Das Interview

Das Interview

Jesaja 6, 1-13              „Das Interview“                  Trinitatis/Jubelkonfirmation – Großgrabe, am 11.06.2017

„In dem Jahr, als der König Usija verstarb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Seraphim standen über ihm, ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien bedeckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Fundamente bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Seraphim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet´s nicht; sehet und merket´s nicht! Verfette das Herz dieses Volkes und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen. Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. Denn der Herr wird die Menschen weit weg tun, so dass das Land sehr verlassen sein wird. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“

Sprecher: Danke Jesaja, dass du eben mal aus vor 2.700 Jahren zu uns rüber gekommen bist. Wie war dieZeitreise?
Jesaja:     Ich bin nicht „gereist“, ich bin da durch die Botschaft.
Sprecher: Aber du kommst doch aus der Zeit der Assyrer, Pfeil und Bogen, Tempel und Stadtmauer. Andere Zeiten, andere Sitten.
Jesaja:     Waren die Menschen früher wirklich anders? Vor allem: Ist der Gott, den ihr glaubt, ein anderer als zu meiner Zeit?
Sprecher: Das ist der Grund unseres Interviews. Du berichtest von einer direkten Begegnung mit Gott.
Jesaja:     Es war das Sterbejahr des König Usija. Ich war zum Gottesdienst im Tempel.
Sprecher: Dann kam Gott?
Jesaja:     Gott kann gar nicht kommen, er ist immer, überall, in allem. Es geht nichts ohne Gott, weil nichts ohne Gott ist.
Sprecher: Dieses Erkennen kam dir sicher bei dem Gesang der Engel, die du hörtest. Sie sangen doch: Alles auf Erden, innen wie außen, ist voll von Gott.
Jesaja:     Wie, als würde der Vorhang hochgezogen. Seraphim, d.h. in eurer Sprache „die Brennenden“, standen über Gott wie Diener stehen müssen, wenn der König auf dem Thron sitzt.
Sprecher: Wie sah Gott denn aus?
Jesaja:     Gar nicht!
Sprecher: Wie – gar nicht?
Jesaja:     Da war Licht. Dieses Licht war gesäumt, d.h. es war wie der Saum des Mantels, den der König bei Empfängen trägt. Allein ein Teil des Saumes füllte den riesigen Tempel.
Sprecher: Das wäre für mich ein Bild für die Unfassbarkeit Gottes.
Jesaja:     Der Tempel steht bei uns für den Glauben. In diesem Sinne gebe ich dir Recht: Der menschliche Glaube kann gefüllt sein mit Erkenntnis Gottes, aber selbst, wenn er voll ist, muss er wahrheitsgemäß bekennen: Ich habe nur einen Zipfel von Gott selbst.
Sprecher: Ein großer christlicher Lehrer hat das aufgegriffen und gesagt: Der Mensch ist ein Tempel Gottes. Gut zu wissen, dass der Mensch  trotzdem Gott nicht zu fassen kriegt.
Jesaja:     Das war die erste Botschaft, die ich bei dem mächtigen Wechselgesang der Seraphim verstand.      „Heilig!“ sangen sie: „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr Zebaoth.“
Sprecher: Nicht verfügbar für menschliche Pläne und Absichten ist Gott. Gott ist abgesondert, der Andere.  Heilige ist doch: Jedem Zugriff entzogen.
Jesaja:     Wir sprechen sehr locker über Gott. Etwas anderes ist es, IHM zu begegnen.
Sprecher: Dazu gleich. Mich interessieren noch die Engel. Sie hatten, wie du schreibst, sechs Flügel. Das klingt phantastisch, phänomenal …
Jesaja:     So töricht sind wir Menschen, wenn wir nur über Gott reden, als könnten wir ihn denken und erfassen. Er ist heilig, d.h. unter keinen Umständen zugänglich. Ihr nennt das „transzendent“. Aber zugleich ist er vollkommen zugänglich, denn er ist in allem zu finden. Ihr sagt dazu „immanent“,  wie die Seraphim sangen: „Alle Lande sind seiner Ehre voll.“ Na? Begreifst du dieses Geheimnis Gottes: Unendlich fern und zugleich unendlich nah?
Sprecher: Wie denn begreifen?
Jesaja:     Wenn du anfängst, das Geheimnis Gottes zu betrachten, dann gibt es ein untrügliches Merkmal, ob  du auf dem Weg zu Gott oder auf einem Egotrip bist.
Sprecher: Ich bin ganz Ohr.
Jesaja:     Ehrfurcht. Die Ehrfurcht ist es. Hast du die nicht, dann betest du nur dein selbstgemachtes Bild von Gott an. Sicher kommen wir, wenn du mich nach meinem Auftrag fragst, noch einmal darauf zurück.
Sprecher: Ehrfurcht – wie ist dir das klar geworden?
Jesaja:      Durch die Seraphim. Das spiegelt ihr Sein in der Gegenwart Gottes wider. Sie bedecken ihr Angesicht: vor Scheu und Glück. Sie bedecken ihre Füße, wollen nicht entblößt sein vor Gott und sie fliegen: das ist, sie sind bereit für den kleinsten Wink Gottes. Das ist Ehrfurcht: Scheu, Glück,  Bereitschaft. Ganz da sein und Gott von Herzen loben und preisen. …

Die Gemeinde singt: EG 331, 1-3 Großer Gott wir loben dich

 Sprecher: Wenn die Seraphim singen, dann beben die Fundamente.
Jesaja:     In meiner Sprache heißen Fundamente auch: „Mütter“, und, „alles, was Leben bringt“. Die  Fundamente von allem, was Leben bringt, beben. Aber die Menschen nicht. Mein Volk hebt das nicht an.
Sprecher: Nach dem Rauch, dem gefüllten Tempel, dem Beben, berichtest du von deiner Angst.
Jesaja:     Ich muss mich korrigieren. Ich hatte leichtfertig über mein Volk gesprochen, aber vergessen, dass ich dazugehöre. Das wurde mir in diesem Erleben zutiefst und schmerzhaft klar.
Sprecher: Es muss Todesangst gewesen sein, wenn du schreibst: „Wehe mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen, und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.“
Jesaja:     Diese Erkenntnis kam wie ein Lavastrom auf mich zu, unerbittlich, grausam, tödlich.
Sprecher: Den Grund dieser Erkenntnis benennst du: „ …denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“ Vorhin sagtest du, du hättest nur den Saum seines Gewandes erblickt?
Jesaja:     Ich habe viel mehr von Gott gesehen, als ich fassen konnte. Und mir war klar: nie und nimmer  kann ich mit Gott Gemeinschaft haben.
Sprecher: Doch ein Engel stand bei dir.
Jesaja:     Es wird wohl häufiger, als wir je ahnen, ein Bote Gottes für uns kämpfen, uns schützen.
Sprecher: Hier mit einer glühenden Kohle auf deine Lippen.
Jesaja:     In unserer Sprache ist „Gott Sünden bekennen“ und „Gott loben“ dasselbe Wort. Mit meiner Sündenerkenntnis und Sehnsucht nach Vergebung lobte ich auf meine Weise mit den Seraphim Gott. Mir wurde vollkommen vergeben. Seither bin ich ein gebranntes Kind, wie du und ihr.
Sprecher: Was hat das mit uns zu tun?  Da war keine Kohle auf unsern Lippen.
Jesaja:     Ob gebrannt oder gewaschen, durch Feuer oder Wasser, wie du es auch nennst, jedenfalls Kind Gottes.
Sprecher: Dann war´s vorbei mit der Angst?
Jesaja:     Nein und ja. Ja und Nein. Also: Ich wusste, dass ich leben darf. Ganz gewiss. Und die Todesfurcht wendete sich in Furcht, Ehrfurcht.
Sprecher: Und?
Jesaja:     Dann hörte ich … Gottes Stimme.
Sprecher: Wow!!!!
Jesaja:     Lass das bitte! Sensation, Gafferei, Neugier ist hier ganz daneben. Dir scheint es immer noch um eine tolle Geschichte zu gehen, mit der du dich selbst vor andern wichtig  machen kannst.
Sprecher: Hmm … Also, du hörtest … nach der glühenden Kohle auf deinen Lippen?
Jesaja:     Für mich hat das einen Zusammenhang: Erkennen, wer ich in Wahrheit vor Gott bin. Dann, die Erfahrung von Gnade und Vergebung …
Sprecher: Als würden dir dadurch die Bohnen aus den Ohren fliegen …
Jesaja:     Jedenfalls habe ich es so erfahren: Selbsterkenntnis – Vergebung – und dann war mein Gehör und Herz frei.
Sprecher: Du berichtest, dass du nur indirekt angesprochen wurdest.
Jesaja:     „Ich hörte die Stimme des Herrn: Wen soll ich senden? Wer will mein Bote sein?“
Sprecher: Mit wem hat der Herr da geredet?
Jesaja:     Vielleicht fällt dir am heutigen Sonntag „Trinitatis“ dazu selbst eine Antwort ein.
Sprecher: Äh, also, naja. Und, du hast ja reagiert.
Jesaja:     Ich war frei, weil ich vollkommen an die Gnade gebunden war. Eben noch unwürdig, dem Tode geweiht, zu Boden geworfen, vor Scham stumm – jetzt froh und zuversichtlich kam es aus dem Urgrund meines Herzens: „Hier bin ich, sende mich!“
Sprecher: Danke Jesaja, bis hierher. Der Schluss unseres Interviews könnte aber kompliziert werden. Weil, das versteht kein Mensch.
Jesaja:     Treffend formuliert. Wer will sich denn anmaßen, Gott zu verstehen? Warum kann das Unverstehbare nicht einfach so stehen bleiben?
Sprecher: Weil Verstehen zum Menschsein gehört!
Jesaja:     Und Geheimnis, Unbegreiflichkeit zu Gott. Beides, Verstehen und Geheimnis steht nebeneinander, auch in deinem Leben. Ob im Streit oder versöhnt, das ist allerdings noch offen …
Sprecher: Sei´s drum, du erhieltest von Gott einen Botenauftrag. Gut und schön. Aber die Botschaft an sich war der Hammer!
Jesaja:     Ich hatte mir den Inhalt der Botschaft auch vollkommen anders vorgestellt. Ja, aber da sind wir am  Anfang unsers Gespräches: beim  Bild, das sich jeder von Gott macht.
Sprecher: Was soll denn daran ein selbst gebasteltes Bild von Gott sein, den Menschen von Gott, seiner Liebe, seinen Geboten zu erzählen, und sie aufzufordern, ihr Leben am Willen Gottes auszurichten? Du aber hattest den  Auftrag, sie blind für Gott zu machen.
Jesaja:     Ich hörte: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet´s nicht; sehet und merket´s nicht. Verfette das Herz dieses Volkes.“
Sprecher: Moment: Herzverfettung, das klingt ja wie eine moderne Diagnose aus unserer Zeit.
Jesaja:     Vielleicht merken viele deiner Zeitgenossen gar nicht, dass sie Gott in eine Streichholzschachtel packen, gut benutzbar. „Gott“ ist dann bloß eine nützliche Vorstellung zum besseren seelischen Gleichgewicht für gestresste Vielverdiener, kostenlose Wellness.
Sprecher: Eine harte Kritik.
Jesaja:     Oder eine korrekte schonungslose Analyse.
Sprecher: Also warst du ein Unheilsprophet, sagtest Unheil für die Zukunft voraus?
Jesaja:     Mal abgesehen, dass die Zukunft allein bei Gott liegt, spricht eben der echt Prophet von der Gegenwart und ihren Gefährdungen: Herzverfettung, als ein egoistischer Lebensstil. Blinde  Augen, taube Ohren für die Liebe, für Gott, für die Schwachen, die Ausgegrenzten … das war bei uns gesellschaftlicher Alltag. Mein Auftrag lautete: sag das an. Nimm kein Blatt vor den Mund:  Wenn ihr so weiterlebt, wird es immer mehr eskalieren und zerbrechen. Meine Aufgabe lautete: Sprich aus, was die Stunde geschlagen hat!
Sprecher: Aber es war vergebens. Euer Land, das Miteinander zerbrach wenig später. Alles endete mit einer Katastrophe.
Jesaja:     Meine Aufgabe war nicht der Erfolg, sondern Bote sein, um Veränderung ringen. Das könntest du und ihr doch heute mitnehmen.
Sprecher: Was denn?
Jesaja:     Dass es nicht um „Erfolg“ geht, sondern darum, Bote zu sein. Zeuge.

Die Gemeinde singt:  331, 9-11

 

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