aufgelehnt aufgerichtet aufgeschaut

aufgelehnt aufgerichtet aufgeschaut

Judika – Oßling/Großgrabe, am 18.03.2018

„Die Israeliten brachen auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“
(4. Mose 21, 4-9)

Liebe Gemeinde! Der Weg zurück ist der Weg nach vorn. Das Volk Israel steht nach 40 Jahren kurz vor dem Einzug in das Gelobte Land. Ihre Vision kurz vor der Erfüllung. Aber das Brudervolk der Edomiter verweigert ihnen den Durchzug. Vorwärts, rufen viele, wir sind stark. Gott mit uns, wir werden siegen. Stattdessen befiehlt Mose: Zurück! Hunderte Kilometer, ein riesiger, wochenlanger Umweg. Um des Friedens willen. Damit Frieden bleibt untereinander, müssen oft weite, überweite Wege gegangen werden. Umwege, Wüstenwege. Ist zurück auch zugleich umsonst? Frieden bewirken ist nie umsonst. Es ist eine mühsame, aber vornehme Aufgabe der Gemeinde und des Einzelnen: Frieden schaffen. Jesus spricht allen, die sich darum mühen, zu: „Selig sind die Friedensstifter, sie werden Gottes Kinder genannt werden.“ (Mt 5,9) Ein erster Anstoß zum Nach-denken und Beten: Wo ist es not-wendig umzukehren, dass  Frieden wird, zwischen mir und Gott, untereinander?

Damit geht es für Israel zurück in die Wüste. In der Ferne, den Tälern Edoms, hatten sie sattes Grün und Palmen gesehen. Jetzt Hitze, Steine, Sand. Alles ist nur noch mühsam, nichts großartig. Kein roter Teppich unter den Füßen, nur Sand zwischen Zähnen und Zehen. Wird es mühselig, kommen verborgene Konflikte nach oben. Der Topf kocht über. Warum denn nur zurück statt nach vorn: „Das Volk wurde verdrossen auf dem Wege.“ Verdrossenheit heißt hier wörtlich: eine kurze Seele. Die innere Kraft, die Geduld war am Ende. Diese Menschen haben unser vollstes Mitgefühl. Ihr schweres, unbehaustes Leben steht uns vor Augen. Und zugleich tauchen auch Menschen heutiger Zeit vor unserem inneren Auge auf, die Erfahrungen der Sinnlosigkeit, Vergeblichkeit machen. Menschen, ein Volk in einer Lebenswüste. Wir kennen das doch, diese Verdrossenheit, und hören uns oder andere: Hör mir bloß auf mit der Politik, die da oben spinnen, haben keinen Bezug zur Basis. Eigenartig, das ist nun 3.200 Jahre her, aber genau das passiert hier auch: „Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete gegen Gott und gegen Mose.“ Sie heben die Faust gegen „die da oben“. Mit Wut in den Augen und Sand zwischen den Zähnen brüllen sie vor Moses Zelt das Fragewort der Rebellion in die Wüstennacht. Still funkelt über ihnen die Sternenpracht, eiskalt ist der Wüstensand, ihr Herz kocht über. Und in den geballten Fäusten sind Knüppel und Steine: Warum? „Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier.“

Wenn wir dieses biblische Wort betrachten, steht für uns der Zug Israels aus der Sklaverei, durch die Wüste bis in ihr Land, als Sinnbild für unser Wandern. Die Kirche ist das wandernde Gottesvolk. Was dem Volk Israel geschah, geschieht auch uns. Der Weg dieses Volkes ist ein Vorschatten für unseren Weg. Deshalb ist ein Hören auf diese Worte ein Blick auf uns, Gottes Führungen, unser Miteinander – und auch ein Blick auf die Kraft oder Schwäche unseres Glaubens. Sind wir auch unter den Verdrossenen und murren: Ich muss nicht jeden Sonntag in die Kirche rennen, warum denn? Wenn´s Gott gibt, warum? Es sind viele Gräben, die Christen trennen – wer ist für den Weg zurück bereit? Wer hat die Kraft zur Leidensbereitschaft?

Die eigentliche Mühsal auf dem Weg zurück um des Friedens willen ist nicht die Wüste, sondern das eigene ICH. Auf schweren Wüstenwegen zeigt sich, was wirklich im Herzen ist. In der Wüste zeigt das ICH sein wahres Gesicht. Hier lesen wir: „Die Menschen wurden verdrossen.“ Kaum geht es nicht mehr vorwärts, schon steigt aus dem Herzen Unzufriedenheit wie dunkler Rauch. Statt zu erkennen: Gott führt uns einen Weg des Friedens, sehen sie nur: Es geht zurück, es ist sinnlos, warum wandern wir überhaupt? Da hätten wir auch in Ägypten bleiben können. Auf den mühsamen Wegen des Friedens wird deutlich, wie es in Wahrheit um unseren Glauben, unsere Geduld steht.

Ein paar Tropfen Tinte macht ein Glas mit klarem Wasser ungenießbar. Genauso ungenießbar wird das Miteinander durch das Gift der Unzufriedenheit. Wird das Jammern auf hohem Niveau ohne Folgen bleiben? Und wie sieht es gar in unserer Kirche aus? Zu oft hören wir Ach und Weh, wie lange und was wird werden. Statt Lob sei Gott, oh mein Gott. Woher diese Verdrossenheit und Ängstlichkeit vor der Zukunft? Haben wir vergessen, dass Gott uns führt? In unserm biblischen Worthören wir, wie Gott die Galle überkocht. Aus! „Da sandte Gott feurige Seraphim unter das Volk, die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.“ Unzufriedenheit bringt vielen den Tod. Macht uns die Härte des Strafmaßes nachdenklich? Mich schon. Auf den ersten Blick: Dieses Strafmaß finde ich unangemessen. Dann denke ich weiter: Vielleicht habe ich auch ein verzerrtes, also falsches Bild von Gott: von einem lieben Gott, der einen versorgt, segnet und behütet. Und wenn er das nicht tut? Ich höre aus diesem Gericht zuerst einmal, das Gott sagt: Aus! Ich bin nicht euer Hampelmann.

Vielleicht schaut der eine auf die Kirche, der andere denkt an sein Leben – wenn ich frage: Siehst du deinen Weg als Gottes Führung? Antworten wir – als Gottes Führung – was ist dann mit unserer Kirche und deinen dunklen, schweren Erfahrungen? Erkennen, anerkennen wir sie als Gottes Gericht? Sehen wir einen Zusammenhang zwischen dem, was passiert, und dem, was wir tun (oder unterlassen)?

Erstaunlich ist, wie unmittelbar die Israeliten einen Zusammenhang erkannten: zwischen dem, was sie taten, und dem, was sie getroffen hatte. Sie kehren um, verdrängen nicht, zeigen nicht mit dem Finger auf andere, suchen keine Sündenböcke – sondern Frieden mit Gott und rufen: Wir, wir haben uns die Suppe einge-brockt: „Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir gegen den Herrn und gegen dich geredet haben.“ Ein Schuldeingeständnis hat etwas Großes. Da blitzt eine Würde auf. Die Würde des Menschen. Ein Felsen, eine Palme oder ein Schaf haben keine Schuld vor Gott – diese Größe besitzen sie nicht. Dem Menschen allein ist Verantwortlichkeit, ein Zeichen seiner Würde, übertragen. Nur, wer Verantwortung trägt, kann schuldig werden. Nur wer seine Schuld eingesteht vor Gott, lebt verantwortlich im Glauben. So wachsen diese Wüstenwanderer über sich hinaus. Sie beginnen, ihre Würde wieder zu ergreifen und zu sich selber zu stehn: wir, wir sind verantwortlich. Wer sich vor Gott verantwortet bekommt Antwort. Aber oft anders, als gedacht. Die Israeliten bitten: Nimm die Schlangen weg, nimm uns aus aller Gefahr. Diese Bitte wird nicht erfüllt. Die Schlangen bleiben. Hier spiegelt sich Glaubenserfahrung: Der Herr bewahrt nicht vor Dunkelheit, Gefahr, Verzweiflung, aber er führt hindurch. Manchmal rettet er so, wie man ein brennendes Holzscheit noch aus dem Feuer reißt. Er gibt Kraft, aber nie im Voraus.

„Mache dir eine eherne Schlange und richte sie auf einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.“ Für die Schlangen – so sagten die Israeliten – sind wir selbst verantwortlich. Und nun sollen sie auf ihre Verantwortlichkeit schauen. Die Schlange erinnert sie an das Gift ihrer Unzufriedenheit. Dass sie den Weg des Friedens für den falschen hielten. Dass sie wieder in die Sklaverei wollten. Dass sie Gottes rettendes Handeln für nichts geachtet hatten. Die erhöhte Schlange, sie sehen ein Symbol ihrer Sünde. Da vollzieht sich ein Blickwunder. Sie schauen ihre Sünde an – und dürfen leben: „Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an, und blieb leben.“

Aufschauen und leben. Wohin blicken wir? Immer zu Boden, nach unten, gedrückt? Auf unseren Erfolg, unser Ansehen? Haben wir etwas zum Aufschauen, zum Leben? Ihr wisst die Antwort – das Kreuz. Dort sehen wir Ohnmacht und Leiden. Das Kreuz ist, wie die erhöhte Schlange, ein Spiegel. Wer das Kreuz anschaut, sieht das Gericht über seine Sünde. Und die, aller Menschen. Im Anblick(en) des Kreuzes erkenne ich meine Freiheit von Sünde und Tod. Wegen Jesus. An Jesus glauben heißt: Aufschauen und leben. Amen.

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