So nah und doch so fern

So nah und doch so fern

Bevor ich mit unserer neuen Themenreihe und dem Thema für heute anfange, möchte ich gerne noch mal an letzter Woche anknüpfen. Ich möchte euch noch mal an die letzte Frage erinnern, die ich in meiner Video-Botschaft gestellt hatte: An welchem Punkt, glaubst du, möchte Jesus dich aktuell herausfordern, dir was sagen, in dein Leben hineinwirken? Und wie ist es dir damit in der letzten Woche gegangen? Ich möchte dich ermutigen da dran zu bleiben. Und vielleicht schnappst du dir heute in oder nach der Kleingruppe deinen Kleingruppenleiter oder jemand anderen, dem du vertraust, und sprichst noch mal mit ihm oder ihr darüber und bringst das im Gebet vor Gott. Damit Gott in deinem Leben wirk.

Und damit sind wir auch schon bei unserer neuen Themenreihe, „How to pray“, in der wir uns mit dem Vater Unser beschäftigen wollen. Jetzt ist es ja so, dass dieses Gebet ja das bekannteste unseres ganzen Glaubens ist. Selbst Leute, die überhaupt nicht an Gott glauben, können es auswendig. Es wird nahezu in jedem Gottesdienst gesprochen. Und ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mir geht das häufig so, dass ich da überhaupt nicht mehr drüber nachdenke. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt den Rhythmus von der Gemeinde beizubehalten, also nicht schneller oder langsamer zu sein als die anderen. Und ich mach mir kaum darüber Gedanken, was ich Gott da gerade sage und was es mit diesem Gebet auf sich hat.

Aber genau damit wollen wir uns in den kommenden Wochen beschäftigen. Was steckt hinter diesem Gebet? Warum ist es so bedeutend? Und was hat das mit uns zu tun?

In Lukas 11 lesen wir davon, dass die Jünger von Jesus zu ihm kommen und ihn bitten: „Erklär uns, wie wir beten sollen!“ Sie haben mitbekommen, dass Jesus sich immer wieder Zeit genommen hat um alleine mit Gott zu sein und zu beten. Und das hat sie beeindruckt. Scheinbar haben sie gemerkt, dass zwischen den krassen Wundern, den genialen Predigten und überhaupt seinem ganzen Charakter ein enger Zusammenhang zum Gebet besteht. Jesus betet und danach passieren krasse Dinge.
Es war also nicht so, dass Jesus gesagt hat: „So, Jungs, wenn ihr weiter mit mir durch die Gegend ziehen wollt, müssen wir jetzt erst mal Beten lernen. Und wehe, ihr macht das nicht gründlich genug, dann nachsitzen!“ Sondern die Jünger sind von sich aus auf den Trichter gekommen: Beten muss der Schlüssel zu der Vollmacht von Jesus sein. Also fragen sie ihn einfach: Wie geht das? Und Jesus antwortet ihnen (nach Matthäus):

9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.
10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
11 Unser tägliches Brot gib uns heute.
12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
(Mt.6,9-13; LUT)

Das ist das Gebet, das Jesus seinen Jüngern auf die Frage, wie sie beten sollen, an die Hand gibt. Und heute soll es um den ersten Abschnitt gehen: „Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.“

Alles fängt mit der Anrede an: „Unser Vater.“ Wir hatten vor zwei Jahren mal eine Themenreihe darüber, was Gott alles ist: Unser Schöpfer, unser Freund, unser König, unser Priester, unser Richter, unser Arzt, unser Retter. Und es gibt bestimmt noch vieles mehr, was Gott ist, und ich weiß nicht, wer Gott für dich ist. Aber Jesus sagt, es fängt damit an, dass Gott unser Vater ist. Vielleicht hast du das schon so oft gehört, dass dich das kalt lässt. Aber im Grunde ist diese Aussage revolutionär. Ja skandalös.
Jesus kann das ja vielleicht sagen. Er war ja tatsächlich Gottes Sohn. Aber wir? Jeder von uns hat doch einen Vater. Und zwar genau einen. In meinem Fall und ich denke, für viele von euch trifft das auch zu, ist mein Vater ein Mann, dem ich unendlich viel verdanke. Ohne ihn gäbe es mich nicht. Und erst recht, seitdem es mich gibt, hat er so unendlich viel in mein Leben investiert. Da kann ich doch nicht einfach jemand anderen als Vater bezeichnen.
Und um eines vorwegzunehmen: Es ist nicht Gottes Absicht, unseren leiblichen Vätern das Heft aus der Hand zu nehmen, zu sagen: „Weg da, ich mach das jetzt!“. Gott hat sich ja selbst Familie mit Vater und Mutter ausgedacht und sie ist, so wie er sie sich gedacht hat, eine seiner besten Ideen überhaupt. Diese Idee wird er nicht torpedieren.
Aber Gott weiß um ein Bedürfnis in uns Menschen, das kein leiblicher Vater vollkommen erfüllen kann: Und das ist bedingungslose Geborgenheit und Vertrauen. Und egal, ob du Junge oder Mädchen, Mann oder Frau bist, dieses Bedürfnis tragen wir alle in uns.

Ich denke, jeder von euch wurde in seinem Leben schon von seinem leiblichen Vater enttäuscht. Die einen mehr, die anderen weniger. Die einen früher, die anderen später. Vielleicht ist das Wort „Vater“ für dich sogar so negativ besetzt, dass es dir schwer fällt, mit Gott als Vater was anfangen zu können. Aber selbst wenn du einen genialen Vater hast, wie ich einen habe, wird es Punkte geben, wo dieser Vater ratlos wird, nicht mehr da ist oder schlichtweg nicht der sein kann, den du brauchst.
Vielleicht hat diese Erfahrung in deinem Leben sogar dazu geführt, dass du dich von diesem Gedanken abgewendet hast, dass da jemand für dich da ist, dem du bedingungslos vertrauen kannst, der dieser Vater für dich sein kann. Vielleicht hast du auch versucht dieses Bedürfnis auf andere Beziehungen zu übertragen und wurdest enttäuscht.
Umso eindringlicher beginnt das Vater Unser für dich mit der Einladung Gott als dem perfekten Vater zu begegnen. Im besten Fall ist unser leiblicher Vater ein Bild für das, was Gott in Vollkommenheit für uns sein will. Im schlechtesten Fall, ist unser leiblicher Vater ein Grund mehr, warum wir Gott als vollkommenen Vater so sehr brauchen.

Dieser Gedanke ist aber noch aus einem anderen Grund so revolutionär: Die Jünger sind so beeindruckt von der Macht Gottes, die sie mit Jesus erleben, und fragen, wie sie am Besten mit diesem mächtigen Gott in Kontakt treten können. Wie arme Bettler oder Diener, die keine Ahnung haben, wie sie eine Audienz beim König bekommen können. Wie sie Zugang zu etwas bekommen können, was ihnen nicht gegeben wird. Und die ängstlich fragen, wie sie sich verhalten müssen, damit dieser König sie auch anhört. Und Jesus sagt ihnen, dass sie sich darum gar keine Gedanken machen müssen. Er sagt: Ihr seid nicht irgendwelche Sklaven, die ängstlich vor einem König knien, sondern ihr seid seine Kinder und als solche dürft ihr auch zu ihm sprechen. Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer:

15 Der Geist, den Gott euch gegeben hat, ist ja nicht ein Sklavengeist, sodass ihr wie früher in Angst leben müsstet. Es ist der Geist, den ihr als seine Söhne und Töchter habt. Von diesem Geist erfüllt rufen wir zu Gott: »Abba! Vater!«
16 So macht sein Geist uns im Innersten gewiss, dass wir Kinder Gottes sind.
(Röm.8,15.16; GNB)

Gott ist für uns kein unnahbarer König, vor dem wir Angst haben müssten. Sondern dieser König ist unser Vater. Und wir haben das Privileg als seine Kinder zu ihm zu kommen. Und er freut sich darüber, wenn wir das tun.
Manuel, mein Schwager, ist einer der ungeduldigsten Menschen, die ich kenne. Es gibt nichts, was er so sehr hasst, wie wenn jemand seine Zeit sinnlos in Anspruch nimmt. Nun lernt meine Nichte gerade sprechen und tut sich etwas schwer damit, kennt noch nicht die Wörter oder spricht sie falsch aus und so weiter. Es kostet viel Zeit sie zu verstehen. Ich glaube, sie wäre keine Person, der Manuel länger als zwei Minuten zuhören würde. Aber sie ist seine Tochter. Du kannst mir glauben, dass er sich alle Zeit der Welt nimmt ihr zuzuhören um sie zu verstehen.
Und ich glaube, so ist Gott auch. Er hört geduldig zu, wenn seine Kinder mit ihm reden wollen.

Ich kann mir vorstellen, dass das für dich ein bisschen kitschig klingt. Gerade, wenn du mit Sätzen groß geworden bist, wie: „Werd mal endlich erwachsen!“ „Führ dich hier nicht so auf wie ein Kind!“ „Du bist doch kein Baby mehr!“
Und vielleicht ist es noch mal wichtig zu sagen, dass es einen Unterschied zwischen kindischem Verhalten und kindlichem Verhalten gibt. Ich finde es erstaunlich, dass wir uns – und da schließe ich mich mit ein – viel leichter kindisch, also albern und blöd, verhalten, als kindlich, also ehrlich und verletzlich.
Vielleicht weißt du ja genau, was ich meine. Vielleicht ist da Stolz, der dich davon abhält, wirklich Kind vor Gott zu sein. Mit großen Träumen, schnellen Tränen und kleinen Füßen. Aber das ist die Art und Weise, wie unser Gebet anfängt. Das ist die Art und Weise, wie unsere Beziehung zu Gott anfängt. Als sein Kind.

Ein kurzer Gedanke noch zu dieser Anrede „Vater Unser“. Ich habe mich früher immer gewundert, warum wir nicht „Unser Vater“ sagen – für die Germanisten: also das Possessivpronomen vor das Nomen setzen, wie es sich gehört. Mittlerweile aber finde ich das sogar ziemlich genial.
Vielleicht ist es dir aufgefallen: Das Vater Unser ist durchgängig in der Wir-Perspektive – 1.Person Plural – formuliert. Es ist ein Gemeinschaftsgebet. Das ist umso erstaunlicher, weil im Lukas-Evangelium ein einzelner Jünger Jesus fragt, wie das mit dem Beten funktioniert. Und dann kommt ein „Wir“-Gebet. Aber irgendwie ist es ja logisch: Wenn Gott mein Vater ist, sind alle seine Kinder meine Geschwister. Dadurch, dass wir das Gebet mit „Vater“ beginnen, gibt es automatisch die Gemeinschaft seiner Kinder, die gemeinsam „Vater unser“ sagen. Erst durch den Vater gibt es diese Gemeinschaft. Oder glaubt ihr wirklich, Kim oder Magda würden irgendwas mit mir gemeinsam haben, wenn wir nicht den gleichen Vater hätten? Dass Gott unser Vater ist schafft Gemeinschaft. Keiner, der zu Gott als sein Kind kommt und ihn Vater nennt, ist für mich weniger als mein Bruder oder meine Schwester. We are family.

So, das waren die ersten zwei Wörter aus dem „Vater Unser“. Sechs schaffen wir heute noch. „Vater unser im Himmel“. Über den Himmel und Gottes Reich wird es in den kommenden Wochen noch ausführlich gehen, deswegen will ich heute dazu nicht viel sagen. Nur so viel: Das gesamte Vater Unser ist eine Einladung unser ganzes Leben aus einer neuen Perspektive zu sehen. Aus Gottes Perspektive. Und da ist es gut, dass seine Perspektive nicht aus dieser Welt, sondern himmlisch ist, auch wenn das vielleicht weit weg klingt. Er lädt uns ja zu sich ein, quasi schon jetzt den Himmel auf Erden zu erleben. Dieses „im Himmel“ bedeutet keine räumliche Entfernung, sondern beschreibt die Perspektive aus einer anderen Dimension, zu der Gott uns einlädt.
Wie gesagt, wir werden nächste Woche noch einiges mehr darüber erfahren, was in diesem Gebet noch über den Himmel gesagt wird.

Der letzte Gedanke, den wir heute anschauen wollen, ist „Dein Name werde geheiligt“. Keine Ahnung, was das mit dir macht, aber schon ohne groß drüber nachzudenken, was das bedeuten soll, klingt das in meinen Ohren irgendwie genial. So nach Lobpreis. Das klingt danach, dass wir z.B. Lieder singen, die davon handeln, wie genial Gott ist. Aber auch, dass der Name Gottes eine gewisse Ehrfurcht ausstrahlt. Das ist etwas besonderes, nicht von dieser Welt und mit nichts auf dieser Welt zu vergleichen. Das ist schon genial.
Als ich das dann in dem Zusammenhang mit dem „Vater unser“ noch mal gelesen habe, ist mir aber noch was ganz anderes aufgefallen.
Wenn Gott doch unser Vater ist, dann tragen wir doch seinen Namen. Noch mehr als bei uns ist im Hebräischen der Name des Vaters fester Bestandteil des eigenen Namens. Wenn du Jakob heißt und dein Vater Isaak, dann ist dein vollständiger Name Jakob Ben Isaak.
Und wenn ich Daniel heiße und Gott mein Vater ist. Dann trage ich seinen Namen und bin Daniel, ein Kind Gottes. Das bedeutet, nicht nur das, was ich Freitag Abends hier im Input mache, wenn ich mir dessen bewusst bin, trägt den Namen Gottes, sondern auch das, was ich im Alltag tue, wenn ich mir dessen vielleicht nicht so bewusst bin. Und wenn wir darum beten, dass Gottes Name geheiligt wird, dann beten wir nicht zuletzt darum, dass alles, was wir tun, seinem Namen Ehre machen soll. Lobpreis ist keine Zeit mit Musik Freitag Abend, sondern Lobpreis ist ein Lebensstil. Im Alten Testament heißt es:

2 […] ›Ihr sollt heilig sein; denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.‹
(3.Mose 19,2; GNB)

Und im Neuen Testament heißt es:

9 Ihr aber seid das erwählte Volk, das Haus des Königs, die Priesterschaft, das heilige Volk, das Gott selbst gehört.
(1.Petr.2,9a; GNB)

Was für ein hoher Anspruch: Das Geniale ist ja, dass man als Kind automatisch seinen Eltern ähnlich ist. Ok, für manche ist das auch eher ein Problem. Aber sei’s drum. Das hat was mit DNA zu tun und Biologie. Das brauche ich euch nicht zu erklären.
Und jetzt ist es so, dass Gottes DNA ebenfalls schon in uns angelegt ist und darauf wartet, dass es zur Entfaltung kommen kann. Es ist also kein Krampf, als ein Kind Gottes zu leben und seinen Namen zu heiligen. Es ist eine Frage, ob wir diese Veränderung zulassen, die geschieht, wenn wir uns seiner Gegenwart aussetzen. Wir sind nicht einfach irgendwelche Findelkinder oder nur adoptiert. Wir, die wir an Jesus glauben und durch ihn neu geboren sind, tragen Gottes DNA, die seinem Namen Ehre machen will, bereits in uns. Johannes bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:

1 Seht doch, wie sehr uns der Vater geliebt hat! Seine Liebe ist so groß, dass er uns seine Kinder nennt. Und wir sind es wirklich: Gottes Kinder!
(1.Joh.3,1a; GNB)

Amen.

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