Eine Leiter in den Himmel…

Eine Leiter in den Himmel…

1 Mo 28, 10 – 19a                             14. Sonntag n. Trinitatis – Bulleritz/Oßling/Großgrabe, am 02.09.2018

 

Jacob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. – Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jacob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel.“

 

Liebe Gemeinde! > Ein Bild von Sehnsucht und Leben <Eine U-Bahnstation an der Stuttgarter U5 trägt den Namen „Himmelsleiter“. So heißt auch die längste Treppe Sachsens in Dresden, Klettertouren in der Pfalz und der Sächsischen Schweiz, auch die 126 Stufen in Hamburg an der Elbterasse. Ja selbst in Rom trifft man auf eine „Himmelsleiter“. Dichter haben darüber geschrieben und Künstler von Rembrandt bis Chagall ihre unvergesslichen Bilder geschaffen. Merkwürdig ist, dass so viele von diesem einzigen schlichten Satz inspi-riert wurden: „Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand aufErden, die rührte mit der Spitze an den Himmel und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.“ Wenn dieses Bild von der Leiter, dieser eine Satz, so etwas auslöst, dann brauchen wir dieses Bild offenbar. – Leiter, da geht es hoch, wird leckeres Obst gepflückt, eine Stadt erstürmt, aus einem Gefängnis geflohen, einer steigt heimlich bei seiner Geliebten ein; Aufstieg, Karriere. Durch eine Leiter kommt man an Orte, wo man eben ohne sie nicht hinkäme …         > Auf der Flucht <Durch die karge, felsige Landschaft läuft ein junger Mann. Gehetzt, unruhig. Oft blickt er sich um. Der Abend naht. Jacob ist auf der Flucht. Sein Vater hat Esau immer bevorzugt, ihn hintenangesetzt. Sein Bruder, nur eine Viertelstunde eher geboren, gilt eben als der Erstgeborene. Aber das Erstgeburtsrecht hat ihm der dumme Esau in einer seiner schwachen Stunden für ein Linsengericht über-lassen. Der inzwischen blinde Vater will trotzdem in seinem Testament Esau zum Erben des Segens, des fetten Teils machen. Aber Jacob gelingt es mit List und Verstellung und Hilfe der Mutter, dem Vater vorzugaukeln, er sei Esau. Jacob bekommt den Segen, die Verheißung, das Erbe zugesprochen. Unter Handauflegung. Erbschleicher, Segensschleicher. Esau schäumt. Als Betrogener schwört er dem Betrüger Mord und Rache. Diese Angst zu kurz zu kommen, Geld, Erbe – daran zerbrechen Familien, entzweien sich Verwandte bis zum Hass. Oder kommt der Bruch, schon längst verborgen da, nur dadurch ans Licht? Der vom Bruder Gehasste, vom Vater immer Hintenangesetzte, bekommt von der Mutter den Rat: Flieh, versteck` dich bei meinen Verwandten, 1000 Meilen von hier. Jacob ist der Boden unter den Füßen zu heiß geworden, er muss das Weite suchen. Er hat den Segen vom Vater, ja. Aber Segen hin, Segen her, manchmal fühlt man sich besser, der eignen Kraft zu vertrauen. – > Wer bist du, Jacob? <Wie sehen wir Jacob? Zeigen wir mit dem Finger und nennen ihn: Halunke, Betrüger. Sehen wir in ihm, mit seelsorger-lichen Augen, einen Gekränkten, vom Vater abgelehnten Sohn? Beobachten wir mitfühlend einen Einsamen auf der Flucht? Vor uns läuft einer, der sich selbst als „Ewig-Zweiten“ sieht und nur ein Lebensziel kennt: Erster werden, wenn nötig mit Betrug, Lüge und List. Davon erntet er jetzt: Angst und Flucht. > Der Abend der Angst <Der Abend kommt und Jacob sinkt erschöpft in einsamer Natur und der Einsamkeit seines Herzens nieder. Die Sterne funkeln am Himmel und ein blutrotes Schimmern kündet den Aufgang des Mondes. Die Nacht des Orients erwacht mit einem geheimnisvollen Wispern, rätselhaften Schatten und einer gespannten Stille. Mit dem Dunkel bricht er für Jacob an: der Abend der Angst. Die Wurzel aller Angst ist Trennung. Er ist mit Gott uneins. Der Segen ist ja erschlichen, nicht geschenkt. Er hat Gott hintergangen. Wie kann er ihn jetzt um Schutz bitten? Sein schlechtes Gewissen wagt kein Gebet. Mutter und Vater, das tut weh, wird er nie wiedersehen. Diese Ahnung ist wie ein sicheres Wissen. Kein Zuhause mehr, getrennt in Hass und Streit. Sein Bruder, ein geübter Jäger wird ihn verfolgen. Die Nacht ist die Stunde der Jagd. Er hat keine Waffe gegen Tier und Mensch. Seine Hand taste nach einem Stein. – Und so erzählt uns die Geschichte:„Und er nahm einen Stein von der Stätte und tat ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.“ Da liegt er nun auf dem harten Grund der Tatsachen. Durch List hat er sich ein Erbe erschlichen, gewonnen hat er ein verpfuschtes Leben. > Die Nacht der Begegnung <Auf den Abend der Angst folgt die Nacht der Begegnung. Hinter ihm haben sich die Türen geschlossen, da tut sich der Himmel auf. Aus Schicksal wird Schickung. Er träumt den Traum seines Lebens. Im doppelten Wortsinn! Er träumt, sieht sein Leben: was er ist und wohin er reift. Mag er fühlen und denken von sich, was er will, entschei-dend, besser, die Wahrheit ist, was Gott denkt. Erst als Jacob ganz unten ist, ist er fähig, dieser Wahrheit sein Herz zu öffnen und zu schenken. Das Leben öffnet seine verborgene Seite mit ungeahnten Möglichkeiten. Da schwebt eine Leiter, verbindet Himmel und Erde, Dunkel und Licht. Er sieht, was er sonst nicht sehen kann, weil er mit seinem „ich, ich, ich“ wie vernagelt war. Im Traum gibt es keine Tricks, keine Listen. Er sieht die Wahrheit: da ist ein Weg. Engel, Boten Gottes, steigen auf und nieder, genau in dieser Reihenfolge. Erst auf und dann zurück auf die Erde. Sie nehmen seine Not, alle Listen und Ränke, Scham und Verletzung, sein Kämpfen um Platz eins mit in den Himmel und bringen Frieden und Zukunft auf die Erde. Jacob sieht die arbeitende, sich bewegende Gnade Gottes. Er schaut Gottes Sorgen um ihn. Der Schleier seiner Ängste und Wünsche wird zur Seite gezogen und er findet sich in Gottes traumhafter Gegenwart. Er meinte, einsam, verlassen und benachteiligt zu sein. Jetzt sieht er hinter den halbrichtigen Fassaden seines Lebens die Wahrheit: ich bin weder einsam noch verlassen, Gott sorgt für mich. – Dabei war Jacob kein frommer Pilger auf der Suche nach Gott, der in seinem Alleinsein als Eremit seine frommen Gedanken als Leiter in den Himmel baut, seinen Träumen von Gott nachsinnt. Er suchte keine Zuflucht bei Gott, sondern bei Verwandten. > Der herabgekommene Gott <Aufschlussreich sind manchmal kleine Worte. Luther hat es übersetzt mit „oben“, es heißt aber genauso auch „neben“. Es kann hier heißen: der Herr stand oben oder der Herr stand neben ihm. Beides stimmt: Gott steht über dem Menschen. Gott stellt sich aber neben den Menschen. Ist nur ein Wort, ein Gebet, eine Geste, einen Traum weit entfernt. Ich wähle hier „neben“, weil es dem Wesen Gottes entspricht, sich zu den Gescheiterten, Betrügern, Verzweifelten, denen unten, am Boden Liegenden zu stellen. Hier stellt er sich zu Jacob, dem Sünder. Nicht allein das ist tröstlich, sondern vor allem, wieGott dem Sünder begegnet. Jacob bekommt zuerst von Gott Boden unter die Füße – ihm wird Land als Besitz zugesprochen. Er wird eine große Familie haben, unzählige Nachkommen, ja, für alle Menschen wird er Bedeutung gewinnen. So wird dem immer an zweite Stelle gesetzten Jacob seine tiefsitzende Angst genommen, dieses: ich bedeute nichts. Und in seinen Trennungsschmerz von Mutter und Vater, in die Angst vor der Bruderrache, hinein in sein eignes schlechtes Gewissen und sein Minderwertig-keitsgefühl, kurz – seine tiefe Einsamkeit, diese wird gefüllt mit dem Wort: ich will dich niemals verlassen. Und in dieser Nacht voller Funkeln und Engel, Leuchten und Leiter hört er diese eine Stimme, von der er weiß, sie hat das erste und das letzte Wort: „Und der Herr stand neben ihm und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott; das Land, worauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin bei dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“> Himmelsleiter durch die Zeiten <Während das dem Jacob vor 3.500 Jahren zugesagt wird, sehe ich vor mir Gott als Zimmermann: wie er die Himmelsleiter baut, um zu den Menschen zu kommen und sie zu ihm. Sie hat viele Sprossen, manche davon erkenne ich: den Stall von Bethlehem, einen Prediger, der Kranke heilt, da steht einer mit Dornenkrone und Purpurmantel und ich höre, wie an der Leiter gezimmert wird, höre Hammerschläge, die Nägel in Hand und Holz treiben, Schmerzensschreie, sehe ein dunkles Grab, einen weggewälzten Stein, die aufgehende Sonne, höre die Stimme, die Jacob hörte, fragen: was weinst du? > Der Morgen des Gebets <Und so wird für uns, aber zuerst damals für Jacob, aus dem Abend der Angst und der Nacht der Begegnung – der Morgen des Gebets. Sein Traum wandert mit in den Tag, wandert mit ihm durch seine Lebensräume. Wie wird es mit Jacob weitergehen? Er wird gewiss keinen Heiligenschein tragen; seine Zukunft wird kein Blütenteppich sein, der Streit mit seinem Bruder ist noch nicht ausgefochten, 20 Jahre wird es zur Versöhnung brauchen. Aber er hat gehört: Vertraue Gott! So entschließt er sich, nicht auf sich, sondern auf die Zusage Gottes sein Leben zu bauen. Als Zeichen dafür nimmt er diesen Stein, am Abend der Angst noch krampfhaft umklammert, begießt ihn mit Öl und legt ihn oben auf ein von ihm errichtetes Steinmal. Seine Waffe vom Abend wird zum Altar am Morgen. Seine Angst wird zur Anbetung. Die Flucht ist zu Ende. Er kann getrost die Schwelle ins Neue übertreten – mit seinem Gott. Und so schnürt er sein Ränzchen und wandert in die aufgehende Sonne. Amen.