Alltag am See

Alltag am See

Lk 5, 1-11                                                         5. Sonntag nach Trinitatis – Oßling/Großgrabe, am 12.07.2020

„Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte sie erfasst, und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote an Land und verließen alles und folgten ihm nach.“

>Alltag am See< Liebe Gemeinde! Eine Geschichte vor 2.000 Jahren. In Gedanken machen wir diese Zeitreise und setzen uns mitten ins Geschehen. Oder, lieber etwas abseits, wo wir einen guten Überblick haben, aber nicht gesehen werden: Hinter uns laufen viele Menschen. Wir hören ihre Tritte. Den Zypressenhain haben wir hinter uns gelassen. Wir stehen an einem sanft abfallenden Hügel. 100 Schritt vor uns spiegelt sich die Vormittagssonne im See Genezareth. Vier Segelstunden ist er lang und zwei breit. Über der Ebene am andern Ufer wiegen sich Palmkronen im Wind. Langsam nähern wir uns diesem schönen Stück Paradies. Zwei Steinwürfe vor uns Fischerboote, kieloben, Männer reinigen Netze. Ihre Gesichter sind ein schriller Gegensatz zu der anmutigen Landschaft. Voll Unmut, schweigend und übernächtigt blicken sie drein und sprechen so überaus deutlich von ihrer nächtlichen Erfolglosigkeit. Wir setzen uns, ein wenig abseits, in den Sand. Betrachten die verschmutzten Netze, die müden Gesichter. >Vergeblichkeitserfahrungen<  Die ganze Nacht gearbeitet, nichts gefangen. Die leeren Netze werden zu einem Bild: Es war umsonst. Vergeblichkeits-erfahrungen – sie tun weh. Es zieht im Bauch, wenn wir uns daran erinnern. Wie wir wohl damit fertig werden können, ihn wegkriegen, diesen bitteren Geschmack: Es hat mir nur Energie abgezogen, geholfen, gebracht hats nichts. Wir verscheuchen diese Erinnerungen wie lästige Fliegen, erheben uns, denn wir sind in einer außergewöhnlichen Geschichte. Viele Menschen drängen sich jetzt am Ufer, die müden Fischer und ihre leeren Netze mittendrin. >Gottesdienst am Arbeitsplatz< An ihrem Arbeitsplatz findet ein Gottesdienst statt. Weder schimpfen sie noch sind sie begeistert. Was wohl im Jahre 2020 nach Christus los wäre, wenn jemand auf der Verladerampe einer Autofirma stehen und predigen würde. Wir sind in einer Geschichte, wo Jesus zu einfachen Arbeitern, mitten in ihrer Arbeitszeit geht. >Der Kahn als Kanzel< Wie selbstverständlich steigt er in eines der Boote und bittet Simon, ein paar Meter vom Ufer weg zu fahren. Jesus wählt den Kahn als Kanzel. Als ob er damit verborgen den Besitzer des Kahns wählt. Als wollte Jesus sagen: So, wie ich jetzt in dein Boot steige, Simon, werde ich in dein Leben kommen. Jetzt predigt er. Dabei ist er den Menschen nah, denn er ist zu ihnen gegangen. Doch er hält Distanz. Hören braucht den richtigen Abstand. Ob Simon beim Zuhören gedacht hat: Jesus, mein Alltag sieht anders aus als deine schönen Worte von Himmel, Frieden und Gerechtigkeit. Vielleicht hat er die Worte auch aufgesaugt wie ein trockner Schwamm und gedacht: Endlich mal einer, der Mut macht. Wir wissen nichts von Jesu Predigt. Das kann schon mal passieren, dass man eine Predigt vergisst, und doch ist man gestärkt. >Zweifel und Vertrauen< In unsere Geschichte kommt jetzt richtig Bewegung. Jesus steigt aus dem Boot und alle hören seine Worte an Simon: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus.“ Wir sind keine Fischer, merken aber sofort, hier passt was nicht, und hören das auch aus dem erstaunten Murmeln der Leute: Gefischt wird doch nur nachts, nur in der flachen Bucht, am Tage ist die Mühe umsonst. So hören wir kopfschüttelnd Fachleute reden und hören dabei uns selbst. Auch wir reden oft als „Fachleute“, wenn uns z.B. jemand sagt, Liebe bewirkt mehr. Unsinn, sagen wir schnell, ein paar hintendrauf hat noch keinem geschadet. „Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen.“ (Mt 5), wird uns gesagt. Wir erleben es anders – wer sich laut zu Wort meldet setzt sich durch. Das ist die Realität. Die leisen Stimmen gehen unter. Wir haben unsere Erfahrungen. Und wir können dem erfahrnen Fischer Simon gut nachfühlen, als wir ihn müde sagen hören: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen …“ Simon unterdrückt seine Bedenken nicht. Er betrachtet die Aussichtslosigkeit der Lage. Daneben steht die Forderung Jesu: Fahr hinaus! Alles ist still. Ein spannender Moment. Und wieder wird dieser Moment zu einem Bild, einer Frage: Was zählt mehr – meine Erfahrung oder Gottes Zusage? Wer ist denn der Herr über diese Welt? Ist Gott etwa an meine Erfahrungen gefesselt? >Berufserfahrung und Glaubenserfahrung< Simon jedenfalls sehen wir seine Netze ordnen und raffen, mit seinen Kollegen ins Boot steigen und hören, wie sich sein kleiner Glaube neben seiner großen Erfahrung ein wenig Platz macht: „Aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“Jetzt sitzen wir mit den Vielen am Ufer. Das müssen wir sehen. Diese halbe Stunde warten wir. Noch klingt uns Jesu Wort nach: „Fahre hinaus, wo es tief ist …“ Dieser Fischer, der sich langsam von uns entfernt, wird einst in andern Tiefen loten müssen. Wohl zuerst in den Tiefen seiner Seele. Er wird in die Weiten des Völkermeeres hinausfahren, Gefahren bestehen, Schiffbruch erleiden. Landratten sind dafür ungeeignet und Seemannsgarn taugt nicht … 500 m entfernt sehen wir Simon winken, seine Kollegen springen ins Boot. Als beide an Land setzen, sind sie randvoll mit zappelnden Fischen. Es gibt ein Glück, das kaum zu fassen ist. >Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis< Doch wir schauen auf Simon und seine Mitarbeiter. Sie sind kreidebleich. Sie wissen als Fischer am besten, dass das, was geschehen ist, gar nicht möglich ist. Aber die Boote sind voll und etwas abseits steht, der die unmögliche Anweisung gegeben hat. Wir sagen: Not lehrt beten. Hier ist alles anders. Hier ist es der schiere Überfluss, der Simon das Beten lehrt. Die Gaben führen ihn zum Geber. Wir sehen ihn im Ufersand knien. Seine Augen bitten stumm: Herr, verstoß mich nicht. Laut aber stößt er qualvoll hervor:Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!“ Nein, das sehen wir, ein schlechter Mensch ist dieser Simon nicht, arbeitsam, gerade heraus, sorgt für seine Familie, ein guter Kollege. Aber nennt sich Sünder. >Das Gefühl, nicht zu genügen< Wir sehen das Bild des knienden Simon und erinnern uns an Stunden unseres Lebens, voll klarer Erkenntnis: Wer ich bin, und – wer ich vor Gott bin. Das war qualvoll: Der heilige Gott und ich, das passt nicht zusammen. Simon sieht glasklar: Ich bin ein sündiger Mensch, vor Gott keine Chance. – Die Sonne, der stille See, die schöne Predigt, der herrliche Fang und nun das. Ein schriller Ton. Wir stehen ein wenig abseits. Und der Gedanke drängt sich auf: In Wahrheit stehen wir Menschen alle so vor Gott. Ob wir knien wie Simon, bleibt vorerst offen. >Von der Angst zum Glauben< Wir hören Jesu Stimme, die dem Knienden gilt: „Fürchte dich nicht!“ Wir schauen uns um. Alle mit uns sind fassungslos. Das braucht nun wirklich großen Glauben: Keine Angst vor Gott zu haben. Diese Angst sitzt so tief, dass wir sie erst merken, wenn wir an Grenzen unseres Lebens gelangen. Das Wunder mit den Fischen könnte man ja noch wegerklären. Aber dass Jesus sagt, der Sünder braucht keine Angst zu haben – das zu glauben wäre das eigentliche Wunder. Und deshalb sind wir in einer Wundergeschichte. Wir schauen zu, wie Menschen von der Furcht vor Gott zum Vertrauen zu ihm finden. Bald werden sie Weltgeschichte schreiben. Simon hat durch Jesus sein Leben gefunden, Vertrauen in Gottes Güte gefasst und so den Fang seines Lebens gemacht. Wir lauschen Jesu Worten: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“>Menschenfischer< Hatte er in seinem Handwerk lebende Fische zum Tode, zur Nahrung gefangen, soll er jetzt Menschen ohne Gott, Menschen ohne ewiges Leben, Menschen ohne Vertrauen in Gottes Güte, mit Gottes Wort wie mit einem Netz ins Leben ziehen. Er soll die Worte in das Völkermeer hinauswerfen, damit Menschen sich daran festhalten können. Und dann laufen sie davon, Jesus, und die Fischer ihm nach. Und die Geschichte ist zu Ende – aber nicht für uns. Amen.

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.