Bin ich beunruhigt? (Oßling)

Bin ich beunruhigt? (Oßling)

Röm 9, 14 – 24                                                  3. Sonntag nach Epiphanias – Oßling, am 26.01.2020

„Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose: `Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.´ (2Mo 33,19) So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao: `Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.´ (2Mo 9,16) So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch das Werk zum Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit. Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.“    

Liebe Gemeinde! Ich kenne ziemlich viele Menschen, die sich weder zu Jesus Christus bekennen, noch an ihn glauben. Und ihr? Euch sind vielleicht sogar eine große Anzahl bekannt. Sie leben mit uns in dieser Zeit. Jeder frage sich: Beunruhigt mich das? Bin ich unruhig darüber, dass er oder sie nicht an Christus glaubt? Über dieser Frage gewinnen wir einen Zugang zu unserem Predigtwort. Paulus jedenfalls ist beunruhigt. Er ist der Überzeugung – nur wer auf Christus getauft ist und an ihn glaubt wird gerettet. Um sich selbst hat er diese Sorge nicht. Im Kap. 6 redet er von seiner Taufe und Errettung. Sein Glaube hält sich daran fest, an der Gnade Christi. Er sagt: `Nicht, dass ich`s schon ergriffen hätte, aber Christus hat mich ergriffen.` Christus wird schon dafür sorgen, dass ich ins Paradies komme. Der Gedanke an sein Heil lässt ihn an andere denken. Von allein hätte ich Christus nicht gefunden, er hat mich damals vor Damaskus vom Pferd gestoßen und hat mich gefunden. Er sieht – den entscheidenden Anstoß hat Christus selber gegeben. Ja, Paulus weiß es – Glaube an Christus, ihn als den Weg, die Wahrheit und das Leben erkennen, ist ein Geschenk Gottes. Gott muss von außen die Tür eines Menschenherzens öffnen, damit Licht ins Dunkel fällt. – Nun treiben Paulus sorgenvolle Gedanken um: Mir hat Christus sich bekannt gemacht. Mir hat er das Licht des Glaubens geschenkt. Warum anderen nicht? So beginnt unser Predigttext: „Was sollen wir nun hierzu (zur Auswahl Gottes) sagen? Ist Gott denn ungerecht?“ Dass Gott Unrecht tut, verschiedenes Maß anwendet, lehnt Paulus ab: „Das sei ferne!“ Aber er räumt das Rätsel der Freiheit ein: Wer wahrhaft frei ist, hat auch die Wahl. Ganz sicher ist Gott wahrhaft frei. Also hat er auch das Recht zu einer Auswahl. Gott ist nicht ungerecht, aber er wählt aus, behält sich eine Entscheidung vor. Paulus begründet dies mit einem Zitat aus 2.Mose 33: Gott spricht, es ist meine Sache, meine Freiheit: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Das ist Paulus wichtig zu sagen: Unrecht tut Gott nicht. Aber er ist souverän. Warum Gott bestimmten Menschen dies gibt und anderen jenes verweigert, ist ein Zeichen seiner Freiheit – und ein Rätsel. Paulus spitzt es noch mehr zu: Damit einer Gott erkennt, muss Gott sich ihm offenbaren. Von sich aus kann das keiner. Kurz, wuchtig und schicksalhaft klingt seine Feststellung: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Er untermauert diesen Gedanken wieder mit einem Rückblick in die Geschichte Israels. Eben, weil er voller Unruhe ist, dass das Volk Israel Jesus nicht als Retter und Messias anerkennt – während die heidnische Welt im Begriff ist, sich zu bekehren. Warum Israel, Gottes geliebtes Volk, nicht? – Ja, „so liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“. Er verweist auf den Pharao in Ägypten: „Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“ Und jetzt erst enthüllt Paulus diese rätselhafte Freiheit, in der Gott mit seinen Menschen handelt, ganz: „So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.“ Wisst ihr, was hier auf dem Spiel steht? Die Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott. Wieso verstockt er und zieht dafür zur Verantwortung? Wenn der Mensch keine Freiheit hat, wie soll er dann verantwortlich sein? Henry Wermuth, ein deutscher Jude, der seine ganze Familie verloren und Auschwitz überlebt hat, versteht die rätselhaften Wege Gottes nicht: „Jahrzehnte danach habe ich weder gebetet, noch Gott in den Mund genommen.“ Auch Menschen um uns stellen uns unausgesprochen, manchmal auch im Gespräch diese Frage. Ist da ein Gott der Liebe, wie ist mein Leben und die Welt nur zu deuten? Ich kann nicht glauben. – Das muss jeder Christ ernst nehmen. Wenn Glaube ein Geschenk ist, wenn durch den Glauben die Rettung in einem Menschenleben festgemacht wird – warum verteilt Gott dieses so wichtige Geschenk so scheinbar willkürlich? Damit setzt sich Paulus auseinander. Er wiederholt die Fragen seiner Mitmenschen. „Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt uns Gott dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Wir sehen, wie nah uns dieser alte Text ist. Paulus antwortet zunächst rigoros, fast abweisend, als würde er die Fragenden abwimmeln wollen: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ Gott ist Gott und Mensch ist Mensch. Da sind Welten dazwischen. Basta! Ein Herrchen verantwortet sich auch nicht vor seinem Hund. Da sind auch Welten dazwischen. Paulus will aber weder abweisen noch abwimmeln. Er stellt nur den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf fest. Als Fakt. Nun zeigt er in einem Bild aber auch den Zusammenhang und das Zusammenspiel der beiden auf. Der Mensch, sagt er, darf Gott nicht auf die Anklagebank setzen und selbst Richter sein. Er schreibt V. 20 + 21: „Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu unehrenvollem Gebrauch zu machen?“ Hier fällt ein Licht auf diese rätselhafte Auswahl Gottes. Es ist gar keine Auswahl. Gott ist in allem am Werk. Alle sind sein Ton, nur hat er mit jedem anderes vor. Alle sind seine Gefäße. Ahnen wir, welche Zusage und Hoffnung in diesem Text liegt. Gott wendet sich allen zu. Wenn wir Gott wahrhaft glauben, dürfen wir für alle hoffen. Das wird in Jesus besiegelt. Er ist für alle gekommen. Und hat alle Sünde dieser Welt getragen. Wir dürfen diesem Gedanken Raum geben: Gott handelt an allen zu ihrem Heil. Das ist keine Allversöhnungslehre, sondern ein Blick auf die Barmherzigkeit Gottes, die niemals aufhört, alles umfasst, kein Ende hat und alle Tage neu und unverbraucht strömt. Paulus hat nicht klein gedacht und geglaubt. Seine Schlussfolgerung hieß: Verstehen wir auch Gottes Wege nicht, immer und überall ist er am Werk. Seine Barmherzigkeit ist so groß, dass sie Unmögliches möglich macht. Am Ende seiner Ausführungen bringt ihn das zu der Erkenntnis, dass alle, um deren Seelenheil er sich sorgt, gerettet werden. Er sagt: ganz Israel, ohne Ausnahme, wird gerettet werden. Gott wird nicht eher ruhig, bis er sie alle wieder hat. Deshalb muss er jetzt von Gottes Geduld, ein Zeichen seiner Barmherzigkeit sprechen: „Da Gott seinen Zorn erzeigen (er bleibt nicht gleichgültig), uns seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns (auch unser deutsches Volk), die zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.“ Wenn wir beunruhigt sind über Menschen, die nicht an Christus glauben, teilen wir auch, wie Paulus, die gleiche Hoffnung für sie, die sich an der umfassenden Barmherzigkeit Gottes festmacht? Paulus, das wissen wir, hat nicht daraus den Schluss gezogen: Der liebe Gott wird sich schon um alles kümmern. Er wusste: Türen kann nur Gott öffnen, aber hindurch muss ich; Glauben schenkt nur Gott, aber verkündigen muss ich. Gott bindet mich in sein Heilshandeln ein. Deshalb schließt er: „Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.“ Wer beunruhigt ist, dass viele ohne Glauben an Christus durch ihr Leben gehen, der darf, wie Paulus, seine Unruhe als Ruf hören. Den Ruf, ein Rufer für Christus zu sein. Amen.

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