Daran kann ich mich halten

Daran kann ich mich halten

Röm. 8, 26 – 30                                                Exaudi – Oßling/Großgrabe, am 24. Mai 2020

„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“

Liebe Gemeinde! >Salz und Sand< Jesus hat sie Salz genannt. Würze im Eintopf der Gesellschaft, sonst wird das Leben fad. Salz, ja – aber auch Sand. Sand im Karussell, im Getriebe der umtriebigen Welt. Moment, Halt! Muss die Kirche rufen, so nicht! Beim ersten Satz unseres Predigtwortes jedenfalls ist es so: „Schwachheit“.  Beim Thema „Schwachheit“ geht die Kirche in Widerspruch zur Leistungsgesellschaft. >Schubkarre oder ICE< Unsere Gesellschaft, hätte sie zwischen einem Ochsenkarren und einem ICE zu wählen, würde sagen: Wenn, dann gleicht unser Miteinander einem Hochgeschwindigkeitszug. Damit haben wir aber ein Problem – es sind nicht alle drin. >Angstfreie Räume< Wo gibt es angstfreie Räume in unserer Gesellschaft, wo der Schwache, wo Schwachheit sein darf, was sie ist? Kirche muss so ein Raum sein. Ja genau, muss! Und ich liebe meine Kirche, weil mir angeboten wird, es auszuprobieren: Sei, der du bist. Stark und schwach. Da unsere Gesellschaft dem Thema „Schwachheit“ nicht viel abgewinnen kann, muss es die Kirche umso mehr in die Mitte rücken und der rasanten Lebensgeschwindigkeit gegenleben, ins Gewissen reden: „Der Wert eines Menschen darf  nicht durch seine Leistung oder Leistungsfähigkeit bestimmt werden.“ >Der Mensch ist mehr als Leistung< Mit diesem Anspruch berufen wir uns auf unsern Gott. Er scheint eine besondere Schwäche für die Schwachen zu haben. Unser Predigtwort beginnt mit einem großartigen Satz, einem Hoffnungsträger: „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf.“ Damit wird mir zugesprochen: Wer Erfahrungen mit Gott machen will, macht sie dort, wo es nicht mehr weitergeht: An toten Punkten, in Sackgassen, Krisen. Gott ist solidarisch. Er stellt sich mit mir ins Dunkel. >Wo ich am Ende bin, beginnt Gott< Er hilft. Ich höre aus diesem Hoffnungssatz: Lass dich nicht belügen, dass du immer stark sein musst; lass dich nicht blenden und verführen, deine Schwachheit zu verbergen – sondern tritt damit ans Licht, vor Gott und erlebe Hilfe. Das beziehe ich auch auf die Kirche, nicht nur auf meine persönliche Schwachheit, die da ist: Gottes Willen klar zu erkennen oder gar dauerhaft zu tun. – >Wie würdig beten?< Von Paulus dürfen wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass er beten konnte. Und doch scheut er sich nicht einzugestehen: Andere mögen meinen, dass ich beten könnte. Aber wenn ich auf Gott blicke, bin ich mit meinem Latein am Ende. Seufzend schreibt er: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich`s gebührt.“ >Gebet ist zerbrechlich< Diese Erfahrung teilen wir mit ihm. Paulus spricht eine persönliche Erfahrung aus: Glaube und Beten sind zerbrechlich, zerbrochen und verstummt am Schmerz. Auch dem im Gebet geübten kann der Atem stocken. Wer aufmerksam und mit einem liebenden Herz in dieser Welt lebt, weiß jetzt ein oder zehn Beispiele, wo Worte ersticken und versickern. Da ist nur Weinen, Schreien, Verstummen. Und da gibt es eine Kraft, die im Raum Kirche ist. >Es darf sein< Diese Kraft heißt: „es darf sein“. Ja, Schwachheit darf sein. Ratlosigkeit darf sein. Trauer darf sein. Der Mensch darf Mensch sein. Zugleich schwingt in diesem „nicht weiter wissen“ eine ungebrochene Hoffnung mit: Gott sorgt! „Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“ >Stellvertretung<Es mag sein, wir wissen nicht, wie wir beten sollen. Aber wir sollen. Die Ratlosigkeit unserer Herzen ist für Gott aber kein Hindernis uns zu lieben, zu beschenken. Wieder spricht Paulus von persönlichen Erfahrungen, die auch jeder Christ macht: Gott schenkt mir und der Gemeinde Segen, wo ich nicht gebetet habe, vielleicht nur resigniert geseufzt. Gottes Geist kennt das Herz eines jeden. Deins, meins. Und er macht daraus Gebet. Paulus, der sich gefragt hatte: Wie ist es recht, vor dem Allmächtigen zu beten, findet erleichtert die Antwort: Gottes Geist vertritt mich. Macht aus meinem Seufzen ein prächtiges Lied: „Der die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.“ >Mit Gott das Leben deuten< Mich tröstet das sehr und fast täglich. Ich weiß mich beteiligt in Gottes Plan, aber das Gelingen hängt nicht von mir ab. Mehr noch, Gott wird es so wenden und alle Umstände meines Lebens mit einbeziehen, dass ich, die Kirche, ans Ziel gelange. Eine nachahmenswerte Deutung des eignen Weges. Eine großartige Hoffnungsperspektive. – Alle heißt im Deutschen alle>Alle Dinge, alle!< Alles in meinem Leben, alle Wege seiner Kirche, alles macht sich Gott alles dienstbar. Dieser Blick auf Gott dürfte genügen, um vorerst neuen Mut zu schöpfen, für sich und die andern. Als es Paulus um sich selbst geht, seine Kraft zu lieben, beten, da sagt er ehrlich: „… wir wissen nicht.“ Einen Satz später sagt er zuversichtlich: „Wir wissen aber …“ So ist das immer: schauen wir auf uns, müssen wir skeptisch sein, so wir aufrichtig sind. Schauen wir aber auf Gottes Liebe und die Kraft seines Geistes, dann dürfen wir getrost und gewiss sein. So sagt Paulus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ >Daran kann ich mich halten< Daran kann ich mich halten. Mich eben. Das Leben. Die Menschen bejahen, weil Gott bejaht. Und so mir alle Dinge zum Besten dienen lassen. – Aber zu einer Frage nötigt mich Paulus. Ich muss mich das ehrlich fragen. Und jeder hier. Er schreibt, wir sollen dem Bild Jesu gleich sein. Welches Bild – so die Frage – hast du von Jesus, welchem du und ich ähnlicher werden sollen, wenn wir hier hören: „Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollen dem Bild seines Sohnes.“ >Zwei Jesusbilder< Schauen wir auf zwei Jesusbilder. In Montreale bei Palermo auf Sizilien steht eine wuchtige romanische Kathedrale, innen Gold, Mosaike, ganz vorn ER: Christus, der Weltherrscher, Herr über alles und alle. Ein fester Blick, herrschaftliche Miene, ausgebreitete, segnende Arme, königliches Gewand, blauer Überwurf, darunter Rot und Gold. – In Colmar, im Elsass gibt es das Museum „Unter den Linden“. Dort steht der berühmte „Grünewald-Altar“ aus dem 16. Jahrhundert. Auch da ist Jesus Christus zu sehen, am Kreuz. Nackt bis auf die Hüften, das Haupt gesenkt unter einer riesigen Dornenkrone, blaue Lippen, die Arme ans Kreuz gebunden, die Hände mit verstörend gekrümmten Fingern zum Himmel geöffnet. Ein gewaltiger Nagel befestigt die Füße am Holz. Der Körper voller Wundmale. Gleich sollen wir sein – dem Bild seines Sohnes. Dem Bild auf Sizilien oder im Elsass? Dem goldglänzenden Sieger oder dem vor Schmerz Verkrümmten? Keinem oder beiden zugleich? Ich bin oft von beidem weit weg. Mein Alltag sieht für mich nicht so dramatisch aus, von schwerem Leiden und vom großartigen Sieg bestimmt. Mein Glaubensalltag hat Siege und Niederlagen, fallen und wieder aufstehen. >Aufschauen zu Jesus< Im Nachdenken über die unzähligen Bilder, die sich Menschen von Jesus gemacht haben, wird mir deutlich: Paulus geht es nicht um Vorstellungen von Jesus, sondern um Jesu Vertrauen und seinen Gehorsam dem Vater ggü. Und um die Spuren, die Jesus in unserer Welt hinterlassen hat. „Dass wir gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes.“ Heißt: Aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, ihn nachahmen. Sich von seinem Licht bescheinen lassen und etwas davon widerspiegeln. Amen.

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