Gott sehen

Gott sehen

2.Mose 33,17b-23                                               2. Sonntag nach Epiphanias – Großgrabe/Oßling, am 15.01.2017

 

„Der Herr sprach zu Mose: Du hast Gnade gefunden vor meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in eine Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“

 

Das Nachsehen haben

Liebe Gemeinde! Der Glaube hat das Nachsehen. Dorthin wandern wir jetzt: Der Glaube hat immer nur das Nachsehen. Unsere Wanderkarte ist der Predigttext. Mit ihm treten wir in eine andere Zeit, 3400 Jahre zurück. Wir befinden uns in der Wüste.

Wüste – ein Bild für Krise
Schemenhaft sehen wir einen Alten. Mose. Mose in der Wüste. Mose in der Krise. Dafür steht Wüste als Bild: Ein lebensfeindlicher Ort. Hitze und Stress am Tag, Kälte und Ausgeliefertsein bei Nacht. Wir finden uns manchmal in einer Wüste wieder, fühlen: wir sind herausgefordert zum Überlebenskampf. Lebenswüste, Sinnkrise, Ehekrise, Glaubenskrise. Der alte Mose steht vor seinem verwüsteten Leben.

Wüste – Ort der Gotteserfahrung
Wüste – eine stille Weite. Felsen, Sand und Trockenheit. Bedrängende Einsamkeit oder beglückendes Alleinsein? Rendezvous mit Gott. Nicht im Land, wo Milch und Honig fließt hat Israel seine tiefsten Gottesbegegnungen gehabt. Die 10 Gebote bekamen sie erst, als sie sich auf den Weg in die Freiheit machten, dem Ruf der Wüste folgten und der Sand zwischen ihren Zähnen knirschte. Dem Ruf hinein in die Stille, Leere, Einsamkeit. Loslassen. Dort waren sie hungrig und hatten es satt. Mit allen Wassern der Aufklärung waren sie gewaschen und schon bald durstig. Wüste – das sind Zeiten, wo ich schmerzhaft begreife: Ich brauche Gott, um den Tod zu überleben.

 Bundesschluss und Bundesbruch
O Mose, Mann o Mann. Alles steht auf der Kippe. Seit gestern. Als alles zerbrach am goldnen Kalb. Statt Gott anzubeten, hatten sie ums Geld getanzt. Hatten doch erst einen Bund geschlossen, sich mit ihrem Gott verheiratet, von ihm die 10 großen Freiheiten bekommen: Ich bin der Herr, dein Gott. Ja, hatten sie gesagt. Ich führe dich in die Freiheit, versorge dich. Ja! Du sollst niemand und nichts als mich an erste Stelle setzen. Ja – und alle Hände hoben sich zum Schwur und erhielten einen goldnen Ring. Wüstenhochzeit. Aus ihrem Ja wurde – warum denn bloß – ein: ja, ja. Das Gold als Zeichen der Treue wurde von den Fingern gerissen, zerschmolzen, ein goldnes Kalb gegossen. Der Tanz ums Geld wird in jeder Generation neu zelebriert. Fremdgehen – das ist auch bei Gott die Toleranzgrenze überschritten. Aus. Ihr habt mich verraten. Seht selbst zu, wie ihr aus eurer Wüste findet. Wenn ihr meint, Geld ist Brot für euern Lebenshunger und Gold Wasser für den Durst eurer Seele: Guten Appetit!

Glaube sagt nicht Ja und Amen – Glaube ringt
Mose nimmt das nicht hin. Er kämpft, ringt, sagt Nein zu Gott. Nein Gott, so nicht, sag wieder ja. In Wüstenzeiten ringen Menschen mit Gott. Gott lässt sich niederringen. Davon belauschen wir gerade den Schluss. Gott hat sein Urteil geändert, er will doch beim Volk bleiben: Weil du, Mose, mich durch dein Beten umgeworfen, umgestimmt hast: „Der Herr sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“

Der teure Glaube
Glaubst du, dass dieses Wort heute auch dir gilt? So ist überall in und um dir Frieden, Zuversicht. Glaube vertreibt Angst, Ungewissheit, Schuldgefühle. Aber solcher Glaube ist teuer. Kostet Hingabe, Wüstenzeiten, Ringen mit Gott.

Verzweifelte Sehnsucht
Wir werden jetzt Zeuge einer verzweifelten Sehnsucht. Kämpft der Glaube im Herzen ums Überleben, will er sehen. Zeig dich, Gott! Wie am Schürzenzippel seiner Mutter klammert sich Mose an Gottes Wort: Hab ich Gnade, also ganzen Zugang in dein Herz gefunden, Gott; und kennst du mich mit Namen, also das Innerste meiner Seele, Geheimnisse und Abgründe, dann zeig dich mir. Der Wüstennomade wünscht sich einen letzten Fingerzeig und ruft: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“

Könnte ich Gott sehen, dann würde…
Wenn ich Gott sehen könnte, würde ich glauben. Hört ihr diesen verzweifelten Ton. Glaube in der Zerreißprobe zwischen Suche nach Nähe und Anmaßung. Zieh dich aus, Gott, ruft das Geschöpf dem Schöpfer zu. Dass Mose darauf drei Antworten bekommt, unterstreicht, was Mose Gott mit seiner Bitte zumutet.

Von der vorübergehenden Güte Gottes
Meine Güte, sagt Gott, du liebenswerter Spinner! Ich geb dir mehr, als du willst: Ich zeig dir, dass ich gut bin. Bezeichnend ist hier das Wort „vorübergehen“. Es wird im Alten Testament im Zusammenhang mit Schuld gebraucht, an Schuld vorübergehen. Mose hört: „Ich will vor dir all meine Güte vorübergehen lassen.“  Gottes Güte lässt Mose gewissermaßen links liegen und damit alles, was bei ihm, seinem Volk ist: Schuld, Bundesbruch, Verrat. Gott trägt nichts nach. Das tut er „en passent“, im Vorübergehen. Die Güte geht vorüber, berührt, aber lässt sich nicht festhalten. Im Linksliegenlassen erweist Gott sich als gnädig und barmherzig.

Name – Zugang zum Geheimnis
Jetzt, sagt Gott, will ich dir meinen Namen anvertrauen, den Zugang zum Geheimnis: „Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will dir kundtun den Namen des Herrn (er lautet): Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“

Gottes Leidenschaft ist Barmherzigkeit
Wie missverständlich. Klingt sehr willkürlich. Wie: dem einen bin ich gnädig, dem andern eben nicht. Basta. Gott sagt damit aber nicht: ich mache, was ich will, sondern: ich mache, was ich will – gemeinsam mit euch. Gott sortiert nicht aus, sondern zusammen. Er verbindet, verbündet sich.

Von der Güte ausgeschlossen – ausgeschlossen bei Gott
Und – wem ist er denn nun gnädig? Allen. Wer erhält sein Erbarmen? Jeder. Wenn solcher Glaube Platz nehmen darf im Haus deiner Seele, dann ist dir geholfen. Es ist der teure, schwere Glaube. Es braucht dazu die Kraft, deine Tür zu öffnen. Denn Gott ist ein Gentleman. Er klopft nur, mehr nicht.

Der Tod öffnet die Augen für Gott
Immer noch sind wir unter funkelnden Sternen, abseits der gebeugte Alte und mit uns hört die Wüste, Sand und Salamander, Stock und Stein, das Allerletzte. Worte über den Tod: „Und der Herr sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“

Wir fürchten am meisten, was wir am tiefsten ersehnen
Gott geht mit seiner zweiten Antwort auf Distanz: Mein Angesicht, das Geheimnis aller Geheimnisse, das gibt es nur um den Preis des Lebens. Einmal, wenn dein Stündlein kommt, ja, aber nicht jetzt. Wer Gott sehen will, der bekommt etwas zu hören.

Treffpunkt mit Gott
Trotzdem – so hören wir – kannst du eine Begegnung mit Gott erwarten. Dafür gibt es einen Platz: hier als Felsen und Felsgrotte bezeichnet. Also ein schützender, fester Ort. Ein wertvoller Gedanke: es gibt Orte der Gottesbegegnung. Ob wir fragen: Wo? Sie suchen?

Der Fels, auf dem der Glaube ruht
„Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.“

Gott schützt vor sich selber
Indem Gott den Menschen vor sich selber schützt, kann der Mensch in der Nähe Gottes bleiben. Dazu kenne ich nur ein Wort: Jesus. Er ist der Felsen, die Felskluft, die Hand über uns. Weil er uns am Kreuz Vergebung erworben hat, sind wir in Gottes Nähe nicht verloren, sondern geborgen.

… und kann mich nicht satt sehen
Und wie es mit Mose ausgeht? Gott geht vorüber. Da wird Mose schwarz vor Augen, hier so beschrieben: „Bis ich vorübergegangen bin, will ich meine Hand über dir halten.“

Ein Augenblick durchs Schlüsselloch
Aber nun: „Dann will ich meine Hand wegziehen, und du darfst hinter mir her sehen.“  Nur so kann Gott geschaut werden: im Wahrnehmen seiner Spuren, im Nachhinein, im Hören und Nachahmen, im Hinterhergehen, in der Nachfolge. Wer glaubt, hat das das Nachsehen. Wir glauben. Heute haben wir das Nachsehen. Amen.