Jesus nachfolgen (Oßling)

Jesus nachfolgen (Oßling)

Phil 2, 1-4                                                 7. Sonntag nach Trinitatis – Oßling, am 15.07.2018

 

„Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre will, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem andern dient.“

 

Liebe Gemeinde!Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Christen in Philippi, wie er sich die christliche Gemeinde vorstellt und wünscht. Was er aufzählt, scheint selbstverständlich. Liebe, Barmherzigkeit, Einigkeit. Da werden wir nicht zögern zu unterschreiben. Dann folgen zwei Voraussetzungen; Grundlagen, auf denen das oben Genannte, nämlich Liebe, Barmherzigkeit und Einigkeit, gelebt werden kann: Demut und Gemeinsinn – anders formuliert: Die Fähigkeit, von sich selbst wegzusehen und den anderen ernst zu nehmen. Wir statt ich. Ist das immer selbstverständlich? Ich gebe zu, dass ich damit manchmal Schwierigkeiten habe – besonders, wenn ich der Meinung bin, dass durch das „Wir“ mein „Ich“ zu sehr in den Hintergrund tritt. Dass ich durch Demut und Gemeinsinn Gefahr laufe, zu kurz zu kommen. – In dieser Woche gedenken wir eines Mannes, der in einer weltpolitischen und zugleich sehr persönlichen Situation das gelebt hat, von dem Paulus schreibt. Ich rede von Nelson Mandela, der am 18. Juli seinen 100. Geburtstag feiern würde – er ist 2013 im Alter von 95 Jahren gestorben. Ihm ist in seinem Leben großes Unrecht geschehen. 28 Jahre lang saß er im Gefängnis, da er sich gegen Rassentrennung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung aufgelehnt hatte. Als er 1990 freigelassen wurde, hätte er nach menschlichem Ermessen jedes Recht gehabt, diejenigen, die ihm sein halbes Leben genommen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen. Doch er folgte nicht den eigenen Interessen, suchte keinen Ausgleich für das erlittene Unrecht, sondern rief noch am Tag seiner Freilassung vor 120.000 Menschen zur Versöhnung auf, um ein geeintes, nichtrassistisches und demokratisches Südafrika in Frieden aufzubauen. Er sah – um mit den Worten Paulus‘ zu sprechen – „nicht nur auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient“, und seien die anderen auch seine jahrzehntelangen Unterdrücker. Die Geschichte hat Nelson Mandela recht gegeben. Das moderne Südafrika, dessen erster Präsident er von 1994 bis 1999 war, wäre ohne seinen Gemeinsinn nicht vorstellbar. – Wenn wir uns diese Worte des Apostels „zu Gemüte führen“, wie der schöne Ausdruck es hinmalt, wissen wir sofort: so sind wir nicht. Viele entsprechen nicht dem Wunsch des Apostels. Die Wahrheit ist: auch Pfarrer nicht. Sie sind Menschen, fehlbar, schusselig bisweilen, gehetzt, mitunter nicht „eines Sinnes“ mit der Gemeinde. Es schadet nicht, sich das gelegentlich einzugestehen. Geistliche sind „nur“ Menschen. Und sollen heute von der Kanzel etwas von „herzlicher Liebe und Barmherzigkeit“ untereinander erzählen. Und dahingehend auch freundlich mahnen, im Namen des Apostels. Das kann schiefgehen: Wenn man es „von oben herab“ tut. Wenn man andere belehren will, statt sich selber zu befragen. Es muss aber nicht schiefgehen. Denn Aufrichtigkeit ist der Anfang heilsamer Worte. Ich bin nicht besser als meine Hörer. Und darf doch von etwas sprechen, was das Leben leichter macht: das einander Achten in Demut. Je klarer ich mich selber frage: Wo war ich unachtsam? Wo soll ich achtsamer werden? – desto aufrichtiger klinge ich und werde gehört. Und wenn man doch an seine Grenzen kommt, was dann? Mit dieser Frage schauen wir auf einen, dem es so ging. Er meinte, er könne dem Anspruch nicht gerecht werden: „seid eines Sinnes, habt gleiche Liebe, seid einmütig und einträchtig.“ Er gestand sich ehrlich ein: ich habe finstere Gedanken, bin einsam, kleinmütig, unruhig, bitter und verstehe die Wege Gottes nicht. Von ihm ist uns ein Gebet überliefert: „Gott, zu dir rufe ich! In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht; ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht; ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe; ich bin unruhig, aber bei dir ist Friede; in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld; ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich.“ So betete Dietrich Bonhoeffer 1944 im Gefängnis,  angesichts seiner zerstrittenen Kirche. Er vertraute diese Nöte Gott an. – Ja, das ist ein Weg: sich und seine Nöte Gott anzuvertrauen. Denn Gebet ist Ringen. Es ist die Mühe, mit Gottes Hilfe zu reifen: zu lernen, nicht aus Eigennutz oder Eitelkeit zu handeln. Auch Demut will geübt werden. Den andern höher als sich selbst zu achten, das können wir nicht einfach so. Aber üben, lernen, das geht. Es gibt zwei triftige Gründe, das zu üben, zu lernen: Wir tun das Gute nicht um der anderen willen, sondern um unserer selbst willen. Wir suchen Eintracht und Einmütigkeit nicht, weil es den andern gut tut, sondern weil es uns gut tut. Paulus hofft nicht auf meine Demut, damit ich anderen einen Dienst erweise, sondern damit Gott mir einen Dienst erweisen kann. Er lässt mich nämlich spüren, wie nahe er denen ist, die sich erbarmen können. Die sich mühen, demütig zu denken und zu handeln. Die mehr auf Eintracht achten als auf das eigene Vorankommen. Wir machen Gott und uns eine Freude. Damit bin ich beim zweiten Grund, er heißt: „Ich bin ein Gast auf Erden“. Ich meine, hier lernen wir doch für den Himmel. Alles, was nicht in den Himmel passt, sollen wir hier schon, auf unserem Weg, ablegen. – Ein Tourist darf in einem Kloster bei Kartäusermönchen übernachten. Er ist erstaunt über die spartanische Einrichtung ihrer Zellen und fragt die Mönche: wo habt ihr denn eure Möbel? Diese fragen zurück: Ja, wo haben sie denn ihre? Meine?, erwidert der Tourist verblüfft. Ich bin ja nur auf Durchreise hier! Eben, werfen die Mönche ein, das sind wir auch. – Wenn wir nur das Leben, die paar Jahre hier hätten, dann wäre es naheliegend zu sagen: Hauptsache ich, was interessiert mich der andere, gut ist, was nur mir nützt. Aber daran glauben wir nicht. Wir glauben: was im Himmel zählt, das hat auch hier Vorrang: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“So hat es uns Jesus vorgelebt und gelehrt. Und wir folgen ihm. Amen.