Das Hochzeitliche Gewand (Oßling)

Das Hochzeitliche Gewand (Oßling)

Joh 3, 30                                                                           Johannistag – Oßling/Großgrabe, am 24./25.06.2017

 

„Dies ist das Zeugnis Johannes des Täufers: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“

Liebe Gemeinde am Johannistag! Manchen plagt der Gedanke ständig. Mancher seufzt nur ab und an resigniert. Mancher spricht es in sein Spiegelbild mit wilder Entschlossenheit: Ich muss abnehmen. Auch Johannes der Täufer hat sich Gedanken um das Abnehmen gemacht, ist uns doch ein Wort von ihm voller Selbsterkenntnis überliefert: „ … ich muss abnehmen.“ Allerdings – Gedanken an Übergewicht und Diät haben ihn sicher nicht zu diesem Ausspruch bewegt. Er lebte, wird berichtet, in der Wüste von Heuschrecken und Honig. Mit „abnehmen“ meint Johannes seinen Einfluss auf Menschen und Gesellschaft. Der war zeitweise nicht unbedeutend. Tausende pilgerten zu ihm in die Einöde, Fragende aller gesellschaftlichen Schichten. Sie suchten weder bei den politischen Eliten noch in den religiösen Führungsetagen im Tempel Weg und Rat. Ein Eremit im Wüstensand war der Zielpunkt ihrer Frage: Was sollen wir tun? Aus den überlieferten Texten wird deutlich, dass viele im Kopf und Herz erkannten: In unserem Miteinander herrschen sehr starke Gegensätze. Deshalb leidet unsre Gesellschaft unter so großen Spannungen. Der Druck ist so schmerzhaft spürbar, als würde  bald alles zerbrechen und zerspringen. Was tatsächlich einige Jahre darauf geschah, als der Staat Israel in Blut und Krieg unterging, alles Schutt und Asche und in Trümmern war. Ausgleich, sagte ihnen Johannes. Ihr müsst euch in euerm persönlichen Leben engagiert um Ausgleich bemühen: ihr müsst abnehmen, abgeben. Die nichts haben, müssen bekommen. Johannes wies zuerst auf die Grundbedürfnisse: Essen, Trinken, Kleidung, menschenwürdiges Leben für jeden: „Wer zwei Hemden hat, gebe dem, der keines hat, und wer zu essen hat, tue ebenso.“ (LK 3,11) Das verstehen wir. Jeder fühlt, wie aktuell diese Worte sind. Unser kleines Dorf „Welt“ droht unter den unsäglichen Spannungen der sozialen Unterschiede zu zerbrechen. Die Gier einiger bringt alle an den Rand der Katastrophe. Viele fragen: Was sollen wir tun? Wann wird es kippen, umkippen? Die Ozeane, die Luft, der Frieden, das Glück … Weniger, langsamer, bescheidener: ich muss abnehmen, abgeben, loslassen. Es gibt eine große Sehnsucht nach Veränderung. Sehnsucht, herauszufinden aus der schweren Verstrickung. Schuldverstrickung, in der unser Miteinander auf diesem schönen Planeten verklebt ist. Menschen machen sich auf die Suche nach Auswegen, erhoffen sich wegweisende, öffnende Antworten, halten Einkehrtage, laufen Pilgerwege, suchen Stille in all dem Lärm. So wie damals, als die Frage unüberhörbar wurde: Unser Miteinander – wie kann es heil werden? Dabei war der soziale Aspekt, soziale Ausgleich nur eine Seite. Lesen wir die Johannesberichte, fragen ihn die Leute: Wie kann die Beziehung zu Gott heilen? Da war ein Hunger nach Gotteserfahrung. Eine Sehnsucht nach Glauben, der tragfähig ist, Leuchtkraft hat. Kraft zum Loslassen, Abnehmen freisetzt. Sie pilgerten zu dem Mann in der Wüste, um ihr Herz auszuschütten. Offen, ehrlich bekannten sie: da ist nichts zwischen Gott und uns. Funkstille, Beziehungslosigkeit, Glaube und Freude erstarrt zum Ritual. Was sollen wir jetzt tun? Erkennen, sich selber erkennen, die eigne Armut, davon wird hier erzählt, denn Johannes rät: Ihr müsst zunehmen, reich an, in Gott werden. Gott in euren Herzen immer Raum geben. Umkehr. Kehrt um! Legt euer Seinwollen ab, tut euer Habenwollen beiseite. Lasst einzig die Liebe, die Menschen- und Gottesliebe Maßstab und Weg sein. Geht keine anderen Wege mehr. Verweigert euch! Kehrt ihr aber nicht um, wird es bald vorbei sein. Die verbleibende Zeit ist kurz. Wir kennen das drastische Bild aus seiner Wüstenpredigt: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Lk 3,9) Umkehr jetzt. Frieden unverzüglich. Versöhnung heute. Mit sich selbst ins Reine kommen. Den Menschen, die mit mir leben, Lebensraum verschaffen. Mit Gott wachsendes Einverständnis finden. Das klingt in dem Johanneswort von Zuwachs und Abnahme an. Was auch alles darin anklingt. Die Zielrichtung dieses Ausspruches ist Jesus selbst. Im Blick auf Jesus, der noch unbekannt ist, und im Blick auf seinen eignen Einfluss hören wir: „Er (Jesus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Das war die Nagelprobe für Johannes, der Echtheitstest seiner Predigt. Würde er denn selber tun, was er anderen empfiehlt? Würde er selbst einer sein, der Ausgleich schafft, wenn es an der Zeit ist? Loslassen können, was er hat? Äußerlich gesehen hatte Johannes nichts außer seiner Kleidung. Aber er hatte Einfluss, Mächtigkeit, eine Stimme, die gehört wird. Und so besteht er die Probe: Er gibt Jesus Raum, indem er alle falschen Erwartungen abweist und sagt: ich bin nicht der Messias, bin kein Heilsbringer. Der Bräutigam, die Hauptperson ist Jesus. Kommt nicht mehr zu mir, sondern geht zu ihm. Damit Gott den großen Ausgleich zwischen Himmel und Erde in Gang setzen und vollenden kann, muss es so geschehen: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Es klingt wie ein Programm für unser Miteinander in der Gemeinde, worauf wir Wert legen sollten, was Priorität hat, wie wir eine Zukunft haben. Dass wir uns miteinander an die Hand nehmen – so verschieden wir auch sind –  auf Jesus schauen und gemeinsam das Einverständnis finden: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Amen.