Wo ist dein Bruder? (Oßling)

Wo ist dein Bruder? (Oßling)

1Mo 4, 1-16a                                                                   13. Sonntag nach Trinitatis – Oßling, am 26.08.2018

„Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist´s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und hat nach dir Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: lass uns auf´s Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verfluchst seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird´s mir gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, der soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn.“

Liebe Gemeinde! Ein Krimi. Und alles, was einen richtigen Krimi ausmacht: Eifersucht, Streit, Angst, Mord, Provokation, ein Verhör, Spannung bis zum Schluss, ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit. Es geht um echte Männer und schlechtes Gewissen. Ein guter Krimi ist ein Psychodrama, anfangs kaum zu durchschauen. Ein guter Krimi hat natürlich auch einen etwas eigentümlichen Kommissar. Der Krimi beginnt mit einer Leiche. In diesem Fall liegt sie auf einem Feld. Blutüberströmt. Auf einem spätsommerlichen Stoppelacker. Eine himmelschreiende Untat. Zunächst geht es für den Kommissar natürlich um die Identifizierung des Toten. Die Eltern werden gebeten. Adam und Eva geben zu Protokoll: Ja, der Tote ist unser Sohn. Abel. Das war dem gewieften Kommissar natürlich längst klar. Schwieriger war die Frage nach dem Täter. Die Eltern kamen nicht in Betracht. Die waren schon bei der Geburt auf ihre Söhne stolz, sie hatten kein Motiv. Obwohl: Die Geschichte mit dem Apfel damals war ja auch nicht ohne kriminelle Energie. Menschlich eben. Von Anfang an ist der Bruder der Hauptverdächtige: Kain. Der hat schon in den letzten Wochen seltsames Verhalten an den Tag gelegt. Ist bei Gesprächen ausgewichen und hat einem nicht mehr in die Augen schauen können. Verwarnungen hatte es gegeben. Im Protokoll steht: „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster den Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist´s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und hat nach dir Verlangen; du aber herrsche über sie.“ War das eine gute vorbeugende Maßnahme, genug Kriminalitätsprävention? Einen potenziellen Straftäter auf die Moral ansprechen? Fromm sein. Das ist doch aus der Mode, oder? „Fromm“ ist zwar ein altes Wort, aber es hat sehr viel mit Treue, Tapferkeit und Geradlinigkeit zu tun. So altbacken ist es also gar nicht. Treue und Standfestigkeit sind Tugenden, die den Menschen, besonders Jugendlichen, sehr viel bedeuten, sagt die Shell-Studie. Wer geradlinig ist und treu, der kann auch vertrauensvoll in andre Augen sehen. Wenn er das nicht kann, dann hat er etwas zu verbergen. Das weiß jeder halbwegs geübte Krimigucker. Also, man muss die dunkle Seite der eignen Seele beherrschen. eine große, wichtige Aufgabe. Eine lebenslange Aufgabe, scheint mir. Jeder kennt die Verlockungen und Abgründe, die sich in unseren Gedanken, der Phantasie immer wieder auftun. Nur ist die Phantasie nicht das Leben. Deshalb sollte man das eine und das andere gut trennen. Ich weiß, das ist nicht leicht. Keineswegs. Aber es hat große Bedeutung, dass wir in unserem Leben Gutes tun. Für andere und für uns selbst. Und ich tue mir ja nichts Gutes, wenn ich mein Handeln nicht gut überlege. Da muss ich vorher genau hinsehen, auch auf die Konsequenzen, mich fragen: Warum möchte ich es tun? Ist es gut für mich und die anderen? Das Elternhaus, die Kindheit, meine Prägungen spielen eine erhebliche Rolle dabei. In unserm Fall ist das Elternhaus stolz auf den Erstgebornen. Im Protokoll ist vermerkt: „Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.“ Kain war also von Anfang an ein „richtiger Mann“. Was immer das auch bedeutet. Die Mutter ist stolz. Damals galt männlicher Nachwuchs wertvoller als weiblicher. Ein Stammhalter war ein ganz besonderes Geschenk, eine Aufwertung der Familie. Dann kam ein zweiter, Abel. Die Jungs lernten ordentliche Berufe, mit denen sie sich und ihre Familien gut ernähren konnten. Alles scheint geordnet zu laufen. Gute Sozialprognose. Aber damit ist die Frage noch nicht geklärt, warum der Verdächtige so stark ergrimmt ist. Als Motiv käme Eifersucht in Betracht. Das Protokoll berichtet: „Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn ein Opfer brachte von den Früchten seines Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“ Hier könnte gefühlte oder reale Ungleichbehandlung ein Motiv abgeben: Der Konkurrenzkampf der beiden Brüder um die Gunst Gottes hat ungeahnte Ausmaße angenommen, vielleicht die Frage nach dem Lebessinn, dem rechten Glauben … Aus der heutigen Perspektive, also sozusagen mit dem Mehr an Wissen des Krimisehers im Fernsehsessel, könnte man sagen: Gott hat immer die Hirten bevorzugt. Später waren es Noah, Abraham, Isaak, Jakob, schließlich Mose und David. Immer hat sich Gott gerade die Hirten ausgewählt. Hirten mit ihrer unsteten Lebensweise, mit ihrer Heimatlosigkeit, vielleicht auch mit ihrer Armut. Hier zeichnet sich der Kulturkampf zwischen nomadischer und sesshafter Lebensweise ab, der die ersten Jahrtausende der menschlichen Entwicklung bestimmt hat. So spiegelt der Bruderkrieg also auch die gesamte Menschenfamilie. Wir hier haben uns auf Kains Seite geschlagen. Wir sind sesshaft geworden. Und wir wollen, dass diese Entscheidung die richtige ist. – Um Kain zu überführen, muss er verhört werden. Das Verhör ist nicht ganz einfach, denn der Kommissar ist zugleich der Richter. Kain müsste eigentlich eingeschüchtert sein, aber es kommt ganz anders: „Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er sprach aber: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“ Kain provoziert. Das ist angesichts des Wissens des Kommissars und des Fernsehzuschauers keine gute Methode, um sich aus der Schlinge zu ziehen. Aber ist das nicht eine typische Verhaltensweise? Auf eine berechtigte Frage, einen Vorwurf mit Ignoranz und Provokation zu reagieren? Das scheint besser zu sein, als eine direkte Antwort auf die Frage. Natürlich war auch diese Alibifrage listig: Wo ist dein Bruder Abel? Jede direkte Antwort hätte die Verwicklung in den Fall bewiesen. Aber die Frage war auch so offen, dass sie die Chance auf ein Geständnis enthielt. Auf ein Geständnis und auf Reue. Wenn Kain die Tapferkeit, Männlichkeit aufgebracht hätte, sich in diesem Moment auf ein Geständnis einzulassen, seine Reue zu zeigen, dann wäre dieser Krimi wahrscheinlich anders verlaufen. So aber hat er sich das Urteil selbst gesprochen. Und Gott, der Kommissar und Richter in Personalunion, spricht augenblicklich den Richterspruch: „Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul aufgetan hat und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen hat. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.“ Das bedeutet: Immerwährende schwere Plackerei um das täglich Brot. Und lebenslange Flucht vor der eigenen Tat. Unter dem damaligen Gesetz der Blutrache hieß das: Immer damit rechnen müssen, dass ein Angehöriger des Toten, hier sogar ein eigner Verwandter, ungestraft die Hände gegen ihn erheben und ihn töten darf. Lebenslange Flucht. Permanente Angst. Wie soll man so leben? Erst hier wird Kain bewusst, was er angerichtet hat. Ihm wird klar, dass dieser Mord sein ganzes zukünftiges Leben in Frage stellt. Der Verstand hat endlich den Affekt eingeholt. So macht er einen Versuch, die Strafe zu mildern: „Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. so wird´s mir gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“ Der Krimi findet ein versöhnliches Ende: Kain bekommt von seinem Richter eine zweite Chance. Er bekommt ein besonderes Zeichen an die Stirn, dass den anderen deutlich macht: Schaut, das ist Kain. Er hat getötet. Aber auch bereut. Er büßt für diesen Mord. Er darf leben. Der Krimi von Kain und Abel hält das Bewusstsein wach, dass der Mensch sich vor Gott verantworten muss. Und Gott uns lebenslang die Frage nach unserer Nächstenliebe und Menschlichkeit stellt: Wo ist dein Bruder? Amen.

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