Ich bin der Erste und Letzte und der Lebendige. (Oßling)

Ich bin der Erste und Letzte und der Lebendige. (Oßling)

Offb 1, 9-18                                                             Letzer Sonntag nach Epiphanias – Oßling, am 21.01.2018

„Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und im Ausharren bei Jesus war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus. Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea. Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langem Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasser-rauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Liebe Gemeinde! Johannes, ein Mensch wie wir. Er muss sich waschen, wärmt sich gern mal in der Sonne, macht sich Sorgen um seine Freunde, hat Hunger nach Brot und Durst nach Liebe. Wie wir. Er ist auch dem Brennen unserer Herzen nah. Er nennt uns Geschwister, ringt um Glauben, wie wir. So stellt er sich uns vor: „Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und im Ausharren bei Jesus.“ „Im Ausharren bei Jesus“ – wer so etwas sagt, hat darum gekämpft, Jesus treu zu bleiben. Dabei bin ich mir sicher, dass Johannes nicht sich und seine Treue in den Blickpunkt rücken will. Er weist auf Jesus, der treu bleibt. Jeder Generation, durch alle Zeiten. Das rückt dieses Wort ganz nah an unser Leben: der auferstandene Jesus, damals für Johannes der Herr, auch heute unser Herr. Damals hat er zu Johannes gesprochen. Heute redet er zu uns. Erwarten wir das? Ich erwarte, dass Jesus – als Auferstandner mitten unter uns – heute nicht stumm bleiben will. Jesus will dir in dieser Stunde begegnen. Dir schenken, was du in Wahrheit brauchst: Berührung am Herzen, Wärme, Klarheit. – Zuerst fragen wir Johannes. Erzähle, Johannes, wie geht´s? Häftling des römischen Kaisers bin ich, auf der Gefängnisinsel Patmos. Schaut nicht so mitleidig. Wo ich auch bin, ich bin frei durch Jesus. Doch die Sorge um meine verfolgten Brüder und Schwestern vertreibt mir am Tag die Zuversicht und nachts den Schlaf. Dann diese Worte mit leuchtenden Augen: ich hörte und sah Jesus, unsern auferstandnen Herrn, versteht ihr? – Darüber, ihr Lieben, muss ich jetzt nicht mit Johannes, sondern mit euch reden. Wann, liebe Schwester, lieber Bruder, hast du Jesus gehört und gesehen? Diese Frage ist kein Witz. Johannes hat Jesus gehört und gesehen. Er glaubte, wie wir glauben. Sollte sich Jesus nur einigen von den Milliarden Christen zeigen? Nur zu wenigen Auserwählten reden? Auf meine Frage antwortet ihr sicher: Jesus gesehen? Nein, noch nie. Die Stimme Jesu gehört? Naja. Eines weiß ich – Jesus lässt sich bei seinen Leuten hören und sehen. Immer anders und immer derselbe auferstandne Herr: Petrus sah ihn voller Glanz auf dem Berg der Verklärung. So lichtvoll, friedlich und befreiend muss es gewesen sein, dass er alles vergaß und rief: Hier will ich bleiben. Hier ist meine Heimat. Als Paulus vor Damaskus die Stimme Jesu hörte, fiel er vom Pferd und fragte entsetzt: Herr, wer bist du? Dietrich Bonhoeffer kniete Minuten vor seiner Hinrichtung 1945 im Gebet, im Gespräch mit seinem Herrn. Jesus war bei ihm. Auch Johannes berichtet. Und wir hören staunend und fragen: War´s ein Traum, Johannes. Nein, sagt er, mein Herr, euer Herr, Herrscher über den Kosmos, letzte Instanz für alle Menschen, er hat sich bei mir sehen und hören lassen. Ich habe für den Himmlischen zwar nur schwache menschliche Worte, aber ich will versuche zu erzählen: An einem Sonntag kam Gottes Geist über mich, „und ich hörte eine große Stimme wie von einer Posaune … und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir sprach … und ich sah …  einen, der war eines Menschen Sohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und begürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleichwie goldenes Erz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie ein großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.“ Es muss gewaltig gewesen sein, denke ich. Und es ist, als wäre Johannes mit seinem Bericht weggerückt von mir, weit weg sogar. Weil ich so etwas noch nie erlebt, Jesus so real noch nie gesehen habe. Und zugleich denke ich daran, dass ich doch selber vor 15 Minuten gesprochen, nein bekannt habe: am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel … von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Habe ich da meinen Glauben bekannt oder gedankenlos alte Worte geplappert? Nein, ich glaube, dass wir und alle vor und nach uns, Jesus sehen werden. Keiner kommt an der Begegnung mit Jesus vorbei. Unser Stündlein und der Jüngste Tag – spätestens da wird der Schleier weggenommen. Und wir stehen vor der letzten Instanz, vor Jesus Christus, unsern Retter und Richter. Klingt das bedrohlich oder tröstlich? Klingt es so bedrohlich, dass wir, in uns ärgerlich, diese Botschaft wegprotestieren: so ein Quatsch, Unsinn, Angstmache. Oder klingt es so wunderbar tröstlich, dass wir bitten: Ja, Herr, komme bald!? Ich muss Johannes fragen. Ihn, der mit seiner Jesusbegegnung so weit weggerückt ist von mir. He, Johannes, erzähle! Wie war das mit Jesus? Hat er dich wie einen Wurm zwischen zwei Fingern gehalten? Hattest du Angst? Hat seine Stimme gedonnert: In den Staub mit dir, Sterblicher, Erdling? Oder hat er dich gelobt, dich für deinen Dienst als Bischof geehrt, was war? Da rückt er an mich heran und sagt: das sind törichte, menschliche Vorstellungen von Macht und Lohn. Als würde Jesus seine Macht benutzen, uns klein zu machen. Als wäre der Lohn des Glaubens eine Karriere im Himmel. Es war ganz anders: „Als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie ein Toter.“ Sag ich doch. Vor so einer Jesuserscheinung mit Macht, Schwert, Licht und glühendem Metall muss man ja vor Angst ohnmäch-tig werden. Nein – die Stimme des Johannes wird lauter: Nein, ich hatte keine Angst, sondern Furcht, Ehrfurcht, tiefste Ehrfurcht vor der größten Macht dieser Welt. Diese Macht brennt wie Feuer im Herzen, scheidet wie ein Schwert gut und böse, richtig und falsch, ist rein wie Schnee, kostbar wie Gold. Und das Antlitz dieser Macht leuchtet vor Freude wie die Sonne am Mittag. In Jesus ist mir die Liebe erschienen, die Liebe in Person. Sie hat mich umgeworfen, die Liebe. Ich war mir so sicher, an Jesus zu glauben. Aber in meinen Sorgen um die Kirche und die verfolgten Brüder hatte ich die Macht Jesu, die Liebe vergessen. Es lag ein Grauschleier über meinem Glauben. Der wurde weggerissen, und „ich fiel zu seinen Füßen wie ein Toter.“ Meine Gedanken wandern. Von mir, durch die Gemeinde, schweifen durch die vielen Gemeinden in unserm Land. Ich denke an unsere Kirche: Liegt nicht auch so ein undefinierbarer Grauschleier über Glaube und Kirche? Da ist Angst, die Frage: Wie geht´s wohl weiter? Da ist ein Suchen nach einem Weg, einem gemeinsamen Weg. Und die Antworten sind mehr Schulterzucken als Fingerzeig. Glaube an Jesus ist Vertrauen in die Macht seiner Liebe. Was glauben wir? Welcher Macht trauen wir Wegweisung und Veränderung zu? Welche Kraft, glauben wir, weckt Inspiration und bindet Menschen in Gemeinschaft? Was setzt Menschen in wahre Freiheit, weckt Tote und Hoffnung? Die Macht der Liebe. Die Person Jesu. Ja, sagt Johannes, ich lag tot und doch voller Leben, „und er legte seine rechte Hand auf und sprach zu mir.“ Ich spürte seine warme Hand voller Frieden, wie bei meiner Mutter damals. Diese zarte, feste Berührung nahm Besitz von mir, als spräche sie: du bist mein, ich lasse dich nie, nie, nie. Dann seine Worte, wie Liebe immer spricht, wenn Menschen vor ihr zu Boden sinken: „Fürchte dich nicht!“ Mit diesem Wort leuchtete er in alle dunklen Kammern meines Herzens und finsteren Abgründe meiner Seele. Ja, im Dunkel sucht die Furcht ihr Versteck. Aus dem Dunkel erhebt sie ihren Anspruch: Fürchte dich, ruft sie. Fürchte dich vor Krankheit, Lieblosigkeit, Bloßstellung und Versagen, vor Qual und Tod! „Fürchte dich nicht!“, sprach Jesus mit liebend-leuchtender Stimme. Diese Worte trennten wie ein Schwert Lüge und Wahrheit, die Furcht von der Liebe: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes.“ – Und während ich still bitte: Jesus, lass dich hören und sehen, sehe ich das Brot auf dem Tisch des Glaubens. Er hat sich hören lassen in seinem Wort, sehen in Brot und Wein. Er begegnet mir verhüllt in euch. Zeigt mir seinen Schmerz im Leid des andern. Er streckt mir bittend seine hungrigen Hände hin. Ich begegne Jesus am Bett Sterbender. Sehe, wie er sich auf den Weg macht zu Menschen, die im Gebet ringen. Wo die Liebe Raum bekommt – da ist Jesus. Ja, so ist es: die Liebe reißt dem Glauben den Grauschleier weg. Durch Jesu Liebe bin ich gewiss: Niemand wird heute ohne Trost und Zuspruch gehen. Niemand. Ich sehe es, so wird es sein: Beim Mahl wird uns der Herr, auch mir, seine rechte Hand auflegen. Er wird seine Worte in die Schale meines Herzens fließen lassen, mir zusprechen: „Fürchte dich nicht!“ (Auch für dich) bin ich der Erste und der Letzte und der Lebendige.“ Auch für dich. Amen.