… denn dazu bin ich gekommen.

… denn dazu bin ich gekommen.

Mk 1, 32-39                                                    19. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe/Oßling, am 22.10.2017

 

„Am Abend aber, als die Sonne untergangen war, brachten sie zu Jesus alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb die bösen Geister aus und ließ sie nicht reden; denn sie kannten ihn. Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort. Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach. Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.“

 

Liebe Gemeinde! Das Gebet ist ein Scharnier. Wie eine Tür darin schwingt, so wendet sich der Beter dieser, dann wieder der kommenden Welt zu. Mit seinem Leben geht er zum unsichtbaren Gott. Von ihm zurück in die sichtbare Gegenwart. Geben und nehmen. Ausatmen, einatmen. Im Gebet seiner Berufung treu bleiben. Gebet ist heilsame Unterbrechung. „Mein Gebet komme frühe vor dich.“ (Ps 88,14) „Herr, frühe wollest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir wenden und aufmerken.“ (Ps 5,4). So bekennt der Psalmbeter und wir erfahren, dass Jesus sich an diese Regel des jüdischen Morgengebetes hielt, Vers 35: „Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.“ Das Morgengebet. Die Stille vor Sonnenaufgang. In ihr wieder zu innerer Kraft finden. Jesu Praxis des frühen Gebetes ist ein Anstoß, es zu halten wie er. Das Gestern in Gottes Hand befehlen, loslassen mit der vertrauensvollen Bitte: Mach aus meinem Tun einen Segen. Das Heute, den vor mir liegenden Tag empfangen, als Geschenk erkennen. Danken, und um Weisheit bitten: Was ist zu tun? Was gilt es zu lassen? Nur heute. So aus der Zerstreuung zur Sammlung finden. Zur Stille: Damit wir nicht unsere Wünsche anbeten, sondern von Gott nichts anderes erbitten als Gott selbst. – Wir sehen Jesus in der Morgendämmerung betend laufen. Er ist beim Beten nicht weniger bei den Menschen als beim Heilen. Er denkt an den vergangenen Abend. Uns wird davon erzählt: „Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu Jesus alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.“ Ein einprägsames Bild: Eine orientalische Nacht. Der Sternenhimmel, unglaublich schön. Die Häuserwände atmen die Tageshitze, aber die Luft ist erfrischend kühl. Die Ruhe des Sabbats ist mit dem Sonnenuntergang vorbei. Auch die Ruhe der Herzen. Viele Suchende, die ganze Stadt beim Wunderarzt, vor der Pforte des kleinen Hauses. Drinnen Jesus. – Neben dem Leid wohnt die Hoffnung. Tür an Tür. Wer krank ist hofft auch, dass er doch noch gesund wird. Hofft, hält Ausschau. Vor Jesus versammeln sich Leid und Hoffnung. Wie bei uns, wenn zwei oder drei versammelt sind in Jesu Namen. Deshalb sind wir mitten unter diesen Menschen dieser Nacht. Aber wir sind verlegen. Das ist so etwas wie „leise beschämt“. Was ist mit unserer Kirche, Gemeinde, Gemeinschaft, wenn wir sehen, was geschieht: „Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren.“ Beladene. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (Mt 11,25) So predigt, handelt, der seine Wirkkraft in den Namen fasst: „Ich bin der Herr, dein Arzt.“ Jesu Wort ist Medizin, trifft diagnostisch den wunden Punkt. – Es gibt so viele Kranke heute, in der Gegenwart Jesu. Zugleich teilen wir miteinander den Glauben: „Gott ist gegenwärtig“, der Auferstandene ist hier. Müsste unter uns nicht dasselbe wie damals geschehen? Auf diese Frage der Menschen in unserem Dorf haben wir keine einfache Antwort, haben keinen Beweis, Beleg, wie etwa: Schaut, Frau X ist gestern, nach dem Gebet, gesund geworden. Oder haben wir so ein Wunder? Halt, ich bin zu weit gegangen, will mich an die Schrift halten. Das Wort „Wunder“ kommt hier ja gar nicht vor. „Er half vielen Kranken.“ Im Urtext bedeutet „vielen“: allen Kranken. Wir würden dann sagen: Er half den vielen Kranken. Dieser kleine sprachliche Hinweis ist an die gerichtet, die die oben erwähnte Verlegenheit entschuldigen wollen mit dem Hinweis: vielen half er, aber nicht allen. Immer noch stehen wir in der vibrierenden orientalischen Nacht. Wieder kommt einer aus dem Haus, strahlt. Noch einer. Freude, Glück, Lächeln, Freiwerden, das sind Zeichen: Gott selbst ist am Werk. So lautet der Bericht: „Und er trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.“ Uns würde das Fehlen von Krankheit ja schon reichen, Jesus nicht. Er will heil machen. Er will die Besessenheit heilen. Jesus im Kampf mit diesem Elend ist eindrucksvoll dargestellt von Rembrandt auf seinem sogenannten „Hundertguldenblatt“. Es sind „Aber-Geister“, immer im Widerspruch zur Liebe, Liebe Gottes. Jesus lässt diese Quälgeister nicht zu Wort kommen, die sonst immer pisacken: „Das kannst du aber noch besser. Das schaffst du auch noch. Sieh dir mal die andern an, was die können. Das verzeih ich dem nie. Du bist immer so. Nie machst du was richtig. Du bist ein Versager …und, und, und 1000 Sätze mehr: Aus. Schluss. Vorbei, sagt Jesus. Da müssen sie schweigen, die bösen Geister. Wie oft habe ich schon gehört: Den Teufel gibt´s nicht. Wer so etwas sagt, angesichts des Grauen in der Welt, angesichts von lügenhaften Ideologien, angesichts von Menschen, die in sinnlose, zerstörerische Süchte und Dunkelheiten versinken – der ist feige. Er schämt sich, will es nicht zeigen, will in der sogenannten aufgeklärten Welt ein aufgeklärter Mensch sein. Vor andern lächelt der Aufgeklärte über Dämonen, bleibt aber selbst an seine Angst gebunden. Er will nicht als dumm dastehen, dass er noch an solchen mythologischen Unsinn glaubt. Das ist die Angst der Klugen, die sich für das Unerklärliche schämen und die Realität mit Intelligenz leugnen, zuerklären. Das tut Jesus nicht. Hier wird berichtet: böse Geister sind da, erkennbar, sind personenhafte Mächte. Jesus ist ihnen überlegen. Es gibt einen Kampf. Jesus bringt sie zum Schweigen. Im Urtext heißt es: „er warf sie mit Gewalt hinaus“, aus den geplagten Menschen. An mittelalterlichen Kirchen finden wir oft an den Außenmauern, Simsen oder als Wasserspeier drachenähnliche Ungeheuer. Die alten Steinmetze wollten damit zeigen: Kirche soll ein Ort sein, wo dieser Kampf weitergeführt wird. Mit dem Wort. Gottes Wort wirft die Dämonen mit Kraft hinaus. „Ein Wörtlein kann sie fällen.“ An dieser Stelle wird etwas vom Anfang deutlicher. Gebet ist im eigentlichen Sinne nicht Kraft tanken für die immensen Herausforderungen, sondern leer werden, damit Gottes Kraft fließen kann. Gebet ist kein mentales Training, sondern lernen Gott Gott sein zu lassen. Gott heilt. Gott allein befreit. Aber durch Menschen hindurch. Durch Jesus. Durch alle, die ihn durchlassen. Eindrücklich wird uns nun erzählt, wie Jesus im Beten durchlässig wird, sich seinen Weg weisen lässt. Die orientalische Nacht ist vorbei. Von den 207 Kranken vor der nächtlichen Tür, die sich angemeldet hatten, konnte er in einer Nacht mit 43 reden, für sie kämpfen, heilen. Aber so viele warten und hoffen noch. In der Früh wird Petrus von Stimmengewirr wach, lässt die Fensterläden hoch, sieht die Menge vor der Tür. Sie vermuten Jesus im Haus. Er holt tief Luft. Wir müssen Jesus holen. Genug gebetet, Arbeit wartet. Weiter mit Wunder, hurtig mit Heilung: „Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach. Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. Und er sprach zu ihnen: Lasst uns woanders hin gehen, in die nächsten Städte, dass ich dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“ Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung? Hauptsache Gesundheit. – Nach seinem Gebet, danach, (!) setzt Jesus Prioritäten: Heilen oder Verkündigen. Er wählt verkündigen. Wenn es um das Tun geht, steht mir ein Buch von Otto Dibelius vor Augen, Titel: „Ein Christ ist immer im Dienst.“ Was hörst du bei diesem Satz: Ein Christ ist immer im Dienst? Oder: Ein Christ ist immer im Dienst. Jesus lässt sich nicht von Aufgaben, sondern von seinem Vater leiten. Er entscheidet sich für das Predigen des Wortes Gottes. Denn Gottes Herrschaft kommt nicht aus dem, was wir ausrichten, sondern was Gott selbst ausrichtet. Allein durch sein Wort ereignete sich nicht nur die Schöpfung, sondern geschieht auch Gnade, Freispruch, Heilung, Vergebung. „Lasst uns weitergehen“, sagt Jesus, dass ich predige, denn dazu bin ich gekommen.“ – Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen ist der Ort, wo Mühselige und Beladene Erquickung finden. Kirche ist der Ort der Stille, des Gebetes. Zuerst und zuletzt aber der Ort, wo Gottes Wort verkündigt und gepredigt wird. Amen.

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