Zukunftsträume…

Zukunftsträume…

Apg.16, 9 – 15                                                               Großgrabe/Oßling, am 24.02.2019 – Sexagesimae

„Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist die eine  Stadt des ersten Bezirkes von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammen-kamen. Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.“   

Liebe Gemeinde! Mit einem Schlag ist Paulus hellwach. Er hat nicht nur deutlich diesen Ruf gehört, sondern auch an der Kleidung den typischen Europäer erkannt. Der rufende Mann steht für viele: Hilf uns! Komm herüber zu uns! Da hat also einer in Europa gebetet: Gott, wenn`s dich gibt, hilf uns! Uns – da meinte er seine Familie, seine Nachbarn, vielleicht sogar seine Stadt. Aber von Germanen und Wikingern wusste er nichts, geschweige denn von Deutschen, Dänen oder Slowenen. Gott nimmt dieses kleine Gebet eines Unbekannten und lässt es in den Traum des Paulus tropfen. Ein Mann bittet den fernen Gott um Hilfe für sein kleines Leben, und Gott macht daraus Hilfe für einen ganzen Kontinent. Nur weiß hier noch niemand, dass Gott weit über Bitten und Verstehen gibt. Wer sollte auch so großes von Gott durch so ein kleines Gebet erwarten. Manche Träume sind so überdeutlich, dass man sie nie vergisst. Sie haben mit unserm Leben und Weg zu tun. Für Paulus ist der Traum ein Türöffner. Seit Wochen hat er mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Und erstaunt lesen wir ein paar Verse vor unserm Predigttext, wie er diese Probleme sieht: Gott ist es, der mir Steine in den Weg legt. Gottes Geist hat uns gehindert. Zweimal bläst ihm der Wind, eben Gottes Geist, so kräftig entgegen, dass sie die Reiseroute ändern müssen. Der Traum zeigt deutlich in eine Richtung, wohin er nicht wollte. Paulus zeigt Demut und damit große Weisheit. Er berät sich mit seinen Glaubensfreunden. Er nimmt sich nicht aus eigenem Ermessen eine Führungsrolle, mit dem Anspruch: Gottes Geist hat mir gesagt! Er fragt: Was meint ihr dazu? Statt auf Erkenntnis zu pochen sucht er Einigkeit. Um das Miteinander ringen – anders wird Mission wohl nicht gelingen. Das kleine Wörtchen „wir“ hat mich darauf aufmerksam gemacht: „Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wirsogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.“ Ihr Lieben! Unser Predigtwort ist eine Alltagsgeschichte. Es erzählt Alltägliches aus dem Alltag kleiner Leute. Viele solcher Geschichten finden wir in der Bibel. Sie werden erzählt, um Gottes Plan, sein Wirken und Lenken zu zeigen: Gott macht aus Alltagsgeschichten Weltgeschichte, aus kleinen Leuten prägende Persönlichkeiten. Schaut, als der alte Abram aus Ur in Chaldäa aufbricht, in einem fernen Land Heimat und Heil zu suchen, konnte niemand von denen, die ihm nachsahen wissen, dass hier der tragende Strom einer Welt- und Gottesgeschichte begann. Niemand ahnte, was weltweit auf dem Spiel stand, als das kleine Rinnsal schon zu Anfang auszutrocknen drohte, weil dem Ehepaar lange Zeit kein Kind geboren wurde. Ja, als in einem Stall, tief in der abgelegenen römischen Provinz Syria einer reisenden kleinen Handwerkerfamilie ein Kind geboren wurde, dachte alle Welt, die großen Entscheidungen fallen beim Kaiser Augustus in Rom. Niemand konnte ahnen, dass in einem entlegenen Viehstall die Wende der Menschheitsgeschichte ihren Anfang nahm. Und hier setzen also ein jüdischer Gottesgelehrter mit zwei, drei Begleitern mit einer seetüchtigen Fähre von Troas über nach Neapolis, wie wahrscheinlich alle Tage viele Reisende. Von der Hafenstadt, die heute Kawalla heißt, geht es 14 km eine kräftig ansteigende Ebene nach Philippi: „Wir blieben aber einige Tage in der Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte.“Gut zu wissen! Es gab also auch damals Menschen, die regelmäßig beteten. Davon erfahren wir hier und hören damit leise, aber eindringliche Fragen: Wie soll Segen auf dem Tag liegen, wenn wir nicht mehr beten, weder für uns selbst, noch für die, die uns lieb sind und die uns feind sind? Woher soll der Friede der Nacht kommen, wenn wir Gott nicht um Vergebung für unsern Kleinglauben und seine Folgen bitten? Paulus trifft Menschen, die beten. Vorerst Frauen. Fast ein Witz: ein Mann hatte gerufen, vor Ort sind nur Frauen. Ich rede so, damit wir erinnert werden, dass die gesellschaftlichen Schranken damals zwischen Mann und Frau ungleich höher waren als heute. Es spricht für Paulus, dass er sich nicht irritieren lässt und sich zu den Betenden gesellt. „ … und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.“ Eine wird mit Namen genannt: Lydia, hier beschrieben mit dem Wort „gottesfürchtig“. Das meint, sie hatte zum jüdischen Glauben gefunden. Sie war eine Geschäftsfrau, die den andern Geschäften ihrer Stadt eines voraus hatte: sie und ihre Belegschaft arbeitete nur sechs Tage. Am siebten Tag traf sie sich mit anderen Frauen zum Gebet. Mitten in einer heidnischen Umgebung, die solche menschenfreundlichen Gebote nicht kannte, fiel das auf. Lukas berichtet ausdrücklich, dass sie aufmerksam zuhörte, als Paulus die gute Nachricht vom Kommen Jesu ausrichtet. Als Geschäftsfrau ist sie gewohnt, die Dinge sorgfältig zu prüfen. Trotzdem wird nicht gesagt, dass Paulus sie überzeugt habe. Er redet zwar, aber Gott wirkt: „Eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf …“Dieser Satz weckt Hoffnung. Das Vertrauen zum Evangelium ist Herzenssache. Der Prediger redet, aber Gott öffnet das Herz. Wie ist das bei den Predigthörern heute? Hören wir Predigt als Rede über Gott oder als Gottes Reden? Erreicht die Botschaft nur das Ohr oder auch das Gewissen. Hören wir eine Predigt in unserm Schneckenhaus wie das sanfte Plätschern eines Regenschauers oder lassen wir unsere trockne Seele erquicken? Eben, lassen wir unser Leben von der Botschaft, von Jesus, lenken und leiten, füllen und erleuchten? Das ist hier mit dem Wort „achthaben“ gemeint: „Lydia tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.“Von Jesus hatte Paulus geredet, dass Gott uns mit ihm alles schenkt: Vergebung, Gnade, Licht, Wert, Würde, ewiges Leben. Dieser Geschäftsfrau ging die Jesusgnade auf wie ein Licht, und in ihrem Herzen wurde es hell und klar. Sie sah die Wahrheit: in meinem Beruf wird mir nichts geschenkt, aber in meiner Berufung alles. Jesus – das ist Gottes Ruf an mich, meine Berufung. Und so ließ sie sich auf den Namen Jesu für Zeit und Ewigkeit versiegeln, ließ sich mit Kind und Kegel,  Betrieb und Belegschaft taufen. Zwei Jahrtausende später sehen wir, welch ein historisches Ereignis die Überfahrt der kleinen Truppe von Troas nach Neapolis tatsächlich gewesen ist: Das Christentum, die Botschaft von Erlösung und Gnade bei Gott durch Jesus, wandert in Europa ein. Wird Denken, Geschichte und Werteordnung in den kommenden Jahrtausenden maßgeblich beeinflussen und prägen. Alle, die heute bei der Gestaltung der Europäischen Union für einen Hinweis auf diesen christlichen Ursprung in der geplanten Grundordnung eintreten, beziehen sich in letzter Konsequenz auf diese Frau und ihre kleine Hausgemeinde. Alles, was damals bedeutungsvoll klang und aussah, ist heute weitgehend verschwunden und vergessen: Städtegründungen, Schlachten und Tempel; Götter, Wirtschaft und Kunst. Aber diese kleine Alltagsgeschichte, die Fahrt einer kleinen Reisegruppe, eine Predigt am Fluss, hat lebendige Wirkung und Konsequenz bis heute, bis hier in diesen Raum. Was, fragen wir uns ein wenig verwundert, ist in dieser Geschichte so wirkmächtig. Jetzt haltet euch fest: es sind die uralten Heilsmittel und Grundlagen der Christenheit – Wort und Sakrament, die auch uns gegeben sind. Die Veränderung im Denken, im Leben, im Haus der Lydia bewirken Paulus und die Seinen einzig durch ihre Worte, ihre Botschaft: das Evangelium von Jesus. Nach dem Wort das Sakrament. Lydia empfängt die Heilige Taufe. – Am Anfang ruft ein Mann: Komm herüber und hilf uns. Am Ende bittet eine Frau: Kommt in mein Haus und bleibt da. Lydia lädt zu Tisch: „Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da.“ Sie sagt damit: Zieht nun ihr die Konsequenzen aus eurer Predigt und meiner Taufe. Redet nicht nur vom Glauben, sondern lebt ihn gemeinsam mit mir. Man sieht: auch Lydia predigt. Und Paulus sagt dazu: Amen. Die Taufgesellschaft reift zur Tischgemeinde. Das Evangelium bekommt Quartier. Die getaufte Hausgemeinde Lydias ist nun Teil der weltweiten, zeitübergreifenden Gemeinschaft der Heiligen. Wort und Sakrament. Andere Mittel standen Paulus nicht zur Verfügung. Aber gerade sie haben ganz offensichtlich unsere Welt grundstürzend und nachhaltig verändert. – Wie sehen unsere Zukunftsträume aus? Welche Mittel und Vorgehensweisen scheinen uns heute geboten, um die Zukunft der Kirche zu gestalten? Ich hoffe, die Wirkung dieser kleinen Alltagsgeschichte hat euch ermutigt: Wir bleiben auch weiterhin bei der Überzeugung, dass wir zuletzt nur durch Wort und Sakrament stark sind und Zukunft haben. Amen.