Das große Comeback

Das große Comeback

Jes. 52, 7 – 10                                                               3. Advent – Oßling/Großgrabe, am 15.12.2019

„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn aller Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.“      

Liebe Gemeinde am 3. Advent! Heiligabend – Vormittag. Die Nerven liegen fast blank. Wir erinnern uns: Große Feste werfen ihre Schatten voraus. Sie jedenfalls hatte alle Hände voll zu tun. Nach dem Mittagessen reisen die Kinder an. Darauf freut sie sich schon sehr. Vor allem auf ihre Enkel. Max wird bald drei Jahre alt. Gemeinsam werden sie unterm Christbaum singen. Ulrike, die Mittlere, und Martin, der Große spielen dazu Flöte. Einer liest die Weihnachtsgeschichte. Doch bis es so weit ist, gibt es noch viel zu tun: Betten beziehen, Staub saugen, Geschenke zurechtlegen … Den Baum will Manfred dann schmücken, wenn er hoffentlich pünktlich vom Dienst kommt. Nach dem Kaffeetrinken werden sie zur Christvesper gehen. Dann ist Bescherung. Hanna schleppt einen Stoß Handtücher ins Gästezimmer. Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. So fix wie früher geht das alles nicht mehr. Plötzlich wird ihr schwindelig. Dazu ein stechender Schmerz in der Brust. Sie setzt sich auf die Treppenstufe. Es wird wohl wieder aufhören. Vorsichtig, tastend steigt sie die Treppe hinunter. Kalter Schweiß tritt auf die Stirn. Was nun? Keiner im Haus. Einige Minuten hockt sie da. Ihre Gedanken kreisen ebenso schnell, wie der Raum sich dreht. Nur wenige Schritte bis zum Telefon. Sie schleppt sich zum Apparat. Die Nummer vom Hausarzt ist eingespeichert: „Hallo, ich brauche Hilfe!“ Mehr bringt sie nicht hervor. Die Schwester erkennt ihre Stimme. Als Hanna wieder zu sich kommt, liegt sie im Bett. Die Infusionsflasche gluckst leise. Maschinen piepsen. Sie kann es nicht fassen. „Wo bin ich?“ Etwa im Krankenhaus? Aber heut` ist doch Heilig Abend. Weihnachten fängt an. Das darf einfach nicht wahr sein.“ Tränen laufen ihr über`s Gesicht. Da geht die Tür auf. Ein Arzt stellt sich vor: „Sie haben großes Glück gehabt, Frau Schütze, ein paar Minuten später hätte ihr Leben vorbei sein können.“ Das jedoch will sie nicht glauben. Ein Infarkt, und sie ans Bett gefesselt. Gerade heute. – Ich weiß nicht, wie fern uns diese tragische Begebenheit in einer uns fremden Familie ist. Sie ist uns zumindest nicht so fern, wie die Menschen in unserm Predigttext. Es sind gefangene Israeliten in Babel. Es gibt so viele Spielarten von Gefangenschaft: ein Volk unter einem grausamen Diktator; Menschen, gefesselt ans Bett; wegen seiner Überzeugung im Gefängnis sitzen; Sklave seiner maßlosen Wünsche sein; gefangen in einer Sucht; gefangen in Einsamkeit; gefangen in Verachtung;  es gibt sichtbare und unsichtbare Ketten. Eines ist bei allen Spielarten von Gefangenschaft gleich: es gibt Trümmer, ob nun eine Seele in Trümmern liegt, die Gesundheit, die Kraft zu lieben und zu widerstehen, eine Stadt in Trümmern oder das Miteinander. Gefangene sitzen auf Trümmern. Und: sie haben ihre Zukunft nicht in der Hand, wenn sie eine haben, ist sie mehr als ungewiss. Unser Predigtwort eröffnet uns jetzt eine eher seltene Chance. Es bietet uns etwas an, was uns nicht oft geschieht – es will mit uns, mit Augen der Güte und des Verstehens, unser Leben betrachten, besser: das, was wir selber nicht gern anschauen und anderen vielleicht niemals zeigen. Weil unsere Kraft zu vertrauen bisher nicht ausreichte: Die Trümmer. Die sind in unserm Predigtwort die Angespochenen. Die Bruchstücke unsres Lebens, das unheilbar Zerbrochene, dort, wo nur Schmerz und Scham ist. Zertrümmertes Leben. Wo Trümmer, da ist auch Gefangenschaft. Ob unser Predigttext unsere Freiheit will, oder die Sehnsucht nach Freiheit wecken, oder sagen will: du bist frei? Dem sinnen wir ein wenig nach. Dabei blicken wir auf das alte Israel in Babylon. Es fällt auf – sie waren gefangen, lebten aber nicht auf Trümmern. Mussten zwar Sklaven sein, aber hatten Brot und Hütte unter fremden Herrn im fremden Land. Sie fingen sich an einzurichten. Man muss halt das Beste draus machen. Der Prophet nun will sie wieder zu sich selber bringen, zu ihrem Kern. Will ihre Sehnsucht nach Freiheit wecken, sie an ihre wahre Würde erinnern. Seltsam, fast abstoßend klingt sein Ruf: Kehrt zu euern Trümmern zurück. Dort beginnt eure Freiheit, auf euren Trümmern, nicht, wenn ihr euch in der Fremde einrichtet. Bemerkenswert finde ich, dass sich der Gedanke von der Freiheit eines Volkes und der Freiheit einer Menschenseele so nebeneinander stellen lassen. Das Volk Israel würde mit Brot und Hütte im fremden Land nie frei sein. Sie mussten zurück in die zerstörte Stadt, Bild der Resignation. Will ein Mensch frei werden, muss er zu sich selbst zurück, zu seinen Trümmern. Dazu genügt nicht er eigene Entschluss und Wille. Ein Zukunftsbild braucht es, eine Vision vom Kommenden. Wer in die Freiheit aufbrechen will, braucht eine Botschaft.Und braucht Glauben. Ohne die Propheten hätten die Israeliten nie und nimmer ihre warme Sklavenhütte verlassen und die Trümmer ihrer Heimat betreten. Aber es gab eine Botschaft für sie, die Vision einer wiedererstehenden Stadt. Das Lied vom heilwerdenden Leben. Dazu dieser Zuspruch: Auf, Gott will und Gott geht mit, er wird`s gelingen lassen. So wuchs Glaube, die Kraft aufzustehen und heimzukehren auf die Trümmerberge. Was den Sklaven damals gepredigt wurde, klang eher unwahrscheinlich – dass Land und Städte verwüstet, wieder gebaut werden und blühen. Dass Gott selber kommt und schließlich die ganze Welt das heilvolle Handeln Gottes sehen wird. Es wurde aber wahr. Allerdings eher unspektakulär. Die Rückkehr war zwar hoffnungsvoll, der Aufbau aber dauerte Generationen und war mehr als mühsam. Und Gottes Heil für alle Menschen war eben nicht der Einzug eines strahlenden Herrschers mit Krone, Schwert und Wagen. Da sangen zwar die Engel, aber zu sehen war nur ein Kind in einer Krippe und ein Mann am Kreuz. Heute weiß davon die ganze Welt – hätte einer ahnen können, dass dieses prophetische Wort sich so erfüllt: „.. aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.“? Dass wir einen Gott haben, der sich zu den menschlichen Trümmern begibt, sei es Armut, Sünde oder Tod – das erwarten wir manchmal heute so gar nicht. Obwohl es uns gepredigt wird. Hört diese Botschaft, es ist ein Wort an uns, unsere Kirche, unser Land: „Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen der Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.“ – Hannas Kinder trafen pünktlich ein. Statt großem Hallo und weit geöffneter Haustür empfängt sie ein regennasser Zettel am Gartentor. „Bin im Krankenhaus. Mutter hat einen Herzinfarkt. Geht ihr etwas besser. Sehen uns in der Kirche. Vater!“ Schrecklich. Unplanmäßige Aufregungen an einem ohnehin aufregenden Tag! Sie sitzen im Auto wie gelähmt. Was nun? Ins Krankenhaus stürzen? Er schreibt, dass wir uns in der Kirche sehen. Irgendwie selbstverständlich. Die ganze Familie geht regelmäßig zum Gottesdienst. Sie haben ihren Platz in der Gemeinde. Aber jetzt sind sie erstmal enttäuscht und traurig. Warum das heute? Ist jetzt das ganze Fest verdorben? – „O du fröhliche“ – bleiben uns nicht die Verse im Halse stecken angesichts von Leid und Not? Weihnachtsfriede – der fromme Schein in einer konfliktgeladenen Wirklichkeit? Je größer wir die Fragekreise ziehen, desto schwerer fällt es uns, zu bestehen. Darum müssen wir das Kind aus Bethlehems Stall in die Arme nehmen und in unser Herz legen. Auf diese Weise nämlich greift Gott in unser Leben ein. Ehe du den Mangel beklagst, lass dich beschenken. Und dann gib ab von deiner Freude und mach Frieden mit deinem Lebensradius. – Spät abends dürfen sie kurz auf die Intensivstation. Hanna schläft. Als Manfred an ihr Bett tritt, schaut sie ihn an, lächelt und flüstert leise: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude…“, „nein Manfred, Gott hat uns nicht vergessen, er hat es wieder Weihnachten werden lassen. Für uns alle.“ Durch das Fenster zum Flur kann sie ihre ganze Familie sehen. Vielleicht dürfen morgen alle rein. Doch eine kleine Überraschung haben sie mit, einen Freudengruß für die Mutter und alle, die es hören können. Und sie werden es auch für sich selber tun. Denn die Liebe kam zur Welt und berührt auch ihr Leben. Sie spüren die Liebe in der Bewahrung ihrer Mutter und Omi. Dieser Heilig Abend hätte auch ihr Todestag sein können. Aber es ist ihr zweiter Geburtstag geworden. Nachdem ihnen das bewußt geworden war, stimmen sie im Gang ein Lied an, nicht laut, aber voller Dank im Herzen – „O du fröhliche“. Dass mitten im Leid Menschen zum Loben finden, hatte einst der Prophet vorausgesagt, als er rief: „Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems.“ Amen.

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