2. Advent (Oßling)

2. Advent (Oßling)

Jes. 35, 3 – 10                                                                                2. Advent – Oßling, am 09.12.2018

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Liebe Gemeinde am 2. Advent! Wer gegen seine Überzeugung lebt, wird schwach. Wer das Richtige erkennt und nicht tut, wird müde. „Stärkt die müden Hände“, wird uns hier zur Aufgabe gemacht, „macht fest die wankenden Knie!“ Das meint nicht – da kommt einer abends müde, aber zufrieden, von Arbeit – hier ist von Resignation die Rede. Diese Leute sind gerade im Begriff, sich selber aufzugeben. Sie finden für sich selbst keine Antwort mehr auf ihr „warum“. Der Sinn, das Ziel ist aus den Augen. Warum also Taten tun – warum? Wieso Schritte gehen – wohin?  Aber hallo – möchte ich zu diesen Leuten sagen – ihr seid doch welche, die an Gott glauben. Ich hatte erwartet, dass der Glaube euch Kraft gibt! – Die Kraft ist weg, wir haben uns müde gehofft. – Wie bitte? Müde gehofft? – Ja, einst begannen wir, den Verheißungen Gottes zu vertrauen, voller Eifer und Energie. Wir hofften, unser Leben würde zunehmend übereinstimmen mit Gottes Geboten. Wort und Tat, Glaube und Leben sollten immer mehr zur Einheit wachsen. Seit vielen Jahren mühen wir uns, aber Frieden, Versöhnung, Liebe und Gehorsam zu Gott wachsen nicht. Jetzt haben wir uns müde gehofft! – Erinnert uns das nicht beschämend an uns? Ich meine unsere Geschichte, unsre Kirche. Wie oft klafften Worte und Taten, Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Oft teilte die Kirche aus, aber Hiebe statt Liebe; hat die Christenheit gegen bessres Wissen gehandelt. Diese unbequeme Wahrheit dürfen wir heute nicht verdrängen. Wie ist die Lage der Kirche? Wie zutreffend, die Kirche liegt, vom Stehen kann keine Rede sein. Ja, viele Christen haben müde Hände, wankende Knie, verzagte Herzen. Das Schwächeln der Kirche ist sichtbar: sie zeigt wenig verändernde Kraft in unsrer Gesellschaft. Das liegt an der Krankheit, die heißt: „müde gehofft.“ Statt auf Jesus, schauen so viele auf sich. Das Ergebnis: Zweifel, Resignation. Im ehrlichen Schauen aufs eigne Christsein ist der Graben zwischen dem Anspruch der Bibel und dem eignen Leben unübersehbar. Man sieht die eigne Unzulänglichkeit im Licht der Heiligkeit Gottes, erschrickt, ringt, müht sich und kommt nicht recht voran; wird schließlich müde, glaubensmüde. Solchen Müden wird gesagt: schau weg von dir auf Jesus. Bei ihm darfst du Mensch sein. Wie die Blume Sonne und Wasser, brauchst du in deiner Schwachheit, Vergänglichkeit und Sünde: Jesus. Du sollst für Gott nicht als perfekte Lebens-maschine funktionieren, sondern dich zu Jesus halten, auf ihn schauen. Unsere Gesellschaft ist da rabiater. Leistung zählt, Ansehen, Gesundheit, Geld. Die übertriebenen Leistungsforderungen in unserm Alltag entfremden die Menschen einander, sie setzen sich Masken auf. Es ist zu riskant, die Wahrheit zu sagen, Schwäche zu zeigen. So schafft sich jeder seine Nische, sein privates Eckchen. Dieses Nischendenken hat sich auch in der Christenheit breitgemacht und sorgt für Entfremdung. Wir entdecken es in Haltungen wie: was nützt mir der Glaube? oder: ich glaube, damit ich in den Himmel komme; der Glaube gibt mir Halt; ich gehe nur, wenn`s mir Spaß macht usw. – Der Grauschleier über unsrer Gesellschaft, diese depressive Grundstimmung hat seinen Grund in der Vereinzelung. Zuwenig Mit- und Füreinander, zuviel Besitz- und Statusdenken. Solange Christen auch nur an sich denken und ihr Heil, liegt auch über der Kirche dieser Grauschleier. Er nimmt die klare Sicht. Die Wahrheit bleibt vernebelt, die doch so klar und kraftvoll ist: Dass wir von Jesus geliebte Menschen sind. Dass seine Liebe die stärkste Kraft ist. Dass wir Erfüllung finden, wenn wir einander lieben. In der Liebe Jesu liegt der Weg zur Antwort, die wir suchen. In Jesus ist uns der Weg gegeben, der heilige Weg, den Jesaja 500 Jahre vor Christi verheißen hat: „Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird … Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande …“(Mt. 11, 3 – 6; Mk. 7, 37; Hebr. 12, 12) Damit tut sich eine Frage an uns auf: Gibt es noch einen Platz in unserem Herzen, wo diese Vision leben und blühen kann: das Jesus siegt bleibt ewig ausgemacht, sein ist die ganze Welt, sein sind auch wir! Manchmal ist der Glaube allein noch die einzige Stimme gegen 100 andere: Jesus liebt mich doch. Seine Liebe heilt alles. Deshalb ist Jesusglaube so unersetzbar, unver-zichtbar, wertvoll. Mein Glaube aber gerät in eine Sackgasse, wird müde, wenn ich meine, ich kann alleine glauben. Jesajas Vision von Gottes Heil und Heilung will nicht auf die Zukunft vertrösten, sondern Mut für die Zukunft machen. Der Glaube ist das Gefäß in mir, was diesen Mut empfängt. Nur ein Haken ist dabei: ich erreiche die Zukunft nur mit den anderen. Weil Jesus alle liebt, will er jeden. Meine Zukunft gibt es nach der Bibel nicht, es gibt nur unsere. Gemeinschaft mit Jesus realisiert sich sichtbar in der Gemeinschaft mit Menschen. Der Glaube an Jesu Liebe ist erdgebunden, am andern festgemacht. Neben dem Haken existiert noch ein Vorwurf. Jesaja spricht von der Zukunft, die Gott schenkt. Glaube – so der Vorwurf – ist billige Vertröstung auf’s Jenseits, eine Beruhigungspille für die Aufmucker und ein Trostpflästerchen für die Lebensuntüchtigen. Manchmal muss man dem Recht geben. Wenn Christen nur vom Himmel und vom lieben Gott sprechen, um sich von ihrer Verantwortung für unsere, ja unsere, Gegenwart zu drücken, dann verschrumpelt der Glaube zur Lebenslüge. Was sollen dann die Krokodilstränen und sentimentalen Gebete für die armen Kinder in der Dritten Welt, wenn ich nicht mehr übrig habe. Glaube dient nicht zur Gewissensberuhigung; Jesusglaube verleiht Ruhe gegenüber Gott, aber bewirkt Unruhe über alle himmelschreienden Zustände. Sie zu verändern braucht es Hände die helfen und Knie, die belastbar sind. „Stärket die erschlafften Hände“– hören wir die Prophetenworte und schauen auf Jesus, um Kraft zu gewinnen. „Festigt die wankenden Knie. Sagt den verzagten Herzen: Mut, fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott!“– Halt!! Mit dem letzten Satz haben wir auch so unsre Nöte:„Seht – da ist euer Gott!“Wenn wir ehrlich sind, nehmen wir teil an der Not vieler Christen und Nichtchristen, die fragen, wo ist, ja, wo ist denn Gott? Den Menschen Gott zeigen – das kann ich nicht. Keiner, kein einzelner kann das. Nur die Glaubenden in Gemeinschaft können Jesus anderen vor Augen führen. Wie das geschehen soll prophezeite uns damals Jesaja: die Wüsten in uns, zwischen uns und zwischen Gott und uns werden blühen und Ertrag bringen. Aber nur mit uns und durch uns. Wasser ist da, genug, aber verborgen. – Ich kenne einen Mann, der fährt nach Afrika, um Brunnen zu graben. Weißer Mann, hast du Wasser mit? – wird er oft bei seiner Ankunft in der Trockenzone gefragt. Ja, seht, da auf meinem LKW. Die Dorfbewohner laufen hin und sind verwirrt. Sie entdecken auf der Ladefläche nur Vorrichtungen, die uns zwar bekannt sind, ihnen aber nicht, Rohre, Zangen, Handpumpen usw. Seht, bekommen sie gesagt, das ist euer Wasser. Bald begreifen sie: Zukunft und Hoffnung ist da, aber verborgen. Alle müssen mit anpacken, auch die Drückeberger und Dünnbrettbohrer. Mit dem Fortschritt der Arbeiten wächst die Zuversicht. Am Brunnen graben alle. Jede Schaufel Sand ist ein Schritt in die so gegenwärtige Zukunft. Der Tag ist nahe, an dem keiner mehr dürstet. – Gott hat zwischen uns verborgene Quellen gelegt. Aber durch mich allein wird kein Brunnen. Wir hören biblische Worte über die Zukunft und gemeint ist heute; jetzt beginnt es. Wasser ist da, sammelt euch, grabt, arbeitet Hand in Hand. So rückt verheißene Zukunft in euern Alltag. Allen mit Durst nach Leben gilt dieser Aufruf des Jesaja, der ruft: „Seht, da ist euer Gott … er kommt euch zu retten … in der Wüste brechen Wasser hervor und Ströme in der Steppe. Das ausgedürrte Land wird zum See und der lechzende Boden zu Wasserquellen.“ Amen.