Buß- und Bettag (Oßling)

Buß- und Bettag (Oßling)

Mt 12, 33-37                                                           Buß- und Bettag – Oßling, am 22.11.2017

 

„Jesus sprach zu den Pharisäern: Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz. Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem unnützen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“

 

Liebe Gemeinde! Buße macht besser. Warum sonst sollte man den Gottesdienst am Buß- und Bettag besuchen als in der Hoffnung, dass sich etwas zum Besseren wenden ließe? Es ist ein Tag der Besinnung. Ein Tag des Nachdenkens darüber, was nicht gut gelaufen ist. Wo habe ich andere verletzt? Wo bin ich meiner Verantwortung nicht gerecht geworden: in Beruf und Familie? Wo geht etwas richtig schief in unserm Gemeinwesen, und wir tun nichts dagegen? Es ist bedeutsam, sich den Fehlern und Versäumnissen zu stellen. Sie bewusst wahrzunehmen, um etwas ändern zu können. Der erste Schritt ist, dass wir Gott ggü. zu dem stehen, was wir angehäuft haben als Schuld. Aus der Erfahrung, Gott dies alles im Gebet anzuvertrauen und Vergebung, Heilung zu erfahren, erwächst Kraft, neu zu beginnen. – Jetzt dringt Jesu Wort ans Ohr und klopft an unser Herz: „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ Das sitzt. Hier heißt es für alle Redner und Prediger tief durchatmen. Rechenschaft werden wir geben müssen. Wirklich, über jedes unnütze Wort! Das sollte vorsichtig machen, behutsam und umsichtig, noch bevor die Worte unseren Mund verlassen. Worte sind ja sozusagen die Früchte, die am Baum hängen. Der Baum sind wir, um im Bilde Jesu zu bleiben. Worte können gut sein oder böse, heilsam oder zerstörerisch. Worte sind eben nicht nur Schall und Rauch. Worte haben Macht. Mit ihnen kann man Menschen helfen. Oder das Zusammenleben von Menschen vergiften. Einmal gesprochen, fliegt das Wort unwiderruflich dahin. Über sich selbst schreibt der Meister der Worte, J.W.v. Goethe: „Am Jüngsten Tag, wenn die Posaunen schallen/ und alles aus ist mit dem Erdenleben/ sind wir verpflichtet Rechenschaft zu geben/ von jedem Wort, das unnütz uns entfallen./ Wie wird’s nun werden mit den Worten allen?/ Darum bedenk, o Lieber, dein Gewissen!/ Bedenk im Ernst, wie lange du gezaudert/ Dass nicht der Welt solch Leiden widerfahre./ Werd ich berechnen und entschuldigen müssen,/ was alles unnütz ich geplaudert,/ so wird der Jüngste Tag zum volle Jahre.“ Ein Jahr Ewigkeit braucht Goethe am Jüngsten Tag zur Rechenschaft für seine unnützen Worte. Und wir? Unsere Generation? Wir erleben eine wahre Wortinflation und Verdrehung von Wahrheit. Die Medien überfluten uns. Was sind gute und was sind unnütze Worte? Da gibt es Menschen, die sich niemals zu einer Tätlichkeit hinreißen lassen würden, aber ihre Zunge ist eine einzige Handgreiflichkeit. Es gibt Wichtigtuer, die schneller reden, als sie denken. Es gibt Plaudertaschen, die über jeden reden, sofern er nicht anwesend ist. Es gibt unsere evangelisch-lutherische Kirche, die sich „Kirche des Wortes“ nennt, die wir aber als „Kirche vieler Wörter“ erleben. Es gibt … es gibt … es gibt uns. Letztlich fragt Jesus mich nach meinen Worten. Hat mein Reden Gewicht oder ist es nur Geschwätz? Um die Wahrheit herauszufinden, brauchen meine Worte ein Gegenüber: mein Reden braucht das Schweigen. Wer mit Worten umgeht, Worten nachlauscht, Worten folgt, sich Worten unterwirft, mit Worten frei gesprochen wird – der spürt, erfährt ihre unsichtbare Kraft. Worte treffen, treffen ein, treffen zu, treffen vorbei, treffen tödlich. Worte helfen, helfen auf, helfen heraus. Meine Verantwortung als Pfarrer, mein Tun ist auf Worte gegründet. Ich „arbeite“ mit dem Wort. Menschen erwarten, zu Recht, von mir das gute, heilsame Wort. Mein Beruf folgt einem Ruf. Mitten in diesen Gedanken höre ich den Ruf Jesu: Finde, finde es heraus, aus den vielen Worten dieses Wort, aus dem du gerechtfertigt wirst! Ja, Jesu Wort schickt mich auf die Suche, wenn er ankündigt: „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“ Was sind die Worte, die mich vor Gottes Gericht entlasten, freisprechen, rechtfertigen? Was sind die Worte, die mich vor Gottes Gericht verdammen, schuldig sprechen, als Zeugen gegen mich aussagen? Ist es mein Reden über andere, was mich vor Gottes Gericht wird erbleichen lassen? Mein – sieh da, und hast du schon gehört, und das gibt’s doch gar nicht. Ich erdreiste mich im Reden über andere, die Stelle des Richters einzunehmen. Ein Sünder darf nicht über Sünder richtende Worte sprechen. Was ist nun das mich rettende oder das mich verdammende Wort? Weil Jesus hier vom Gericht spricht, denke ich an Gottes Gericht über Jesus am Kreuz. Da standen die vielen Zuschauer und gafften, diskutierten und lästerten. Wie wird’s mit ihnen ausgehen im Gericht? Es sieht nicht gut aus für sie. Wir kennen Gottes Urteil über sie nicht, aber wir können nur sagen: Gnade ihnen Gott! Von einem aber wissen wir, dass er in dieser Gerichtsstunde das ihn erlösende Wort sprach: Er richtete es an den Richtigen. Er bekannte sich selbst als Sünder und bat um Vergebung. Aus seinen Worten kam ihm von Jesus der Freispruch: „Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (Lk 23,43) – Suchen wir nach diesem befreienden Wort, diesem Wort, das Leben, Lebensraum und Freiheit schafft, Freude, Lachen, Singen, Menschlichkeit und Glauben bringt – dann müssen wir auf das Kreuz blicken. Dort schauen wir in das Geheimnis von Gottes Wort. Ja, Gott hat uns sein Wort gegeben, nicht seine Wörter. Jesus ist das Wort Gottes. Jesus ist das befreiende Wort. Jesus. – Mein Blick auf das Wort Gottes entlarvt meine Worte. Wer auf das reine, heilige, demütige, liebende und gnädige Wort Gottes am Kreuz schaut, muss erschrecken und wie der Prophet Jesaja rufen: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen.“ (Jes 6,5) Vom Kreuz fällt Gottes Maßstab, sein Licht, auf mein Reden, meine Zunge, meine Lippen. Wer über die Unreinheit seines Redens im Angesicht Jesu noch nie erschrocken ist, der stand bisher nur mit dem Rücken zum Kreuz. Mein Reden muss geheiligt werden durch die Vergebung, getragen von geschenkter Demut. Sonst taugt es vor Gott nicht. Deshalb braucht mein Reden das Schweigen: dass ich schweigend vor dem Kreuz stehe und meine Worte in das Wort Gottes lege. Erst dann kann ich in meine Bestimmung gelangen, ein Freudenbote Gottes zu sein. Einer, von dem es im Propheten Jesaja heißt: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen.“ (Jes 51,7) Gewiss, Gott will durch unser Reden reden. Wir dürfen durch Jesus zu Menschen reifen, von denen es heißt: „Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir (meiner Zunge), weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, den Gefangenen Freiheit zu verkündigen, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn.“ (Jes. 61, 1.2) Dazu gab uns Gott die Zunge: Zu reden als Menschen Gottes. Amen.