Das höchste Gebot (Kirche Oßling)

Das höchste Gebot (Kirche Oßling)

Mk 12, 28-34                                                                          18. Sonntag nach Trinitatis – Oßling, 25.09.2016

„Es trat zu Jesus einer von den Schriftgelehrten, der ihm zugehört hatte, und fragte ihn: „Welches ist das höchste Gebot von allen?“ Jesus aber antwortete ihm: „Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: „Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.“ Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.“

Liebe Gemeinde! Dieser Mann trug in sich eine leise, nagende Unruhe, als er Jesus fragte: Könnte es sein, dass mein Leben nicht an seine Bestimmung gelangt? Auf Jesu fragenden Blick erklärt er: Könnte es sein, dass ich mit mir sehr zufrieden bin, meine Mitmenschen mir Anerkennung und Respekt zollen, aber die „oberste Instanz“ am Ende sagt: Ziel vollkommen verfehlt! Könnte es sein, dass meine Seele nicht ins Paradies darf, sondern in die Finsternis gestoßen wird? Jesus muss nur stumm und leise genickt haben. Jedenfalls sprudelt die Frage aus ihm heraus: Was ist das Wichtigste von allem? Eine Umfrage heute würde sehr bunt ausfallen: Hauptsache Gesundheit, Arbeit, Geld Beziehungen, Haus und Familie, Frieden, Umweltschutz, Brot für alle und, und, und… Den fragenden Mann vor Jesus bewegt eine Unsicherheit, nämlich was ihn und Gott betrifft: Könnte es sein, dass meine Maßstäbe für gut und böse, für gelungenes und verfehltes Leben ganz andere sind, als die Gott hat? Ich hoffe, wir haben uns diese Frage schon einmal gestellt. Der Fragende jedenfalls will wissen: Was ist aus Gottes Sicht für mein Leben, für die Menschen, das Wichtigste? Hier so formuliert: „Welches ist das höchste Gebot von allen?“ Das war ein Bibelkenner, dieser Mann. Er kannte 613 Gebote. Er wollte es Gott recht machen. Aber wie? Was hat Priorität? Jesus sagt ihm: Die Sache mit Gott ist bei weitem nicht so kompliziert, wie du dir das denkst. Schau: du hast doch nicht viele, sondern nur einen Vater und eine Mutter. Genauso hast du nur einen Vater im Himmel. Was meinst du wohl, was deinem himmlischen Vater das Wichtigste ist? Dasselbe, wie deinen irdischen Eltern – dass du sie lieb hast. So einfach ist das. Nicht mehr. Und nicht weniger. Hier im Predigttext so formuliert: „Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel, der Herr, dein Gott, ist Gott allein und du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften.“ Der Mann hatte eine Antwort bekommen, wie er den richtigen Weg in dem Wirrwarr der Wege finden kann. Zuerst, sagt Jesus, musst du das Ziel ins Auge fassen. Wer das Ziel vor sich sieht, findet den Weg. Das Ziel ist das ewige Leben. Der Weg ist die Liebe. Liebe meint gelingende, heil werdende, wachsende und fruchtbringende Beziehung. Menschliches Leben steht in der Doppelbeziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen. Das fügt Jesus an das erste an und sagt: „Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Der Schriftgelehrte damals stimmte Jesus sofort zu: Ja, Liebe ist das Wichtigste. Würden wir heute eine Umfrage starten und unsere Frage vom Anfang – was ist das Wichtigste – umformulieren: Was hält mein Leben, unser Miteinander zusammen, dann würde mancher der Antwort Jesu zustimmen und sagen: Ja, die Liebe. Aber etwas Gutem zustimmen und nicken und es selber tun sind verschiedene Welten. Das Wort Jesu, sein Maßstab „Gott lieben“ erfüllen wir ihn denn? Und zwar so, wie es hier steht? „Von ganzem Herzen“ – also mit der Mitte meiner Person; „von ganzer Seele“ – also mit allem, was in mir lebt; „mit ganzem Verstand“ – also mit allem, was ich denke, rede, singe und schweigend bewahre; „und mit allen Kräften“ – mit allen Freuden und Hoffnungen, mit meiner Arbeit und Freizeit? Kann das, tut das jemand? Nein. Selbst wer nur ein Fünkchen Erkenntnis über sich hat, weiß das. Es ist auch nicht so von Jesus gemeint, wird nur von uns, die wir in einer Leistungsgesellschaft leben und unbewusst in Leistungskategorien hören und denken, so verstanden. Jesus weist doch keinen Weg, den man nicht gehen kann. Im Gegenteil, es ist sehr einfach Gott zu lieben. Das verdeutlicht uns das Wort „annehmen“. Lieben heißt im Vollzug: annehmen. Ich liebe Gott, indem ich annehme, was er mir gibt. Zuerst beleuchtet dieses Wort die Oberfläche unseres Lebens. Wie nehme ich Luft, Sonne, Essen und Trinken, Haus und Arbeit an? Als etwas, was mir selbstverständlich zusteht, oder mit einem dankbaren Blick nach oben? Wie nehme ich meine Kraft, Gesundheit, die Fähigkeit meiner Hände und meines Geistes, meine Tage, meine Zeit, meine Familie und mich selber an? Als Eigenleistung oder als Geschenk? Nehme ich mich selber an? Nun kommen wir zum wichtigsten Geschenk Gottes. Er hat uns seine ganze Liebe geschenkt, in Jesus Christus, seinen Sohn. Haben wir ihn angenommen? Gott schenkt uns in ihm die Vergebung aller unsrer Sünden, in ihm haben wir ewiges Leben. Johannes schreibt dazu: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3, 16) Das größte Geschenk Gottes, Jesus Christus, ist uns so der Weg zu Gott, die Tür, der gute Hirte, Brot und Wasser des Lebens. Bilder für Gottes brennende, rettende Liebe. Gott lieben heißt zuerst: Jesus annehmen als Herrn und Heiland. Stellt euch vor, einmal, morgen oder in 30 Jahren kommt mein Stündlein und Gott fordert meine Seele vor sich – dann geht es einzig um die Liebe, ob ich seine Liebe angenommen habe, oder meinte, kraft meiner Wassersuppe müsste der liebe Gott froh sein, dass ich komme. Zielverfehlung ist: die Liebe Gottes gering schätzen, sie nicht lebenswert und –wichtig zu halten. Nein, ihr Lieben, wir wollen uns voll und ganz der Liebe Gottes, Christus selber zuwenden. Was würde es bringen zu meinen, ich sei ein guter Mensch, wenn Gottes Wort zu mir sagt: du bist Sünder vor Gott, bist erlösungsbedürftig, du brauchst Vergebung, brauchst einen, der dich hinüberrettet. Da gebe ich lieber Gott recht, ich nehme seine Gnade, Liebe und Vergebung an und beginne so erste Schritte auf dem Weg zu gehen, der „Gott lieben“ heißt. Ja, ich will von ganzem Herzen Gottes Vergebung annehmen, von ganzer Seele mich für Christus öffnen, mit allen Kräften mich an das Geschenk Gottes, an Christus klammern. In Christus habe ich nicht allein Vergebung, sondern Gottes Zusicherung, einmal bei ihm zu Hause, in seinen Armen zu sein. Meinen Vater, Großvater und viele Freunde werde ich wieder sehen in einer Welt voller Licht, ohne Leid und Tränen, ohne Schuld und Krankheit, gefüllt mit Freude und Jubel, gefüllt mit Liebe. Wenn ich so reich beschenkt bin, sollte ich mich dann der Bitte Gottes verweigern, meine Mitmenschen so zu behandeln, wie ich selber behandelt werden will? Sollte ich festhalten an Unversöhnlichkeit, obwohl ich unermessliche Vergebung erfahren habe? Sollte ich eine kleine Hilfe verweigern, obwohl ich täglich Leben und Hilfe empfange? Sollte ich die Hungernden vergessen, obwohl ich täglich satt bin? Sollte ich meine Ohren den zerbrochnen Herzen verschließen, obwohl meine Wunden verbunden wurden? Sollte ich „keine Zeit“ haben, obwohl ich täglich einen Tag bekomme? Sollte ich etwa von der Liebe Christi schweigen, der sein Blut und Leben für mich geopfert hat, damit ich lebe? Sollte ich? Wir werden miteinander diesen großen Auftrag bewältigen, der da lautet: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Wir werden lernen, einander anzunehmen, wie Christus uns angenommen hat. Wir werden lernen, nach jedem Misserfolg wieder aufzustehen und auf den Weg der Liebe zurückkehren. Wir werden in der Kraft von Gottes Liebe Schritte wagen, feste und zögerliche, tastende und fröhliche. Brücken werden wir bauen, kleine und große; Wege werden wir bahnen, wo Gestrüpp von Fremdheit und Vorurteil war. Diese Aufgabe erscheint uns nur dann zu groß, zu schwer dieser Weg, wenn wir auf uns und unsere Kräfte schauen. Da klopft die Resignation an. Wir wollen lernen auf Christus zu schauen, auf Gottes große Liebe. Seine Liebe hat uns ins Leben gerufen, auf diesen Weg geführt und wird dafür sorgen, dass wir unsre Bestimmung, unser Ziel erreichen. Amen.