verachtet. Ächtung macht einsam. Sie fühlt sich abgeschoben, abgeschrieben, einfach nur erschöpft, eben lebensmüde. Sie ist sich selbst eine Last. Ihre Familie, die Nachbarn lassen sie spüren, dass sie für alle eine Last ist; Verächtlichkeit, Zeigefinger, getuschelte Worte – so wird das gemacht. Um niemanden zu treffen, war sie in der Mittagshitze zum Brunnen gegangen. Nun das. Auf ihre Abweisung reagiert dieser Mann verwirrend freundlich, ja rätselhaft. Er sagt, eigentlich müsse sie ihn um Wasser bitten, er gäbe ihr dann lebendiges Wasser. Sie horcht auf. Das kennt sie aus den heiligen Schriften, diesen Vergleich: Gott ist wie lebendiges Wasser. (Jer. 2, 13; 17, 13; Jes. 55, 1). Eine Botschaft von Gott könnte sie gebrauchen. „Herr“, sagt sie nun, und es klingt ehrfürchtig. Aber sie versteht sein Rätsel vom Wasser, das lebendig sein soll, nicht. Sie muss nachhaken: „Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen kannst, und der Brunnen ist tief. Woher hast du dann lebendiges Wasser?“  Bei dieser Frage hat sie den Brunnen vor sich im Kopf, und das Wasser, was sie täglich holen muss. Der Mann vor ihr redet von lebendigem Wasser und hat kein Schöpfgerät. Mit den Händen kann er das Wasser nicht heraufholen, denkt sie, der Brunnen ist tief! Das verstehe, wer will. >Am Brunnen der Tradition < Vor sich den vertrauten Brunnen, sieht sie ihn plötzlich ganz anders als sonst, denkt an die Geschichte dieser alten Wasserstelle. Sie reicht zurück bis zum Urvater Jacob – ein heiliger Brunnen. Er und seine Familie und alle aus dieser Gegend, durch viele Jahrhunderte bis heute haben daraus getrunken. Nie ist die Quelle versiegt. Immer hat sie Wasser zum Leben geschenkt. Umsonst, kostenlos, bis heute. So wurde der Brunnen der Mütter und Väter zu einem heiligen Ort, einem Lebensspender. Wo Wasser, da Leben. Und nun dieser Fremde – reicht das Wasser nicht mehr?, geht es ihr durch den Kopf. Muss es neues, lebendiges Wasser geben? Was meint er nur? Übt er gar Kritik an dem Glauben unsrer Väter und Mütter? Sie ist fasziniert und gebannt von seinen Worten. Er redet von neuem Wasser. Hält er ihr Wasser, ihre Religion für untauglich? Sie muss nachfragen. Er soll deutlicher sagen, was er mit „lebendigem Wasser“ meint. So fragt sie nach Wasser, und erfragt damit was Sinn, Wert und Ziel ihres Lebens sei: „Woher(Fremder) hast du lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jacob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh.“

>Am Brunnen unserer Hoffnung<Wir machen eine zweite kleine Pause, schauen auf uns heute. Erkennen wir uns selbst ein Stück wieder in dieser erschöpften Frau, die sich aufgemacht hat um zu schöpfen? Wie auch immer, jeder unter uns hat sich zumindest aufgemacht, warum auch immer, und sitzt nun hier, am Brunnen der Tradition. Die Kirche ist für uns, was für die Frau der uralte Jacobsbrunnen war: alt, nie versiegt, unsre Väter und Vorväter haben daraus geschöpft. Mit dem Schöpfeimer „Wort Gottes“ haben sie Glaube, Liebe und Hoffnung aus der Tiefe für ihren Alltag gezogen. Wie Jesus damals am Brunnenrand saß, ist er auch heute mitten unter uns. Wie es der Frau rätselhaft war, dass ein jüdischer Mann sie um Wasser bat, ist es auch in dieser Stunde ein großes Geheimnis, dass Christus, der Herr, durch den alles ist, was ist – uns bittet: Gib mir zu trinken, mich dürstet nach dir und deiner Liebe. Und wir sind ein wenig verwirrt, genau wie die Frau, über die Rede, dass das Wasser des Brunnens nicht ausreichend ist. Ist Jesu Rede eine Kritik am Lebensquell unserer Väter, an Kirche, Überlieferung und Glaube? >Am Brunnen des lebendigen Wassers < Die Frau damals wollte das genau wissen. Sie fragt Jesus, ob er mehr sei als der Urvater Jacob, mehr geben könne als dieser alte, heilige Brunnen. Schauen wir also wieder auf die beiden und hören Jesu Antwort. Die Frau wartet darauf. Jesus beugt sich über den Brunnenrand. Seine Rechte weist in die Dunkelheit hinab. Da unten ahnt man den Wasserspiegel und das Echo aus der Tiefe wirft seine Worte zurück, herauf ins Licht: „Wer von diesem Wasser trinken wird, den wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten.“>Am Brunnen der Liebe < Sie begreift das nicht mit dem Kopf, aber im Herzen. Sie versteht, sie fühlt: er redet von mir, meinem Leben. Er hat recht. Hätte ich Wasser in Hülle und Fülle, wäre mein Durst dann etwa gestillt? Mein Durst nach Liebe, nach einem Menschen, der mich, nur mich meint, wenn er meinen Namen ruft. Eine Person, die mich liebt, das ist es – ein Mensch, der mich liebt: das ist mein wahrer Lebensdurst. Ja, Liebe ist keine Sache, kein Gedanke, sondern eine Person. Liebe gibt’s nur in Person. Ihr geht auf, dass dieses lebendige Wasser Liebe ist, Liebe von Gott. Sie liest das nicht in alten Schriften, sondern vor ihr sitzt ein Mensch, der die Liebe Gottes in sich hat und sie ausstrahlt. Voller Staunen und Freude vernimmt sie seine Worte, sie lauscht auf das Echo im Brunnen und das Echo ihres ausgetrockneten Herzens. Sie hört, dass sie geliebt ist, ja, Liebe bekommt und selber lieben wird. Als der Fremde das ruft, klingt es so, als würde er zu allen Menschen, zu den Lebenden und Toten, den Gegenwärtigen und Kommenden reden: „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird ihm eine Quelle des Wassers werden, das ins ewige Leben quillt.“ Liebe ist das einzige, was in das ewige Leben hineinquillt. Liebe Gottes annehmen, Liebe werden. Das ist es: Allein Liebe bringt Heilung. Liebe allein, die Liebe in Person, ist die Rettung. Jesus. – Jetzt sehen wir die Frau laufen, als hätte die Liebe ihr Flügel verliehen. Wir sehen sie den Graben der Verächtlichkeit überfliegen und die Mauern der Ablehnung durchschreiten und hören ihre fröhliche Stimme inmitten ihrer Familie, den Nachbarn und den Leuten auf dem Markt: Mir ist der Retter begegnet! – Am Brunnen vor dem Tore kam diese Frau mit sich ins Reine. Denn ihr begegnete Jesus, Gottes Liebe in Person. – Mit sich und Gott ins Reine kommen. Jesus begegnen. Amen.