Befähige uns zu sammeln!

Befähige uns zu sammeln!

Lk 11, 14-23  Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres – Großgrabe/Oßling, am 12.11.2017 

„Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebub, ihren Obersten. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andere. Ist aber der Satan auch mit selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebub. Wenn ich aber die bösen Geister durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“

Albträume – Erfahrung von Stummsein
Liebe Gemeinde! Es passiert selten, aber es passiert. Da wache ich auf und der Schreck sitzt mir in den Gliedern. Dieser Traum: da kommt es, dieses Stumme, Drohende. Ich will aufstehen, wegrennen, aber kann nicht. Will schreien, aber kein Laut springt über meine Zunge. Es passiert, da kehrt der Traum wieder – am helllichten Tag: Wir saßen beim Frühstück, ich war 20, die Arbeitskollegen in der Kantine. Einer wirft locker ein paar Worte hin. Es wird oft über denselben gelästert. Ich weiß, jetzt muss ich aufspringen, Einhalt gebieten. Denn: noch zwei Worte mehr, und das Bild dieses Menschen, über den geredet wird, ist bleibend beschädigt, seine Würde verletzt. Doch stumm klebe ich an meinem Stuhl, den Armen, Beinen fehlt jede Kraft, die Lippen bleiben verschlossen. – Das ist mein erster Versuch, mich unserm Predigtwort zu nähern: Eigne Erfahrung von Stummsein. Hier wird berichtet: ein Gebundener wird frei, ein Stummer redet: „Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme.“ Niemand, weder Jesus noch seine Gegner noch seine Zuschauer sehen das als Heilung, sondern als Befreiung. Alle sind sich einig: das war ein böser Geist. Woher hatten sie dieses Wissen? Bei uns ist das anders. Da ist vieles so unklar. Der Psychologe stellt fest: er hat eine Neurose. Was ist das?, fragt der Mann auf der Straße und sagt es mit seinen Worten: er hat´s mit den Nerven. Aber was ist das: es mit den Nerven haben? Ist man da verrückt, zeitweise irre? Andere sagen: das macht der Teufel, ihn muss man vertreiben. Andere halten dagegen: rede dem Kranken nicht dem Teufel ein, wir sind nicht im Mittelalter. Wo sind, wo leben wir dann?

Unsere verwirrte Welt
In einer wissenschaftlich, aufgeklärten Welt leben wir, die sich allerdings sehr mystisch gebärdet. Komisch sieht meine „aufgeklärte“ Welt aus, ein bisschen wie Mittelalter im modernen Outfit. Zu dieser Welt gehört der Transrapid, Aliens, GPS, Whatsapp, wiedererweckte Urzeitmonster genauso selbstverständlich wie Dämonen, Zombies, Voodoo-Priester, Schwarze Löcher, Urknall und Handys. Die naturwissenschaftlichen Welterklärungsversuche haben alles in sich aufgesaugt: Engel, Teufel, Zombies, Zauber, Dämonen, Magie, Kampf zwischen Licht und Finsternis. Und wir erleben in massiver Weise, wie die Moderne diese Sammlung mythologischer Versatzstücke wieder ausspuckt in Form von Bildern, Büchern und Filmen. – Wir leben in einer medial vermittelten Welt. D.h., die Welt kommt zum Menschen über Computer und Internet, Kino und Fernsehen. Alles, aber auch alles wird als Realität gezeigt und angeboten: vom Familienleben über Unglücksfälle und Schönheitsoperationen bis hin zur Weltraumerkundung. Wir sehen den Krieg der Sterne und Umweltkatastrophen, Dämonenjäger und Satansbesieger, Gotteskrieger und die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Ratgeber und Hilfesucher treffen sich. Heidi und Harry, Game of Thrones, Starwars und Ringgeister füllen die Kinokassen. Tja, was ist davon nun Realität und Fiktion? Was Märchen, was Wahrheit? Alles verschwimmt. Wenn ich heute von Dämonenaustreibung spreche, wird vielleicht Einer zuhause erzählen: Der Pfarrer hat heute eine Story aus der Fernsehserie „Ghostbuster“ (Geisterjäger) erzählt. So verwirrend ist das. – Für mich waren diese Gedanken zwei Schritte zu unserem Predigtwort. Der erste: Erfahrung von Stummsein. Der Zweite: der Blick auf unsere verwirrte moderne Welt im mystischen Gewand. Jetzt zu unserem Predigtwort.

Kleiner Sieg – großer Krieg
Lukas beschreibt eindeutig einen Kriegszustand. Die beiden Gegner sind benannt: Reich Gottes und Satans Reich. Dieser Kampf wird hier auf zwei Ebenen ausgefochten: 1. Jesu Kampf mit dem stummen Dämon und 2. Jesu Kampf mit höchst bereden Gegnern. Es geht um alles oder nichts. Den einen will Jesus zum Reden, die anderen zum Schweigen bringen. Jesu Gegner wollen ihn vernichten: Wenn sie Jesus eines Bündnisses mit dem Teufel bezichtigen, dann ist das kein Diskussionsbeitrag, sondern ein kriegerischer Akt. Jesus soll unglaubwürdig, zum Schweigen gebracht werden. Er soll von der Bildfläche verschwinden. Damit schlagen sie sich auf die feindliche Seite. Die Tat Jesu können sie nicht leugnen. Sie löst das ja aus. Der Stumme kann, darf wieder reden. Mit sich, seinen Mitgeschöpfen, mit Gott. Seine Zunge ist frei. So frei und beweglich, wie sie nach Gottes Willen sein soll. Ein Geschöpf, ein einziges, ist wieder ganz, hat wieder Sprache, wieder Teil am Leben. Ist das nicht Grund zum Jubeln? Zur Freude, zum Danken und Singen? O nein. Da stehen sie und gaffen: „Und die Menge verwunderte sich.“ Das ist ein Wort für abwarten, Skepsis, – der beste Boden für Vorurteile. Feindbilder sind Vorurteile. Einige haben von Jesus ein Feindbild. Er stört Ruhe und Ordnung. Er hinterfragt die bestehenden Machtverhältnisse. Deshalb: er steht mit dem Teufel im Bund. Pflichteifrig sieht man einige nicken: ja, ja, so wird´s sein. Er hat einfach einen Unterteufel mit dem Oberteufel gedroht. Da hat der Unterteufel Fersengeld gegeben. Hätte der nie getan, wenn dieser Jesus nicht einen Geheimbund mit – naja, ihr wisst schon wer hätte. Andere wagen keine so offene Anschuldigung. Sie wollen Zuschauer bleiben. Es sich mit keiner Seite verderben. Und auch noch ein bisschen Spaß und Action haben. Sie sagen: kann vom Teufel sein, dass er so eine Macht hat, kann auch von Gott sein. Wir verteufeln ihn nicht. Aber. Er muss seine Beauftragung von Gott beweisen. Jetzt glitzern die Augen. Deshalb: wir fordern ein Zeichen vom Himmel: Blitze, Donner, Schriftzeichen, Engelserscheinung, Steine fliegen nach oben, Erdbeeren im Winter … So schlagen sie sich auf die Seite derer, die sagen: wir glauben dir nicht, Jesus.

Rollenwechsel
Und wir? Ja, auch wir sind noch weit weg von der Botschaft. Bisher sind wir nur Betrachter der Heiligen Schrift. Wir beobachten Leute, die sich darin zeigen. Soll Gottes Wort mein Herz berühren, dann muss ich in den Bericht eintauchen. Jeder ist heraus-, besser gesagt in diese Geschichte hineingefordert. Also, such dir deine Position! Würdest du Jesu Platz einnehmen wollen? Einer sein, der Kranke heilt, Dämonen austreibt, für Gott grade steht und sich für die Bedrängten beugt? Hat es etwas Anmaßendes, wie Jesus zu reden und zu handeln? Oder ist uns diese Auseinandersetzung zu hart, weil alle gegen ihn stehen? Willst du diese Rolle, müsstest du dein Kreuz auf dich nehmen. – Die wenigsten Schwierigkeiten hätten wir bei den erklärten Gegnern Jesu. Nein, ganz klar, dorthin stellen wir uns nicht. Jesus ist nicht unser Feind. Dann gehen wir zur nächsten Gruppe: die Zuschauer, die Zeichen fordern; die sehen wollen, was sie glauben. Die sagen: Wenn Gott da ist, dann müsste … Auch diese Rolle ist unangenehm. Mein Leben als Christ soll doch keine Zuschauerrolle oder Zeichenforderung sein. Das hat so was Liebloses Jesus gegenüber. Na, dann bleibt noch der Geheilte, der seine Sprache wieder hat. Spiegelt sich an ihm meine Art, als Christ zu leben wider? Schauen wir uns ihn an: In seinem Herzen ist es lichter Tag, Freude. Diese quälende, klebrige Dunkelheit, der Dämon ist weg. Und nun, da er frei geworden ist, trägt er die Last der Freiheit: er kann nicht nur reden, er muss es auch. Nicht länger kann er sich im Schweigen verkriechen, sondern muss Antwort geben. Er weiß: auch darin liegt Gefahr. Die Zunge ist ein kleines Flämmchen und kann doch ganze Städte und Völker in Brand setzen. (Jak 3) So wird uns durch dieses Wort die Frage mitgegeben: Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst. So Jesus, der fordert – bezieht Stellung: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Das klingt, als würden wir zur persönlichen Nabelschau unseres Glaubens, zur Bilanz unserer persönlichen Haltung Jesus ggü. aufgefordert. Mag sein, aber es geht um mehr als ums private Glaubenskämmerlein. In dem Wort Jesu vom Sammeln und Zerstreuen steckt das Wort „Herde“. Das ist die Gemeinde. Wenn Jesus ruft: gebt euch zu erkennen, dann meint er die Gemeinde. Erkennen die Menschen um uns, dass wir Gemeinde Jesu Christi sind? Dann sammeln wir. Sonst nicht! Deshalb muss diese Botschaft ins Gebet führen. Ansonsten ist es an unserm Herzen abgeglitten. Sollte dieses Wort uns nicht zum Danken bringen?  Herr, meine Zunge hast du gelöst – gib, dass ich sie in deinen Dienst stelle. War ich gleichgültiger Zuschauer, hast du mich angesprochen – löse mich aus meiner Behäbigkeit. Wo ich gegen dich stand, hast du mir vergeben – hilf, dass ich dir folge. Befähige mich mit meiner Gemeinde zu einem klaren Bekenntnis. Befähige uns zu sammeln, mit dir. Amen.

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