Wasser, Geist und deine Antwort

Wasser, Geist und deine Antwort

Joh. 5, 1-16                                                                                            Lichtblick – Großgrabe, am 22.01.2017

„Es war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde Lahme, Ausgezehrte. Sie warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte. Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt. Es war aber dort ein Mensch, der lag 38 Jahre krank. Als Jesus den dort liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn sich das Wasser bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber an dem Tag Sabbat. Da sprachen die Juden zu dem, der gesund geworden war: Es ist heute Sabbat; du darfst dein Bett nicht tragen. Er antwortete: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volk an dem Ort war. Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte.“

Liebe Gemeinde! “ Ich habe keinen Menschen … “ Diese vier Worte des Kranken bringen etwas in uns zum Schwingen. Das geht einem nahe. Da sagt einer und so sagen viele: ich bin versorgt, aber habe keinen. Ich bin mitten im Gewimmel, aber mein Herz ausschütten kann ich niemandem. Allein bin ich nicht, aber einsam. Unser Predigttext nimmt uns mit hinein in verwirrende Situationen. Es berührt mich seltsam, was hier geschieht. Zuerst besucht Jesus, während eines großen Volksfestes, eine Heilstätte. Da sind viele Leidende; Kranke besuchen – das ist gut. Nun höre ich von einem wunderlichen Aberglauben. An was sich Kranke nicht alles klammern: an Bilder und Ikonen, Talismane und Horoskope, Pendel und Karten … hier: da ist eine warme Quelle. Ab und an steigen Gase hoch, das Wasser brodelt. Und schon glauben die Menschen – ein Engel fährt ins Wasser, wer zuerst hineinspringt wird geheilt. Unerschütterlich ist dieses Vertrauen in ein paar Gasblasen. Fragt sich denn hier keiner, warum die Hallen immer noch voller Kranker sind, obwohl die Berührung mit dem Wasser heilen soll? Jesus schaut sich um. In einer dunklen Ecke der letzten Halle ein Denkmal der Resignation. Ein Mann, seit 38 Jahren gelähmt. Das sind 38×365, also 13880 verwartete Tage. Da liegt der Alterspräsident der Siechen am Beckenrand. Jesus stellt ihm eine ernste, aber seltsam klingende Frage: “ Willst du gesund werden?“ Welcher Kranke will das nicht? Nicht alle wollen. Das ist verwirrend, aber wahr. Sonst würden auch heute die Ärzte nicht ständig betonen: aber der Patient muss wollen, mitmachen. Man kann sich auch einrichten in einem Leiden. Dadurch bekommt man Auf-merksamkeit, Zuwendung, Mitleid. „Sekundärer Krankheitsgewinn“ nennt man das. Nun finde ich das Verhalten des Kranken und später Geheilten wirklich seltsam. Er antwortet nicht auf die Fragen, die man ihm stellt und schiebt jegliche Verantwortung von sich. Es sind bei ihm immer die anderen. Schaut mit mir mal auf ihn und hört ihm genau zu. Jesus fragt: “ Willst du gesund werden?“ Kein Ja, kein Nein. In Jesus wendet sich ihm ein Mensch direkt zu, und er sagt: „Ich habe keinen Menschen.“ Der Arme! Könnten wir meinen. Stattdessen sehen wir Jesus wütend werden und er fackelt nicht lange. Der Befehl Jesus klingt sehr unwirsch und grob. Ungefähr in der Tonart: Keinen Menschen hast du? Quatsch mit Soße. Verlass sofort deine Matratzengruft und geh unter die Leute! Los. Heb deinen …! Ab durch die Mitte. Jesus muss es angewidert haben, als er aus dem Mund des Gelähmten hört, dass er seine ganze Hoffnung abergläubisch auf blubberndes Wasser setzt: “ Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.“ Warum ist er in den 38 Jahren nicht langsam auf seiner Matratze vorgerutscht bis an den Beckenrand? Nein die hinterste Ecke. In der fünften, hintersten Halle. Ohne das Einverständnis des 13880 Tage Liegenden zu erbitten; ohne zu fragen: glaubst du? Kommt diese Anweisung, kurz und bündig: “ Steht auf, nimm dein Bett und geh hin!“ Entweder trägst du die Matratze oder sie trägt dich. Wen Jesus ruft, der bleibt  nicht liegen, nicht im Bett und nicht im Grab. Das Wunder ist da. Der Liegende kommt auf die Beine, schultert seine Bahre und taumelt ins Licht. Was geschieht hier? Besser, was geschieht hier nicht? Keinen wundert das Wunder. Wir hören keine Antwort des Geheilten, kein Staunen, kein Dank, kein Jubel, keine Freude. Keiner in der Halle ruft: Ein Wunder, ein Wunder! Nichts, überhaupt nichts. Jeder sieht´s und keinen wundert´s. Ist schon komisch. Ich will wissen, warum. Wir laufen dem Geheilten nach. Jetzt erst erfahren wir, dass heute ein Tag ist, wo keinerlei Arbeit gestattet ist: “ Es war aber an dem Tag Sabbat.“ Das mag für uns nichts bedeuten. Wir tun am Sonntag, was wir wollen. Für die Juden war es verboten nach dem Gesetz Gottes, am Sabbat Lasten zu tragen ( Jer. 17, 19-27 ). Das wusste Jesus ganz sicher. Aber er befiehlt den Sabbatbruch: “ Steh auf, trag dein Bett und marschiere!“ Der Geheilte wird so zu einer Sonntagsprovokation für seine Umwelt werden. Kaum steht er, bepackt mit seinem Bett in der Sonne, läuft 100 Schritte die Straße hinunter, da wird er auch schon gestoppt: He, “ es ist heute Sabbat, du darfst dein Bett nicht tragen.“ Der Geheilte sagt dazu nur: ich bin nicht dranschuld; ich trage nur mein Bett, aber keine Verantwortung: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und gehe hin.“ Immer die anderen. Zuerst hat er keinen Menschen,  jetzt ist ein anderer verantwortlich. Und wieder beantwortet er eine Frage nicht: „Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin?“ Weiß ich doch nicht! Schulterzucken, leerer Blick. Dieser Mann ist immer noch beziehungslos, er hat immer noch keinen Menschen. Deshalb hat er auch im Text keinen Namen, sondern wird nur bezeichnet: „Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war.“ Nun folgt ein Szenenwechsel. Jesus begegnet dem Geheilten im Tempel und sagt ihm etwas rätselhaft Klingendes:  „Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre.“ Der warnende, ja drohende Unterton ist nicht zu überhören. Das geht doch gar nicht, nie mehr sündigen, wir sündigen täglich und auch der damals Geheilte. Jesus muss also eine bestimmte Sünde gemeint haben. Er spricht zu einem Menschen, der sich 38 Jahre an einem aussichtslosen Ort häuslich eingerichtet hatte, der abergläubisch auf die Wirkung von Wasserblubbern gehofft hatte, zu einem, der chronisch hoffnungslos, beziehungslos bleiben wollte. So einen Menschen hilft nur das Erkennen und Bekennen seiner konkreten Sünden: “ Ich bekenne, Gott, dass ich in Aussichtslosigkeit verhaare. Ich bekenne, dass ich auf eine Hilfe setze, die es nicht gibt. Herr, sei mir Sünder gnädig.“ Jesus spricht ihn auf diese, seine Sünde an. Und wie befremdlich – wieder keine Antwort, nicht ein einziges Wort. In dieser stummen Art des Geheilten, sein Gegenüber zu ignorieren, ist etwas Passiv – Aggressives, wie ein versteckter Angriff: es sind immer die andern und gegenüber seinem Heiler hat er kein Wort, nichts. Er hat immer noch, will immer noch: keinen Menschen. Er hat nicht mal ein Gespür dafür, dass er seinen Retter nun in eine Falle bringt. Kaum hat er das Wort Jesus betreffs seiner Sünde über sich ergehen lassen, benutzt er seine ihm von Jesus geschenkte Fähigkeit zu laufen gegen Jesus: “ Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe.“ Das hat etwas sehr Tragisches zur Folge: “ Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte.“ Ist das nicht irre, verwirrend? Da geschieht ein Wunder, etwas Wunderbares. Aber keiner freut sich. An dem dies Wunder geschieht, der will es gar nicht richtig, will nicht sein neues Leben, Eigenverantwortung ergreifen. Dem Heiler gar droht für seine Hilfe der Tod. Was geht denn hier ab? Was ist das denn für ein irres Theater? Dämmert uns etwas? Diese verrückte Welt ist unsere Welt. Diese kleine Geschichte bildet etwas Schwerwiegendes ab: dem Menschen wird von Gott geholfen, aber der Mensch will nicht. Hier wird das Tragische gezeigt: Gott scheitert mit seiner Liebe. Sie wird nicht erwidert. Da schickt Gott seinen Sohn Jesus als Retter in die dunkle Welt. In das große Hospital, zu den in Sünde gebundenen und an Tod und Teufel verkauften Menschen. Hat Heil in seiner Rechten und Heilung in seiner Linken. Jesus bringt das Licht, aber es scheint, als würden viele dieses Licht meiden. So, als wäre das Licht ihr Kreuz. Bald nach dieser Heilung wurde Jesus gekreuzigt. Sein Anspruch: ich bin Gottes Sohn, Retter, Weg und Wahrheit sollte so totgemacht werden. Mit dem Befehl: trag dein Bett, hatte Jesus diesen Anspruch angemeldet. Seine Anweisung: Trag das Bett am Sabbat als Zeichen der heilenden Liebe Gottes zeigt: ich, Jesus, stehe über dem Gesetz. Wer aber steht über dem Gesetz außer der Gesetzgeber, Gott selbst?! Mit dem Tragen seines Bettes sollte der Geheilte bezeugen: mein Heiler ist auch Herr über den Sabbat, Herr über dem Gesetz: Er ist der Messias. Das haben seine Gegner sofort verstanden und beschließen prompt: Weg mit ihm! Hinter diesem ganzen Geschehen steht der Anspruch Jesu: ich bin Herr und Heiland, Retter und Helfer. – Damit bin ich bei uns. Jesus erhebt Anspruch auf dich. Du gehörst ihm. Er ist der Herr. Ist er auch dein Herr? Hast du eine persönliche Beziehung zu ihm? Bist du seinem Ruf in die Nachfolge gehorsam? Oder bleibst du, wie der Geheilte, Jesus gegenüber stumm wie ein Stockfisch? Willst du gesund werden – diese Frage hat der Geheilte bis zuletzt nicht beantwortet. Nun tritt Jesus an dich heran und fragt: Willst du? Willst du gerettet aus deiner Sünde, gerettet von Tod und Teufel? Willst du mir nachfolgen? Ob du ihm eine Antwort gibst? Amen.