Noch ganz sauber? (Teil 1)

Noch ganz sauber? (Teil 1)

Hallo,

Was war das verrückteste, das du je für jemanden gemacht hast?
Also, bei mir gibt es nicht eine spezielle Sache, aber wenn ich mal Bilanz ziehe, haben die meisten verrückten Sachen, die ich für jemanden gemacht habe, mit meinem Bruder zu tun. Das liegt nicht daran, dass ich für Daniela keine verrückten Sachen tun würde, aber meinen Bruder kenne ich einfach schon länger und er hat’s in seinem Leben oft auch einfach nötig gehabt. Und überhaupt werden die meisten Sachen irgendwie ein bisschen verrückt, wenn mein Bruder im Spiel ist.
In dem Text, über den ich heute predigen möchte, geht es ebenfalls um jemanden, der etwas verrücktes für seine Freunde macht. Es ist die Geschichte davon, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht. In der Vorbereitung auf heute habe ich nach und nach so viele Dinge entdeckt, über die es wert ist mal nachzudenken, dass ich beschlossen habe, heute nur einen Teil der Geschichte zu betrachten. Heute also „Noch ganz sauber? – Teil 1“. Und dann beim nächsten Mal Teil 2 und wenn mir noch mehr einfällt später noch Teil 3.
Aber bevor wir uns den Predigttext anschauen werden, möchte ich erst mal den Zusammenhang beleuchten, in dem er steht. Die Geschichte finden wir im Johannes-Evangelium im 13. Kapitel. Bis zum Ende des 12. Kapitels wird über das öffentliche Auftreten von Jesus berichtet, seine Wunderheilungen, seine Predigten, seine Auseinandersetzungen mit den verschiedensten Menschen. Mit dem Text, um den es heute geht, beginnen fünf Kapitel, die sich ausschließlich mit den Geschehnissen und Worten an dem einen Abend befassen, bevor Jesus gefangen genommen wird. Und selbst die Berichte über Gefangennahme, Verurteilung, Kreuzigung, Tod und Auferstehung umfassen danach nur noch vier Kapitel. Fünf Kapitel also, die einen Zeitraum von vielleicht 3 Stunden beschreiben. Ich hab mal überlegt. Aber mir ist keine Begebenheit in der Bibel eingefallen, die so ausführlich und konzentriert beschrieben wird, wie dieser eine Abend. Und wenn ein Ereignis in der Bibel so ausführlich beschrieben wird, dann will es unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und deshalb wollen wir mal aufmerksam schauen, wie dieser Abend beginnt, an dem Jesus sich ganz viel Zeit allein für seine Jünger nimmt. Und ich lese aus Johannes 13,1-5.

1 Vor dem Passahfest aber, als Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zu dem Vater hinzugehen – da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.
2 Und bei einem Abendessen, als der Teufel schon dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, es ins Herz gegeben hatte, dass er ihn überliefere,
3 steht Jesus – im Bewusstsein, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe –
4 von dem Abendessen auf und legt die Oberkleider ab; und er nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich.
5 Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war.
(Joh.13,1-5; ELB)

Wir können uns bildlich vorstellen, wie diese Szene ausgesehen haben könnte. Eben noch ein normales Abendessen und auf einmal fängt Jesus an sich auszuziehen, bindet sich ein Tuch um, nimmt eine Schüssel mit Wasser und fängt an seinen verdutzten Jüngern die Füße zu waschen. Totenstille. Keiner sagt was. Komplette Sprachlosigkeit. Und wenn ich mir das so vorstelle, wäre das, glaube ich, auch meine Reaktion gewesen. Was macht Jesus da? Und vor allem warum macht Jesus das?

Im ersten Vers wird zumindest schon mal seine Motivation genannt: „Da er die Seinen geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.“ Das wirkt auf den ersten Blick so, als würde Jesus, jetzt, da er weiß, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat, noch irgendwas besonderes machen wollen, um seinen Jüngern zu zeigen, wie sehr er sie liebt. Jetzt diesen Moment nochmal unvergesslich machen, bevor das Ende kommt. Aber wenn man mal genauer in den Text schaut, steht da im Griechischen eigentlich nicht, dass er sie „bis ans Ende“ liebte. Man könnte den Text vielleicht treffender Übersetzen mit: „Da er die Seinen geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ziel.“
Jemand hat mal gesagt: „Gottes Liebe zu uns kommt nicht zu einem Ende, sondern zu einem Ziel.“ Im Phillipperbrief heißt es:

6 Ich bin ebenso in guter Zuversicht, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Christi Jesu.
(Phil.1,6; ELB)

Diese Fußwaschung von Jesus an seinen Jüngern ist keine verzweifelte Liebestat, sondern verfolgt ein Ziel. Auch mit der Liebe, die Gott uns entgegenbringt verfolgt er ein Ziel für unser Leben. Es gibt für Gott keine hoffnungslosen Situationen, in denen er uns zum Abschied die Füße wäscht, damit wir ihn nicht ganz vergessen, wenn er nicht mehr da ist. Selbst wenn es in unseren Augen vielleicht gerade wie das Ende aussieht. Die Motivation hinter allem, was Gott in unserem Leben tut, ist die hoffnungsvolle Liebe zu uns, die mit unserem Leben ein gutes Ziel verfolgt.

Aber auch, wenn wir das jetzt wissen, bleibt die Frage doch offen: Warum macht Jesus ausgerechnet so was? Jesus, der in den vergangenen drei Jahren so krasse Dinge getan und so heftige Sachen gesagt hat. Ist ihm nicht bewusst, wozu er im Stande wäre? Könnte er da nicht was richtig Mächtiges tun, um den Jüngern seine Liebe zu zeigen? Füße waschen… Das könnte doch nun wirklich jeder.
Nun, interessanter Weise steht auch hier wieder direkt im Text, dass wir ausschließen können, dass Jesus nicht wüsste, wer er ist. Ganz im Gegenteil. In dem Moment, in dem er von dem Abendessen aufsteht, wird noch mal betont, in welchem Bewusstsein er das tut: „im Bewusstsein, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“.
Man könnte auch sagen, Jesus hatte in dem Moment , in dem er aufstand um seinen Jüngern die Füße zu waschen, die drei großen Fragen eines Menschen für sich geklärt: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?
Jesus weiß, dass er der ist, der von Gott alles in die Hände gegeben bekommen hat. Und er weiß, dass er selbst von Gott kommt und auf dem Weg zu ihm hin ist. Natürlich hätte er etwas krasses Übernatürliches tun können und dessen war er sich in dem Moment auch bewusst. Und es ist an dieser Stelle bezeichnend für Jesus, dass er in dem Moment darauf verzichtet seine alles umfassende Macht zur Schau zu stellen. Statt dessen wählt er unter allen Möglichkeiten, die er hat, einen unspektakulären, oder vielleicht gerade durch die Einfachheit schon wieder spektakulären Weg auf der Beziehungsebene.
Bis vor ein paar Stunden noch war Jesus in der Öffentlichkeit unterwegs. Da ging es ihm darum, dass die Menschen sehen und erkennen können, wer er ist. Aber jetzt ist er mit seinen Jüngern zusammen, die er liebt. Jetzt geht es ihm darum, dass die Jünger erkennen können, wer sie sind. Jesus möchte den Jüngern helfen, diese drei Fragen nach dem „Wer bin ich?“, „Wo komm ich her?“ und „Wo gehe ich hin?“ für sich beantworten zu können. Und genau das ist es, worüber Jesus an diesem besonderen Abend mit seinen Jüngern reden will. Gegen Ende des Abends wird er ihnen im Gebet folgendes zusagen:

22 Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast [er spricht mit Gott], habe ich ihnen gegeben, dass sie eins seien, wie wir eins sind.
(Joh.17,22; ELB)

Jesus will seine Jünger Anteil haben lassen an seiner  eigenen Identität. Und weil das Thema Identität so persönlich ist, eröffnet Jesus diesen Abend nicht mit einem Feuerwerk an Wundern und Zeichen, sondern mit einer ganz einfachen Handlung auf der Beziehungsebene. Einfach weil er’s kann.
Und auf dieser Beziehungsebene will er auch uns begegnen. Vielleicht erwarten wir von Gott ebenfalls große Wunder und die Lösung aller Probleme, dabei will Gott uns gerade zu allererst einfach persönlich begegnen. Ganz unspektakulär, fast schon lächerlich einfach.

Und das ist das Besondere an Jesus: Weil er seine Jünger liebt und weiß, wer er selber ist, entscheidet er sich dazu ihnen zu dienen. Was Jesus da macht, das ist normalerweise die Arbeit eines Sklaven. Jesus unterstreicht dieses Bild sogar nochmal, indem er sein Obergewand auszieht, so wie ein Sklave. Und es ist seine freie Entscheidung. Niemand hätte das von ihm einfordern können. Im Philipperbrief schreibt Paulus über Jesus:

7 Aber er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist, und der Gestalt nach wie ein Mensch befunden.
(Phil.2,7; ELB)

Nun könnte man dem Missverständnis verfallen, dass, wenn Jesus unser Diener ist, wir seine Herren wären. Und als Herren könnten wir ihm jetzt sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Aber Jesus ist ein sehr autonomer Diener und mit Recht schreibt Paulus hier von der Knechts-Gestalt. Also, Jesus hat die Gestalt und auch den Dienst eines Knechts angenommen, weil er’s kann, aber er ist nicht unser Knecht. Wie bereits gesagt, verfolgt Jesus immer noch Sein Ziel mit unserem Leben. Und wie bereits gesagt, ist Jesus immer noch der, dem Gott alles in die Hände gelegt hat.

Ich glaube, dass wir das eigentlich wissen. Aber wenn ich mir so mein Gebetsleben anschaue, glaube ich, dass ich es manchmal noch nicht so ganz begriffen habe. Und wenn Jesus bei mir mit Füße waschen fertig ist, dann würde ich ihn manchmal am Liebsten auch noch gerne zum Fenster putzen und Geschirr spülen einteilen.
Aber Jesus hat sich nicht zu meinem Diener gemacht, um mir zu helfen meine Ziele zu erreichen, sondern um mir zu helfen mich nach Gottes Zielen auszustrecken.

Was Jesus uns durch diese Geschichte bildlich vor Augen führt, ist im Grunde eine Begriffserklärung. Und der Begriff, um den es geht, ist Demut. Und weil dieser Begriff so leicht missverstanden wird, wenn man nur drüber redet, entscheidet sich Jesus die drei Schritte, die es zur Demut braucht, einfach mal vorzuleben. Und das sind genau die drei Punkte, die ich gerade genannt habe:
Zuallererst braucht die Demut die Liebe zu den Menschen als Motivation. Keine verzweifelte Liebe, die eigentlich keine Hoffnung mehr für die Menschen hat, dass da noch mal was draus wird, sondern eine, die nicht ans Ende, sondern ans Ziel kommt.
Als Zweites braucht es zur Demut das Bewusstsein, wer man wirklich ist, wo man herkommt und wo man hingeht. Und das Bewusstsein, was Jesus hier seinen Jüngern vermitteln will, ist kein kleines, schwaches, hilfloses Bewusstsein, was keine andere Möglichkeit hat als die Drecksarbeit zu machen, sondern ein großes, von Gott gegebenes, dem alle Möglichkeiten offenstehen.
Und als Drittes braucht es die freiwillige Entscheidung es praktisch werden zu lassen und den Menschen zu dienen. Eine Entscheidung, die sich nicht zu schade ist, sich die Hände schmutzig zu machen, aber die weder die Liebe zu den anderen noch das Bewusstsein für einen selbst aus dem Blick verliert.
Das und nichts anderes ist Demut, wie sie Jesus vorgelebt hat. Wenn eine dieser drei Voraussetzungen fehlt, ist es vielleicht irgendetwas, aber keine Demut.

Ich möchte es noch mal so zusammenfassen: Demut bedeutet sich aus hoffnungsvoller Liebe heraus dazu  zu entscheiden anderen zu dienen in dem vollen Bewusstsein, wer man ist.

Die Geschichte von der Fußwaschung fängt an dieser Stelle eigentlich gerade erst an. Und Jesus ermutigt seine Jünger in den kommenden Versen dazu sein Handeln als Vorbild zu nehmen. Aber nicht nur hier, sondern auch an anderer Stelle fordert Jesus seine Jünger dazu auf von ihm Demut zu lernen. Und weil ich nicht den Predigttext vom nächsten Mal vorweg greifen will, zitiere ich an dieser Stelle aus dem Matthäus-Evangelium, wo Jesus sagt:

29 Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.
(Mt.11,29a; ELB)

Ich habe zu Beginn der Predigt die Frage gestellt, was das verrückteste war, das du je für jemanden gemacht hast.
Jesus hat hier ordentlich vorgelegt und gezeigt, was Demut ist.
Ich hoffe, dass wir uns einladen lassen diesem Beispiel zu folgen.