Höre nicht auf zu beten!

Höre nicht auf zu beten!

Mk 9, 14-29                                                    17. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe/Oßling, am 08.10.2017

 

„Und sie kamen zu den Jüngern und sahen eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. Und sobald die Menge ihn sah, entsetzten sich alle, liefen herbei und grüßten ihn. Und er fragte sie: Was streitet ihr mit ihnen? Einer aus der Menge aber antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn zu Boden; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten´s nicht. Er antwortete ihnen aber und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn hin und her. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist´s, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Als nun Jesus sah, dass die Menge zusammenlief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riss ihn heftig hin und her und fuhr aus. Und er lag da wie tot, sodass alle sagten: Er ist tot. Jesus aber ergriff seine Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. Und als er ins Haus kam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Und er sprach: diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten und Fasten.“

 

Liebe Gemeinde! Der Glaube schlummert manchmal friedlich, manchmal unruhig träumend in irgendeiner Ecke unseres Lebens. Wenn aber Nöte, Leid und Ängste an die Tür schlagen, an unsere, oder die Tür der Kirche, dann hört der Glaube von draußen die Stimme: Kann Gott helfen? So fragen die Nöte und Notleidenden dieser Welt. So fragen stumm oder laut Menschen, die von außen auf die Kirche blicken: Kann Glaube nun Berge versetzen oder nicht? Beim Krankenbesuch, in den Augen des Nachbarn, in Gesten, Gesprächen, wird uns, stumm oder laut, die Frage gestellt: Christ, glaubst du? Ist durch deinen Glauben für mich Hilfe möglich? Das ist die Frage unseres Predigttextes: Was kann Glauben? Indem wir auf die Menschen damals schauen, kommen wir einer Antwort für uns heute bedrohlich nahe. Jeder Akteur in unserem Bericht hat ziemliche Probleme. Am meisten verblüfft mich das bei Jesus. Hätte ich so nicht erwartet. Wie der die Leute anfährt. Im Deutschen klingt das so: Ihr geht mir derart auf den Geist, nicht zum aushalten seid ihr, bis hier steht ihr mir. Im Text so: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ Solche harten Worte finden sich von Jesus nur in dieser Heilungsgeschichte. Es ist aber wohl eher eine Leidensgeschichte. Wir hören von den Schmerzen einer geplagten Vaterliebe. Er hat einen kranken Sohn. Regelmäßig plagen ihn entsetzliche Anfälle. Können wir die Qualen des Vaters ermessen? Vielleicht. Aber die des Jugendlichen sicher nicht. Mit vier, fünf Jahren hat er wohl bewusst wahrgenommen, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist. Anders sein als alle anderen, heißt einsam sein. Er hat die Liebe seiner Eltern. Ihre Liebe aber zeigt sich oft nur in Tränen, Übersorge und Angst. Schuldgefühle plagen ihn: Ich bin ja nur eine Last für andere. Oft spürt er diesen finsteren Druck in sich, diesen Zwang. Sieht er in der Küche die Suppe übern Feuer, will er sich verbrennen. Läuft er am Fluss, sieht er sich mit Wonne ertrinken. Dass er überhaupt noch lebt. Wie aus tiefer Finsternis wacht er manchmal auf, weiß nichts mehr. Sieht nur in die entsetzten und ratlosen Augen der Eltern. Dann ist er nur erschöpft und weiß: Es war wieder da. – Ja, es ist eine Leidensgeschichte. Auch die Jünger Jesu tragen mitten im Geschehen an einer besonderen Form von Leid: Bloßstellung, Peinlichkeit, Spott. Sie waren zur Heilung aufgefordert. Die Gegner Jesu standen lächelnd in Position: Na, da wollen wir doch mal sehen, was die Schüler unsres Wunderheilers so können. Viele laufen zusammen. Dann dieses Ohnmachtserlebnis: Gegen diese Macht ist kein Kraut gewachsen. Und schon müssen sich die Jünger verteidigen, warum es nicht geklappt hat. Der Streit bricht los und währt nun schon 2.000 Jahre lang: Ja was ist denn, wenn Gott nicht hilft, nicht eingreift: Liegt es an Gott, an dem Kranken, am Pfarrer, an der Sünde, der Krankheit oder gar am Teufel? Wo ist die Kraft des Glaubens? Was kann Glaube? Ich rechne es den Jüngern hoch an, dass sie sich der Gefahr einer Blamage ausgesetzt haben. Sie haben´s versucht. – Leid, Nöte, Bedrängnisse anderer lassen eine Bekenntnissituation entstehen. Die Nöte rufen: He, Glaube, steh auf aus deinem Schlaf, zeig dich, zeig was du kannst! – Der Vater des Jungen sagt: Ich habe deine Jünger um Hilfe gebeten, aber sie konnten es nicht: Da haben wir sie, diese uns so bekannte Erfahrung: Sie konnten´s nicht. Daraufhin schaut Jesus den leidenden Vater, dann seine Jünger an. Schließlich wendet er sich an alle Gaffer. Da stehen sie, ohne Anteilnahme und Mitleid, wollen ein Spektakel sehen. Eine gütige, sanfte Belehrung Jesu in gedämpftem Ton kommt jetzt nicht. Voller Zorn geht er auf sie los und herrscht sie an: „Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut? Wie lange soll ich euch noch aushalten, hm? Und euch ertragen?“ Was würde denn Jesus über uns sagen? Unseren Glauben, unser Gottvertrauen loben? – Die Frage nach der Kraft des Glaubens, verpackt in einer Heilungs- und Leidensgeschichte, ist zugleich der Bericht einer Dämonenaustreibung. Das Leid hat hier ein gruseliges Gesicht. Eine Fratze ohne Mund und Ohr, ein sprachloser, tauber Geist. Der lässt nicht mit sich reden. Eine teuflische Macht, die diesen Jungen quält und in den Tod treiben will. – Das Böse gibt es. Aber der Böse existiert. Das Machtmittel des Satans ist die Sünde. „Laster und Schande, des Satanas Bande“, dichtet darüber Paul Gerhardt (EG 449,5). Er verführt die Menschen und bringt sie so unter Gottes Zorn, unter sein Gericht. Seit aber Jesus am Kreuz für die Sünde aller Menschen gestorben und auferstanden ist, ist Satans Macht gebrochen. Denn die Strafe für die Sünde ist geschehen. Und Gott straft nicht zweimal. Satan ist gerichtet und von Gott verurteilt. Ihm bleibt nur noch kurze Zeit bis zur Vollstreckung. Wenn Jesus wiederkommt, wird nicht nur das Böse ein Ende haben, sondern auch Satan und seine Engel. In Jesus, seinem Kreuzestod, seinem vergossenen Blut hat Gott der Gemeinde Vollmacht gegenüber dem Wirken Satans gegeben. Geschieht Lieblosigkeit, soll die Gemeinde lieben – im Namen Jesus. Herrscht Armut und Hunger, soll die Gemeinde in Jesu Namen teilen. Herrscht Orientierungslosigkeit und Werteverwirrung, predigt die Gemeinde im Namen Jesu. Sind Menschen in Ketten des Unglaubens, bezeugt die Gemeinde die Freiheit des Glaubens in Jesu Namen. Sind es Ketten der Sünde, werden diese durch Vergebung in Jesu Namen gesprengt. Wollen dämonische Mächte ihr Unheilswerk tun, gebietet ihr die Gemeinde im Namen Jesu: Hinweg mit dir, Satan! Seit 2.000 Jahren nennt sich die Kirche „ecclesia militans“, die kämpfende Kirche. So ist unser Predigttext auch ein Kampfbericht: „Jesus bedrohte den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!“ Jesu Wort muss alles weichen: „Da schrie er auf und riss ihn sehr und fuhr aus.“ Nun verwendet der Evangelist Markus für den leblos am Boden liegenden Jungen das Verb „auferstehen“, wir lesen es sonst nur in Auferstehungsberichten: „Jesus ergriff ihn bei der Hand, erweckte ihn und er stand auf.“ Diesem zweiten Leben des Jungen und seiner Heilung ging – fast unbemerkt – die Heilung seines Vaters voraus. Während er mit Jesus spricht, ist sein Herz bis zum Überschwappen gefüllt mit einem Mix aus Resignation und Erschöpfung. Er sagt matt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns.“ Jetzt erleben wir, wie durch das Wort Jesu Glaube geschaffen wird. Der Glaube kommt durch die Anrede, das Wort Christi: „Jesus aber sprach zu ihm: du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Jesus spricht hier zuerst von sich selber, dem Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr 12,2). Seelsorgerlich geht dieser Ruf an den Vater: Komm heraus aus deinem Wenn und Aber! Hab Vertrauen! So werden wir Zeuge einer Geburt. Unter Schmerzen und Schreien fängt ein Menschenherz an zu glauben: „Der Vater schrie: Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ – Auf Jesus blicken und so beten – das erhört der Herr gewiss. Ich möchte euch zuletzt nicht das Rätselwort Jesu vorenthalten, als seine Jünger ihn fragen: „Warum konnten wir ihn nicht austreiben?“ Diese Frage bezieht sich auf den Dämon. Und die Antwort Jesu scheint sich beim ersten Hören auch darauf zu beziehen: „Diese Art kann durch nichts ausgetrieben werden als durch Beten und Fasten.“ Diese Art? Da es in unserm Predigttext um Glaube und Unglaube geht, bezieht sich Jesu Antwort nicht auf eine teuflische Macht. Mit ihrer Frage an Jesus meinen die Jünger ja: Wie bekommt unser Glaube solche Kraft? Jesu Antwort meint den kraftlosen Glauben der Jünger. Sicher hat Jesus ihnen dabei in die Augen geblickt, als er antwortete: Diese Art, diese Art Kraftlosigkeit in euch kann durch nichts ausgetrieben werden als durch Beten und Fasten. – Willst du Glauben, blicke auf Jesus, wie dieser Vater. Bete wie er und höre nicht auf. Bete – und Glaube wird geboren. Bete und lies Gottes Wort – und dein Glaube wird wachsen. Bete weiter, und dein Glauben gewinnt an Stärke. Bete unverdrossen, dann kommt die Stunde, wird dein Glaube von andern bemerkt, wie ein Licht im Dunkel. Höre nicht auf zu beten, dann wird durch deinen Glauben bei andern Glaube geboren. Amen.

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