Hiob’s Botschaft

Hiob’s Botschaft

Hiob 14, 1 – 6                  Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres – Oßling/Großgrabe, am 18.11.2018

 

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.“

 

Liebe Gemeinde! Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte, eine Hiobsbotschaft: Jeder Mensch trägt einen Stempel. Sein Verfallsdatum. Mit Hiobs Worten: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit.“Nun die gute, nach dieser Hiobsbotschaft. Die gute Nachricht an uns ist: Hiobs Botschaft. Hiobs Botschaft, 2500 Jahre alt, ist so ergreifend, zeitlos und nah am Herzen, dass sie anspricht, wer sie auch hört. Künstler, Maler, Musiker und Schriftsteller der Weltliteratur hörten seine Botschaft und wurden angesprochen, inspiriert – so Goethe in seinem „Faust“ (Prolog), Samuel Beckett in „Warten auf Godot“, Joseph Roth in seinem „Hiob“ und viele andere. Jetzt tritt Hiob mit seiner bewegenden Botschaft an uns heran. Ob wir uns bewegen lassen? – Zuerst höre ich: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube. Der Erdling, sagt Hiob, aus dem Schoß der Frau gepresst, lebenslang gestresst, der Tod ihm nichts lässt. Das ist das sogenannte Leben des Menschen. – Hiob ist kein Dichter oder Philosoph. Er leidet. Seine Worte werden ihm aus dem Herzen gequetscht durch körperliche und seelische Qualen. Seine 10 Kinder sind durch ein Unglück ums Leben gekommen, sein Hab und Gut ist geraubt oder verbrannt, er selbst ist schwer krank, sitzt in der Asche. Im Hintergrund ruft seine vom Schmerz verwirrte, entnervte Frau: Sag Gott ab und stirb! Kriech nicht einem Gott zu Kreuze, der solchen Lohn für dein gläubiges Leben und deine vielen barmherzigen Taten hat. Da hat Hiob noch Kraft zu erwidern: Schweig, Weib! Haben wir Gutes von Gott empfangen, warum sollten wir das Böse nicht nehmen? Bald wird er aber zusammenbrechen. Dann wird er verzweifelt den Tag seiner Geburt verfluchen. Noch hat er Kraft und ist uns darin seltsam fern. Fern, weil sein Gottvertrauen so unendlich belastbar scheint. Wir ahnen, dass es bei uns anders wäre. Noch ist uns Hiob fern mit seiner Botschaft. Aber dann geschieht`s, der Damm bricht. Seine Freunde besuchen ihn. Und sie geben das, was diese Predigt wecken will: Anteilnahme. Heute wollen wir keine Hilfskonzepte entwerfen, Initiativen lostreten oder Suppenküchen gründen. Heute geht es um die Kraft unserer Herzen. Sie soll geweckt und gestärkt werden. Dass wir glühen. Zu Menschen reifen, die Anteil nehmen und Anteil geben, aus ganzem Herzen. – Hiobs Freunde sind geschockt, zutiefst betroffen. „Sie sahen, dass seine Schmerzen groß waren.“(2,13). Sie setzen sich zu ihm, sieben Tage, sieben Nächte, und schweigen. – Die Kraft der Anteilnahme wurzelt in der Gabe, die heißt: Aushalten und Warten. Jeder hat diese Gabe, aber oft ist sie verkümmert oder vergessen. Die Anteilnahme der Freunde Hiobs, dieses Warten und Schweigen hat bahnbrechende, lösende Kraft. Stille und Schweigen ist Sammlung, gemeinsam schweigen ist gesammeltes Miteinander. – Leid macht stumm. Halte ich dieses Stummsein des Leidenden aus, gebe ich dem Leid Gelegenheit zu Wort zu kommen. Sieben Tage schweigende Gemeinschaft brauchte Hiob, dann bricht sich seine Botschaft Bahn. Er klagt und wütet. Jetzt ist er uns nahe. Das würden wir auch tun, bei so viel Entsetzlichem. Seine Freunde aber verlassen den Weg der Anteilnahme. Sie diskutieren und erklären. Leid erklären wollen ist keine Anteilnahme. Aber sie können der Versuchung nicht widerstehen, ihre Weltsicht, ihre Vorstellung als Tröstungen zu verkaufen. Hätten sie doch geschwiegen. So aber sagen sie: von nichts kommt nichts. Schuld fordert Sühne. Was du getan, so wird dir`s ergehn. Bedenk, Hiob, ist Gott etwa ungerecht, dass er die Guten bestraft? Dein Unglück ist Gottes Strafe, sein „Lohn“ für deine Sünden. Wirklich?, begehrt Hiob auf, ist Gott ein solcher Lohnzahler? Folgt auf Sünde Unglück und Strafe? Warum geht es dann oft den Gottlosen so gut? – Noch ist seine Empörung größer als seine Erschöpfung. Ich bin vollkommen am Boden, ohne Hoffnung, und soll Sünden bekennen, die ich nicht begangen habe? Ihr seid mir leidige Tröster! Kommt mir nicht mit so einem billigen Gott. Nach euren Worten ist Gott ein Spion. Er beobachtet und schlägt dann zu. Aber was ist denn der Mensch? „…vom Weibe geboren lebt er kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ Hiob zieht Bilanz: Ich nahm mich so wichtig, doch alles ist nichtig. Ich bin ein zappelndes Stäubchen. – Hier zeigt uns dieses Bibelwort den Unterschied zwischen Jammern und Klagen. Klage hat Gott als Gegenüber, Jammern nicht. Hiob kommt vom „ich“ zum „du“: „Du aber tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor Gericht ziehst.“ Hiob schüttelt sich fröstelnd unter dem allsehenden Auge Gottes. Er klagt: du bist mein Gegner, Gott. Nicht Zuwendung, sondern Kontrolle ist dein Blick. Ich bin dir, unerbittlicher Richter, zwischen die Zähne geraten. Was aber hast du an meinen mageren Knochen? Warum kontrollierst du einen Schatten, ein Stäubchen voller Unruhe. Und richtest auch noch!? Hiob spricht Gott auf seine Verantwortung an mit der Frage: „Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!“Damit sagt er: Du nimmst für dich in Anspruch alles zu schaffen, auch jeden Menschen. Doch jeder kommt schon so auf die Welt, dass er vor dir Sünder ist. Dafür richtest du ihn auch noch? Was ist das denn für eine Gerechtigkeit? Despoten und Tyrannen regieren so. Aber du? Was deinen Menschen geschieht, das ist auch deine Sache. Auch in die Sünden der Menschen bist du mit verwickelt, wenn du nicht helfend eingreifst. Mitgegangen, mitgefangen. – Stellt euch vor, ein Vater würde zusehen, wie sein Kind an einen steilen Abhang läuft, schließlich runterkullert und mit Schrammen und Brüchen unten landet. Niemand würde sagen: Siehste, du dumme Göre, selber dran schuld. Viel eher würden wir wutentbrannt zu dem Mann gehen, der den Vatertitel hat, und ihn anbrüllen: „Bist du verrückt, hier rumzustehen wie ein Ölgötze und zugucken, wie dein Kind sich verletzt!“ Wie tief Gott in die Sünde der Menschen verstrickt ist, zeigt ein Blick auf den Längs- und Querbalken. Der Mensch ist das Kreuz Gottes. Aber Hiob beißt sich an dieser Frage fest. Was wirft uns Gott vor? Dass uns manchmal zweifelhafte Motive leiten? Dass wir Konflikte so selten angemessen und aufrecht lösen? Dass wir das Böse nicht hellsichtiger erkennen und konsequenter meiden? Dass unsere Sehnsucht manchmal in die Sucht führt? Warum schüchterst du unendlicher Überlegener uns Sterbliche durch Leid und Unheil ein? Warum legst du uns ein Maß an, dem wir niemals entsprechen können? – Darf man so vonGott reden? Nein, ganz klar nein. Aber mitGott darf man so reden. Ganz klar ja! Ich selbst habe begriffen: Gott ist keine missgünstiger, menschenverachtender Despot, es sind unsere Bilder von ihm, gemalt von unserer Angst, schlechten Erfahrungen, Verletzungen. Diese gemalte Fratze von Gott zeigt, was in der Tiefe der menschlichen Seele rumort. Aber sie zeigt nicht Gott. Aber das kann ich einem Leidenden, nennen wir ihn „Hiob“, in Asche und Schmerz nicht sagen. Jetzt nicht, es nützt nichts; ich wäre nur ein leidiger Tröster. Es ist Wissen über Gott, nur Wissen. Es müsste Liebe her. Ihr traue ich verändernde, tröstende Kraft zu. Liebe ist der Chaosgewalt des Leides ebenbürtig. Liebe ist stark, stark wie der Tod. – Immer noch sehen wir Hiobs Faust, drohend erhoben gegen Gott. Hört ihr in seiner Klage auch seine Leidenschaft? Leiden, vor Gott geklagt ist leidenschaftlicher Glaube. Seine Faust ist Gebet, voll tiefer Emotionen und Echtheit. Es ist gelingender, persönlicher Glaube, als er Gott fortschicken will: „Blicke weg von mir, dass ich endlich Ruhe habe, bis mein Stündlein kommt, worauf ich mich freue.“ Ein Beispiel für ein unerhörtes (im doppelten Wortsinn) Gebet. Gott bleibt, er schaut nicht weg von ihm. Das hat seinen Grund. Denn: „Hiob“ sitzt mitten unter uns. Oder habt ihr ihn noch nicht bemerkt? Durch unsere Augen will Gott „Hiob“ anschauen. Oder seht ihr „Hiob“ nicht? Seht ihr niemanden in der Asche seiner Lebensmüdigkeit sitzen, krank vor Sinnlosigkeit? Der Blick Gottes ist Anteilnahme. Anteil nehmen durch Hören. Und Anteil geben durch Schweigen. Bitte Gott um die Kraft solcher Anteilnahme, um erleuchtete Augen des Herzens (Eph. 1, 18). Dann setze dich in „Hiobs“ Asche. Gib der Klage „Hiobs“ Raum. Klage ist festhalten an Gott. Klage ist Glaube in Bewegung. Klage ist Glaube. Das ist Hiobs Botschaft. An dich. Amen.

(Die Audioaufnahme ist leider nicht besonders gut. Der Fehler wird für zukünftige Predigten behoben.)

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