Augen – blick mal!

Augen – blick mal!

Apg 3, 1-10                                                   12. Sonntag nach Trinitatis – Oßling/Großgrabe, am 19.08.2018

 

„Petrus und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesus Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.“

 

Augenblick mal! – Liebe Gemeinde! Der Augen-blick hat etwas Besonderes: „Sieh uns an!“Diese drei Worte des Petrus springen einem in die Augen beim Lesen. „Sieh uns an!“Ein Ruf zum Aufschauen. An einen Mann ohne Gesicht, denn sein Kopf war gebeugt. Von ihm nimmt man nur die bittende Rechte wahr. Ein Bettler. Ein Mann ohne Ansehen. Das ist das Berührende am Blickkontakt: Im Ansehen gebe ich ihm ein Stück Ansehen. „Sieh uns an!“ Du bist für uns mehr als eine ausgestreckte Hand. Wir wollen dir von Angesicht zu Angesicht begegnen: Der Bettler hebt den Kopf, bekommt ein Gesicht. Diese Sehnsucht ruht in unseren Herzen – keine Nummer, sondern unverwechselbar sein. Ansehen, ein Gesicht haben. „Sieh uns an!“ Wer so eine Bitte ausspricht, kennt auch seine eigne Würde. Petrus weiß sich in Jesus selbst liebevoll von Gott angeblickt. Er hat in Jesus „Ansehen“ bei Gott. Petrus sieht den Bettler mit den Augen Jesu. Es ist kein sentimentales Mitleid, sondern Erbarmen, Anteilnahme. Welches Schicksal verbirgt sich hinter diesem Satz über den Vierzigjährigen: „ … lahm von Mutterleibe an.“ Er muss wohl in den vierzig Jahren gelernt haben, dass es auch einen Kranksheitsgewinn gibt, sprich: Aufmerksamkeit, Zuwendung, Beachtung, Almosen an Zeit und Geld. Nehmen wir an, der Bettler an der Kirchentür hat kühl kalkuliert. Er rechnet damit, dass hier viele gutherzige Menschen vorbeikommen, die daran glauben: Geben ist seliger als nehmen. Er sammelt für einen guten Zweck: für sich selber. So sitzt er vor dem Tempel. Ein Gebäude, das an Gottes Nähe erinnert, macht es schwerer, sich vor einem Almosen zu drücken. Schuldgefühle lauern an der Kirchentür: Fromm sein wollen und keine müde Mark für einen notleidenden Bettler haben, also. Es wirkt auch unanständig. So stellt er seine lahmen Beine zur Schau und drängt anderen seine Intimsphäre auf. Vielleicht war er auch der einzige Verdiener seiner Sippe. Es ist auch möglich, dass er Freunde hatte, die ihn täglich aus seiner Matratzengruft holten und ihn einen Platz im Leben verschafften. Es kann so viel hinter diesen Worten stehen: „Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe, den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt „Die Schöne“, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.“ Jetzt begegnen sich die Männer. Der eine bettelt, der andere betet, d.h. Petrus und Johannes wollen beten. Hier blicken wir auf eine schlichte, bedeutsame Wahrheit. Sie ist leicht zu begreifen, aber schwer zu tun: Gott will Männer, die beten: „Petrus und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.“ Gott will Männer, die beten. Regelmäßig und zusammen. Auch dieser Satz ist nicht zum Nachlesen, sondern zum Nachtun. Männer beten. Der Beter übt sich im Aushalten von Schmerzen und Spannungen. Die Spannung in dieser Situation heißt: Der allmächtige Schöpfer und das gebrochene Geschöpf. Der Lahme darf ja nicht einmal in den Tempel zum Gottesdienst – kultische, religiöse Vorschrift. Hier hören wir: Gott erhebt Einspruch gegen das Unheil, erhebt Widerspruch gegen das Elend der Welt. Die Jünger Jesu sind sein Mund, geben Zeugnis von Jesus. Genau – wirksames Zeugnis und feste Gebetszeit stehen im Zusammenhang. Und nun gehen die beiden auf eine ausgestreckte Hand und einen Haarschopf zu. Einen Mann ohne Gesicht, der immer dasselbe murmelt: Erbarmen, eine milde Gabe. Statt vorübereilender Sandalen und Geklimper begegnen ihm jetzt zwei Menschen: „Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.“ Was erwarten wir, wenn wir bitten? Zwischen Menschen gibt es angemessene und unangemessene Bitten: Ein Brot, bitte, sage ich im Bäckerladen. Leistung, Gegenleistung. Gut bezahlte Arbeit, bitte, rufen nicht wenige auf dieser Welt. Eine angemessene Bitte. Oft aus Bettlerperspektive, oft nicht erfüllbar. Gesundheit bitte, sagt der verunglückte Sportler zum Arzt. Manches können wir geben, vieles nicht. Besser gesagt, das wichtigste nicht. wir können weder Gesundheit noch ewiges Leben geben; haben auf die wichtigsten Fragen keine Antwort und stehen hilflos vor bedrängenden Problemen. – Der Bettler bittet aus seiner Bettlerperspektive. Ein Almosen ist angemessen. Mehr kann man nicht erwarten. er weiß nicht, dass ihm nach Gottes Willen, seinem Schöpfungsplan, mehr zusteht. Was wissen wir von den Zusagen Gottes, von dem, was er uns geben will? Wenn wir bitten, wie und um was bitten wir – um Almosen? Bitten wir unsern Herrn um Almosen? ein bisschen Frieden, ein wenig Liebe, eine kleine Gnadengabe? Ohne, dass wir´s wahrnehmen, vollzieht sich unser Beten oft aus der Bettlerperspektive. Und da ist auch was dran. Petrus bekennt zuerst, dass er nichts hat: „Silber und Gold habe ich nicht.“ Nach menschlichen Maßstäben ist Petrus bettelarm: „Silber und Gold habe ich nicht.“ Mit der Benennung des höchsten Geldwertes „Gold“, deutet Petrus an, welchen Rang in seiner Werteskala der zusammengekrümmte Mensch vor ihm hat. Nicht ein paar Groschen, nein, Gold müsste her, damit dieser nicht mehr betteln bräuchte und ein unabhängiges Leben führen könnte, frei vom Mitleid der Gesunden. Petrus hat im Namen Jesu den Mut, die Erwartungen des Bettlers zu enttäuschen. Hätte er Almosen gegeben, alles wäre beim Alten geblieben. Erwartungen, die Menschen daran hindern, ihr eignes, aufrechtes Leben zu finden, müssen im Namen Jesu zurückgewiesen werden: „Silber und Gold habe ich nicht; aber was ich habe, gebe ich dir: Im Namen Jesus Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.“Ein seelsorgerlicher Griff: Menschen im Namen Jesu die Hand reichen und ihnen beim Aufstehen helfen. Jetzt fährt dem Gelähmten der Name „Jesus“ durch Mark und Bein. Er steht. Er geht: „Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“ Bei dieser Heilung begegnen wir dem Auferstandenen auf frischer Tat. „Was ich habe“,hatte Petrus gesagt,„gebe ich dir.“Er hat Jesus im Herzen und an seiner Seite. In Christus leben, Christus weitergeben, heißt das doch. In Jesu Namen wird Unheil in Segen, Unwert in Wert verwandelt: Schuld in Gnade. Dunkelheit in Licht. Krankheit in Heilung. Hölle in Himmel. Jesus schenkt diesem Mann Heilung und Heil. Aus dem Bettler wird ein Beter: „… und er lief und sprang umher und lobte Gott.“ Wo Menschen zum Gotteslob finden, ist ihnen Heil widerfahren. – Das Geheimnis dieser Hoffnungsgeschichte ist ein offenes. Uns wird gezeigt, wer wir vor Gott und durch Gott sind. Die letzten zu Papier gebrachten Worte Martin Luthers lauten: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Vor Gott sind wir, wie Petrus, Bettler. Wir können nicht heilen. Wir sind angewiesen auf Jesus. Der Gelähmte, Petrus, wir brauchen, einer wie der andere, die Gnade. Bettler vor Gott – das ist nur die halbe Wahrheit. Wie Petrus haben wir denselben Herrn. Wir sind gesandt, hinein in unsere Generation. Gesandte, Apostel sind wir. Wir sind Bettler, das ist wahr. Wir sind Apostel, das ist wahr. Mit dieser Botschaft tritt diese Hoffnungs-geschichte an uns heran und spricht in unser Leben: „Steh auf im Namen Jesu, steh auf deinen eignen Füßen, geh, lobe deinen Gott. Geh deinen Weg als Gesandter, rede und handle im Namen Jesu. – Du darfst gewiss sein: mit dieser Geschichte will Gott dir Beine machen. Amen.