Prophetische Worte

Prophetische Worte

Jeremia 23, 16-29                  2. Sonntag   nach   Trinitatis        Oßling/Großgrabe, am 10.06.2018

 

„So spricht der Herr Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird euch wohlgehen, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. Aber wer hat im Rat des Herrn gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. Und des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der Herr. Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lügen weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“

Liebe Gemeinde! Gott ist kein Goldfisch im Glas: Ein schöner Blickfang, aber ohne Bedeutung. Das muss der Prophet vor 2.600 Jahren den Gläubigen unter die Nase reiben. Da tritt einer ungefragt im Gottesdienst, in heiliger Stunde auf und ruft: Ihr macht hier nur Kaspartheater. Ihr erniedrigt euern Gott, den ihr glaubt. Denn ihr wollt euch nicht nach ihm richten – er soll sich nach euch richten. Ihr bringt Opfer, damit er eureWege segnet. Ihr betet, damit eure Pläne gelingen. Ihr seht Religion als taugliches Mittel für die Erreichung eurer politischen Ziele. Gott habt ihr damit zu einen praktischen Instrument für euer Leben gemacht, Gott habt ihr zum Götzen degradiert. – Das ist Religionskritik. Zu allen Zeiten hat sie die Religiösen erzürnt und erschreckt. Die Adressaten seiner Rede sind hier wohl zuerst die Verantwortungs-träger in Tempel und Palast, die Entscheidungsträger in Politik und Kirche. Jeremia: ein heilsamer Unruhestifter. Von seinen Zeitgenossen wurde er nicht nur gemieden und gefürchtet, sondern auch verfolgt und misshandelt. Die Enkelgeneration allerdings sah das dann anders, kam zu der Einsicht: Der Mann hatte recht, er hat die Wahrheit verkündet. Sie saßen als Sklaven in Babel, 1000 km von Zion entfernt, der Tempel ein Schutthaufen, Jerusalem zerstört und auch der so lautstark gepredigte Glaube an einen Gott, der Land und Volk immer beschützen müsse, lag in Trümmer. Gott hat uns nicht vor dem Untergang bewahrt. Was nun, kleiner Mann? Was war damals los, fragen die Enkel ihre Großeltern. Ob unser Volk je wieder heimkehren darf? Erst durch den Zerbruch innen wie außen gingen vielen die Augen auf, wie es weiter-gehen könnte: es gibt keine äußere Heimkehr ohne innere Umkehr. Umkehr braucht einen Kompass. Was gilt nun? So rücken die einst geschmähten, verachteten und gefürchteten Worte des alten Propheten in den Focus, die Mitte der Aufmerksamkeit. Erst als kein Weg nach vorn mehr war, wurde Erinnerung bedeutsam. Wer seine Vergangenheit betrachtet, findet Weg und Antwort für seine Gegenwart. Das hatte dieser verzweifelt-zornige Prophet doch immer wieder angemahnt: Von dem Wohlleben einiger und der Armut vieler. Von den Schwachen, die ihr Recht nicht bekamen. Vom Tun am Sonntag im Gottesdienst und den Untaten im Alltag. Und statt die Probleme beim Namen zu nennen, predigten die Priester: Gott spricht, es wird euch gut gehen, es ist Friede zwischen Gott und uns, Gott ist mit uns. Aber die schönen Gottesdienste und Reden änderten nichts am Unrecht im Lande, die Gesellschaft war krank, in völliger moralischer Schieflage. Glaube an Gott muss in solchen Zeiten seine Kraft entfalten und dagegenhalten, Ausgleich schaffen: der Lüge eben die Wahrheit entgegenhalten. Dem Unrecht das Recht. Einen Missstand kennen und ihn beseitigen sind zwei Paar Schuhe. Erst muss man begreifen, dass die Sache ernst ist. Den Ernst der Lage klar machen, das ist prophetische Arbeit. „Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr“,  ruft Jeremia in die Versammlung. Begreift es doch, mit Feuer spielt man nicht. Ihr aber – er wendet sich an die Prediger – ihr kündet lauthals: So spricht der Herr. Mit diesem Ausspruch hängen die Gläubigen an euren Lippen, aber statt Gottes Wort legt ihr eure eignen Ansichten und Weisheiten dar.  Ihr sorgt dafür, dass euern Zuhörern Hören und Sehen vergeht, indem ihr die Wahrheit verkleistert und sagt: Alles wird gut, dafür sorgt Gott. So verhindert ihr eine echte Umkehr. Merkt ihr nicht, dass unser ganzes Miteinander vor dem Kollaps steht? Wortlaut Jeremias: „Gott spricht: Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.“Im Rückblick erkennen die Überlebenden der Katastrophe, dass sie den Lügnern vertraut haben und fragen sich: Wieso haben wir Jeremia nicht ernst genommen, als er uns die Konsequenzen aufzeigte: „Hört nicht auf die Worte der Propheten…sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn…es wird kein Unheil über euch kommen…aber siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm…des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.“ Viele nicken still. Jetzt ist uns vieles klar. –  Wie mögen die in den Trümmern ihres Glaubens und ihrer Existenz Stehenden diesen Satz gehört haben, vom Leben mit und ohne Gottes Nähe: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ Wie sich alles umkehrt, mag einer der Alten sagen. Damals im Tempel, unsrer „heilen“ Welt, beim Opfer und Gottesdienst, meinten wir: Gott ist uns nah. Aber er war fern, wir waren fern von ihm, hielten ihn uns mit Frommsein vom Leibe. Heute, wo wir nichts mehr haben, außer unsere zerbrochnen Herzen und unseren nur noch verzweifelt glimmenden Glaubensdocht, da ist Gott nahe mit seinem Feuerwort. Ja, Gottes Wort hat die Kraft unseren Glauben zu entzünden. Und Gott ist nahe denen, die zerbrochnen Herzens sind (Psalm 34,19). – Prophetische Worte sind Weckrufe. Wach und bereit sein, innerlich umzukehren, der Reue und Buße vor Gott Raum zu geben. Wach sein für die Gemeinschaft unseres Glaubens, für unsere Kirche. Respektvoller Umgang mit dem Wort Gottes, dafür eintreten, dass Wort und Sakrament, Gebet und Glaube an Christus Mitte und Fundament sind. Wach sein für unser deutsches Volk, unsere Kultur. Im Lichte der Bibel betrachten: was geschieht unter uns, mit uns? Sind wir, unsere Kirche, unser Volk wach? Dann sind wir Propheten! Wenn nicht, brauchen wir sie. 2.000 Jahre nach Jeremia, 1561 dichtet Johann Walter: „Wach auf, wach auf du deutsches Land! Du hast genug geschlafen…Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt, will niemand Wahrheit hören; die Lüge wird gar fein geschmückt, man hilft ihr oft mit schwören; dadurch wird Gottes Wort veracht, die Wahrheit höhnisch auch verlacht, die Lüge tut man ehren…Gott warnet täglich für und für, das zeugen seine Zeichen,, Deutschland, lass dich erweichen…Herr Jesu Christe, hilf uns nu und gib uns deinen Geist dazu, dass wir dein Warnung fassen.“ (EG 145) Das erbitte ich für uns. Amen.