Alles hat seine Zeit

Alles hat seine Zeit

Prediger 3, 1 – 14                                               22. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe, am 30.10.2016

„Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur das Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt dabei als fröhlich sein und sich gütlich tun im Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das be-steht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. Was geschieht, ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“

Liebe Gemeinde!  Alles hat seine Zeit Stellen wir uns vor: wir haben zwei Uhren, die auf die 1000-tel Sekunde genau gehen. Jede legen wir in ein Flugzeug. Das eine wird die Erde in die eine Richtung umkreisen, das andere in die Gegenrichtung fliegen. Wenn wir nach der Landung die Uhren vergleichen, wird auf der einen Uhr etwas mehr Zeit vergangen sein als auf der andern. Wie es das gibt? Zeit ist gekrümmt, sagt die Wissenschaft. Keine Ahnung, wie ich mir das vorstellen soll. Zeit ist ein Raum, eine Dimension  Aber ich stelle mir vor, Zeit ist ein Raum. Jeder Mensch bekommt einen Zeitraum. Irgendwann betrete ich ihn, oder werde hineingeschickt, – geboren, – geworfen. Dann durchwandere ich Zeiträume, mag jeder Tag ein Schritt sein. Meine Zeit hat Orte, mein Leben Zeitpunkte. Leben ist Zeitreise. Dann verlässt der Mensch seinen Zeitraum, meist sind andere erschrocken, traurig, manchmal auch erleichtert. Alles, in meinem Zeitraum hat einen Ort, eine Ortszeit. Moderner würden wir ausdrücken: zwischen Geburt und Sterben gibt es für alles, was das Leben bietet, Zeitfenster. „Alles hat seine Zeit“, beobachtet einer vor 3000 Jahren, was heute noch genauso gilt. Der unbändige Wunsch, sinnvoll, zeitgemäß zu leben Warum denkt ein Mensch wohl über die Zeit nach? Wenn er merkt, dass sie knapp wird? Aus Angst? Auf der Suche nach der Quelle, der Mitte seines Lebens in dem Wunsch, dem Leben, der Lebenszeit einen Sinn zu geben? Lebenssinn – darunter verstehen wir doch so etwas wie: ergreifen und tun, was die Zeit gebietet, eben zeitgemäß leben. – Ein persönliches Zeugnis zeitgemäß zu leben Der Amerikaner Philip Roth hat ein Buch voll schlichter und aufrichtiger Wucht verfasst, Titel „Jedermann“, 150 Seiten, 2 – 4 Stunden Lesezeit. Aber wer es liest, den wird es Wochen beschäftigen: Ein älterer Mann wird sich im Augenblick einer ernsthaften Krankheit seines nahen Todes bewusst. Da beginnt er, sich sein gegenwärtiges und vergangenes Leben zu erzählen. Er tut dies ungeschönt ehrlich. Und gerade in dieser Aufrichtigkeit ergreifen einen die Zeilen und die Erkenntnisse des Scheiterns auch da, wo alles lange nach Erfolg oder strahlender Zukunft aussah. Seine Zeilen sind wahrhaftig und voll tapferer Schwermut über die Vergänglichkeit. Alle Lichter werden gelöscht, um dann zweifelsfrei zu erkennen, welche Hoffnung dann wohl noch leuchtetWenn alle Lichter gelöscht werden, welche Hoffnung leuchtet noch. Auch der Autor unsres Predigttextes geht so vor. Er wägt alles ab. Dann ist er tapfer genug zu sagen: am Ende bleibt nichts. Er löscht alle Lichter von Illusion und kommt zu dem Schluss: am Ende bleibt nichts. So beherzt möchte ich auch ab und an sein können – mir nichts vormachen. Ich lese aus diesen jahrtausendalten Worten: Geboren werden, sterben – über beides verfügt der Mensch nicht – beides hat seinen genauen Zeitpunkt, und alles dazwischen auch. Und was der Mensch auch unternimmt oder unterlässt, nichts bleibt: „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“ Alles kommt auf den Prüfstand, Arbeit, Tun, Lassen, alles, auch der Glaube. Gilt das auch für den Glauben, dass kein Gewinn bleibt? Versuchen wir es doch tapfer mit einem JA. Gilt auch für den Glauben – kein Gewinn? Ein 12-jähriges Mädchen hat ihre Beobachtungen zum Glauben aufgeschrieben: „Die Menschheit ist in viele Religionen geteilt. Viele sprechen von einem Leben nach dem Tod und die meisten Menschen glauben daran. Ich glaube aber, es gibt nur wenig Menschen, denen dieser Glaube die Angst vor dem Tod nimmt. Dieser Glaube ist meiner Meinung nach eher ein getarnter Wunsch, der die Angst vor dem Tod verbergen soll. Diese sogenannte „Hoffnung“ auf ein Leben nach dem jetzigen Leben, ist entstanden, weil es unmöglich ist sich vorzustellen, Nicht – mehr – da – zu – sein.“ Lieber eine schwere Wahrheit als eine lügenhafte Hoffnung Alles auf dem Prüfstand, dazu nötigt uns unser Predigttext, billiger geht Leben nicht ab. Das erste Resultat: „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“ Klingt das sehr deprimierend? Für den Verfasser war es die Wahrheit. Er sagte sich: ich will lieber eine schwere Wahrheit als eine lügenhafte Hoffnung. Dieser Aufrichtigkeit lohnt es zu folgen, was mich selber und auch die Kirche betrifft. Ich halte daran fest, dass jede Wahrheit, auch noch so dunkel und schwer, in sich heilende Kraft verbirgt. Der Mann hier hat sich entschlossen: ich will mein Leben nicht sehen, wie ich`s mir wünsche, sondern wie es ist. Mich selber, nicht wie ich mich träume, sondern wie ich bin, ungeschminkt. Und im Ringen um die ungeschminkte, splitternackte Wahrheit, kommt er zu sehr tröstlichen, stärkenden Einsichten. Am Ende bleibt nichts, ja, aber dazwischen ist alles schön, jeder Ort meiner Zeitreise: „Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit.“ Die große Weisheit – im Heute fröhlich leben. Was für eine praktische, große Weisheit. Heute, heute der Tag ist schön. Ich lebe! Es ist als würde damit der Gedanke geflüstert: Schau jeden Tag auf dieser Welt, als wäre es das erste Mal. Schau auf das Licht, die Farben, die Bäume, die Vögel, die Tiere. Spüre, wie schön die Luft durch deine Nase strömt, spüre, dass du lebst. Ist das etwa nicht schön und großartig? Ich erinnere mich, obwohl es lange her ist: Da klagt eine alte Dame ihr Leid und dann plötzlich sagt sie: Ach was, jammern hilft nicht, man muss es nehmen, wie es kommt. Und sie schenkt sich und mir ein Glas Wein ein, und beginnt fröhlich, von lustigen und schönen Erlebnissen zu erzählen. So ähnlich findet der tiefsinnige und schwermütige Weise auch eine Antwort: „Ich merkte, dass es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all` seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Die einfachste Antwort hat die größte Tiefe. Ich stelle mir vor, dieser Sinnsucher hat keine rechte Antwort in sich gefunden. Ja, ja, alles hat seine Zeit, aber warum bin ich, wohin geh` ich, und der Grübler hat seine Schuhe geschnürt, um die Menschen zu beobachten. Da sah er Menschen bei harter Arbeit, Bauern auf dem Feld, sah Krieger und Kriege, Liebe und Hass, traf einen, der hörte ihm zu, ein anderer schüttete ihm sein Herz aus, einer baute ein Haus, eine Mutter stillte ihr Kind, ein Mann schlug seine Frau, und ein junges Mädchen wurde zu Grabe getragen, er selber durfte König eines kleinen Volkes sein, aber nach Jahren ging alles im Krieg unter und so kommt er als Weißhaariger in ein Dorf und wird eingeladen: Heute ist Hochzeit, sei unser Gast. Und er sieht Lachen und Tanzen, Braten und Wein, Gemeinschaft und Freude. Da findet er mitten im Essen und Trinken und der Freundlichkeit, dass die einfachste, die richtige Antwort ist: menschlich sein. „Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Durch diese einfache Antwort schimmert ihm eine große Weisheit hindurch: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“ Fröhlichkeit macht das Geheimnis transparent. Das ungelöste Rätsel der Zeit sieht er umschlossen von Ewigkeit. Deshalb ist Zeit niemals sinnlos, auch wenn der Sinn nicht sichtbar wird. Der verborgene Sinn der Zeit ist – Erlösung. Das verborgene Ziel der Zeit – das Reich Gottes. In dem Bild der zufriedenen, freudestrahlenden Menschen an einem Tisch, ahnt er, was hinter dem Vorhang ist, sieht Menschen in der großen ewigen Freude. Und auch wir teilen dieses Bild miteinander. Gemeinde – das sind Menschen, die miteinander essen, trinken, fröhlich sind und für das Gute arbeiten, hier und dort. Es ist Zeit für das eine Wort: Amen.