Die drei ??? und der Auftrag mit den Schafen

Die drei ??? und der Auftrag mit den Schafen

Hallo ihr Lieben,

die Geschichte, die ich heute mit euch anschauen möchte, ist vielen sicher bekannt. Sie passt perfekt in diese Nachösterliche Zeit. Es ist eine Geschichte, die mich schon sehr oft bewegt hat. Es geht um das letzte persönliche Gespräch zwischen Jesus und seinem Freund Petrus.

Aber bevor wir in die Geschichte einsteigen, will ich uns noch mal erzählen, was vorher passiert ist. Jesus war von den Toten auferstanden. Ein unfassbares Ereignis. An Ostern haben wir gehört, was dann passiert ist. Erst begegnet Jesus der trauernden Maria, dann den verängstigten Jüngern und dann noch mal den Jüngern, aber im Besonderen dem zweifelnden Thomas, der vorher nicht dabei war.

Und aller guten Dinge sind drei. Deshalb begegnet Jesus seinen Jüngern ein drittes Mal. Dieses Mal am See von Tiberias, so berichtet es das Johannes-Evangelium. Scheinbar können die Jünger mit der Auferstehung von Jesus noch nicht wirklich was anfangen. Deshalb fangen sie wieder an, als Fischer zu arbeiten. Sie haben allerdings in der Nacht beim Fischen keinen Erfolg. Aber bei Dämmerung ruft ihnen ein Mann vom Ufer aus zu, dass sie doch noch mal das Netz auf der anderen Seite des Bootes auswerfen sollen. Das tun sie. Und – oh Wunder – sie fangen jede Menge Fische. Da dämmert es den Jüngern, dass der Mann am Ufer Jesus sein muss. Petrus, schon immer der Übereifrige, springt ins Wasser, um vor den anderen bei Jesus zu sein. Und als seine Kollegen es dann auch geschafft haben, den Kahn mit der Fracht an Land zu bringen, hat Jesus bereits Frühstück gemacht.

An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Punkt. Evangelium abgeschlossen. Klare Message: Der Auferstandene Jesus meistert auch deinen Alltag. Er hat schon längst alles vorbereitet, was du brauchst. Und mit ihm geht in deinem Leben die Sonne auf. Amen.

Aber da ist noch ein Elefant am Strand. Denn für Petrus hat die ganze Szene noch eine ganz andere Bedeutung. Dieses Wunder mit den Fischen muss ihn  einfach an seine erste Begegnung mit Jesus erinnert haben. Auch da hatte er eine ganze Nacht vergeblich gefischt und nichts gefangen. Als Jesus ihm dann am nächsten Tag gesagt hatte, die Netze nochmals auszuwerfen, war genau das gleiche passiert wie jetzt auch: Ein unfassbarer Fischzug. Damals hatte er sich vor Jesus niedergeworfen und gesagt: »Herr, geh fort von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!« (aus Lk.5,8)

Irgendwie war die Beziehung zwischen ihm und Jesus immer schon irgendwie ungleich gewesen. Jesus war so gut, so perfekt, ein Vorbild. Und er, Simon Petrus, war das alles nicht. Jesus hatte ihn trotzdem eingeladen, ihm zu folgen. Jesus wollte ihn, Simon, dabei haben. Jesus hatte ihm sogar den Namen Petrus (=Fels) gegeben. Das hat Petrus angetrieben. Mit Feuereifer war er bei der Sache. Er wollte Jesus so gerne zeigen, dass er mit ihm mithalten kann. Er war immer vorne mit dabei. Im Zweifelsfall war er es, der den Mund aufgemacht hat. Er stand Gewehr bei Fuß, was Jesus auch gemacht hat. Ja, er war tatsächlich der einzige, der mit Jesus auf dem Wasser gelaufen war. Wenn einer von den Jüngern an Jesus rankam, dann war er das.

Doch dann hatte er kläglich versagt. Jesus hatte ihm noch angekündigt, dass auch er, Petrus, ihn im Stich lassen würde. Ja, dass er sogar abstreiten würde, Jesus überhaupt zu kennen. Und genau so war es gekommen. Als Jesus verhaftet worden war, hatte er zu große Angst, selbst verhaftet zu werden, wenn er sich jetzt zu Jesus stellen würde. Und als man ihn danach fragte, hatte er dreimal behauptet, nichts mit Jesus zu tun zu haben.

Dann war Jesus hingerichtet worden. Und während alle um ihn herum in Trauer waren, von Angst zerfressen oder von Zweifeln geplagt, trug er dieses Versagen mit sich herum.

Als Jesus dann auferstanden war, konnte er das, genau wie die anderen, nicht fassen. Was bedeutet es denn, dass Jesus lebt? Was bedeutet es denn für ihn, Petrus? Und was bedeutet das für die Beziehung zwischen ihnen? Ist nicht alles wieder genauso wie am Anfang? Jesus viel zu gut. Und er viel zu schlecht? Ist es das, was Jesus ihm mit diesem Dejavu-Erlebnis sagen will?

Und an dieser Stelle setzt unser Predigttext an:

15 Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als irgendein anderer hier?« Petrus gab ihm zur Antwort: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.« Darauf sagte Jesus zu ihm: »Sorge für meine Lämmer!«

16 Jesus fragte ihn ein zweites Mal: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« Petrus antwortete: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.« Da sagte Jesus zu ihm: »Hüte meine Schafe!«

17 Jesus fragte ihn ein drittes Mal: »Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?« Petrus wurde traurig, weil Jesus ihn nun schon zum dritten Mal fragte: »Hast du mich lieb?« – »Herr, du weißt alles«, erwiderte er. »Du weißt, dass ich dich lieb habe.« Darauf sagte Jesus zu ihm: »Sorge für meine Schafe!

(Joh.21,15–17; NGÜ)

Bei dieser Vorgeschichte und dem Gespräch aus dem Predigttext sind mir drei Aspekte aufgefallen, wie Jesus mit dem Versagen von Petrus, und ich glaube auch mit uns im Allgemeinen, umgeht.

Das erste, was Jesus tut:

Jesus schafft einen Rahmen für eine persönliche Begegnung. 

Die Sache mit dem Fischzug nach der erfolglosen Nacht, das hatte für Petrus eine völlig andere Bedeutung als für die anderen Jünger. Auch dass sie jetzt mit Jesus zum Frühstück um ein Kohle-Feuer sitzen. Das ist den anderen Jüngern wahrscheinlich nicht mal aufgefallen. Aber Petrus erkennt, dass es genau der Schein eines solchen Kohle-Feuers war, in dem er in jener Nacht abgestritten hat, Jesus zu kennen. Das sind ganz subtile Details inmitten des Geschehens, die nur Petrus auffallen. Aber man spürt richtig, wie Petrus darauf reagiert. Erst springt er aus dem Boot, um schnell zu Jesus zu schwimmen. Dann schleppt er alleine den Fang vom Boot an Land. Petrus ahnt, dass diese dritte Begegnung mit Jesus ihm ganz persönlich gilt.

Ich glaube, dass Jesus da, wo du mit deinem eigenen Scheitern konfrontiert bist, auch für dich so einen persönlichen Rahmen vorbereitet. Vielleicht hast du das sogar schon mal erlebt. Inmitten einer Situation bemerkst du plötzlich etwas, was allen anderen um dich herum entgeht. Irgendetwas triggert dich. Das kann ein Satz in einer Predigt oder in einem Lied sein. Aber es kann auch in einem Gespräch oder bei einem Ereignis sein, das für dich noch eine ganz andere Bedeutung bekommt. Das sind ganz besondere Momente, die eine Einladung darstellen. Und ich hab die Erfahrung gemacht, dass sich diese Momente in der Regel nicht aufdrängen. Weil Gott nicht aufdringlich ist. Ich hab auch die Möglichkeit, mich nicht darauf einzulassen, den Moment verstreichen zu lassen und mich abzuwenden.

Aber ich habe eben auch die Möglichkeit, dieser Einladung zu folgen, mich Jesus zuzuwenden und ihm in die Augen zu schauen.

Es steht nicht da, dass Petrus Jesus in die Augen geschaut hat, aber ich kann es mir vorstellen. Und dann passiert ein Zweites:

Jesus geht es nicht um sich, sondern um dich.

Was hätte Jesus nicht alles sagen können, um jetzt das Gespräch zu eröffnen? „Petrus, ich glaube wir zwei müssen mal miteinander reden. Ich wollte dir sagen, dass mich das ziemlich verletzt hat, dass du behauptet hast, mich nicht zu kennen. Und das in einer Situation, in der ich völlig alleine dastand.“ Er hätte auch anbieten können: „Du, ich würde das Geschehene gerne mit dir aufarbeiten, damit das nicht mehr zwischen uns steht und ich wieder Vertrauen zu dir aufbauen kann.“ Das wäre vollkommen verständlich gewesen. Ich finde es sehr spannend, was für eine Frage, Jesus am Ende tatsächlich stellt, oder besser gesagt, welche drei Fragen.

Zunächst fragt er: „Liebst du mich mehr als die anderen das tun?“ Er fragt das nicht, weil er sich nicht sicher wäre, wie Petrus nach der Aktion jetzt zu ihm steht. Ich glaube, er fragt das, weil genau das die Frage ist, die Petrus eigentlich sich selbst stellt. Er wollte doch so ein guter Jünger sein. Ganz vorne mit dabei. Ja, er wollte, dass Jesus und die anderen Jünger sehen: Keiner liebt Jesus so wie ich. Aber woran soll er das jetzt noch festmachen? Er ist genauso weggelaufen wie die anderen Jünger. Deswegen gibt er als Antwort zwar ein „Ja“ zurück, aber er schwächt es in der Formulierung ab und sagt: „Du weißt, dass ich dich lieb habe.“

Jesus stellt die zweite Frage: „Liebst du mich?“ Er lässt den Vergleichsgedanken mit den anderen Jüngern weg. Und Petrus möchte wenigstens auf diese Frage mit „Ja“ antworten. Aber wie kann er das noch behaupten, nachdem er so vehement darauf bestanden hat, Jesus nicht mal zu kennen? Selbst wenn ihm in diesem Moment Gefangenschaft oder schlimmeres gedroht haben. Würde er Jesus wirklich lieben, hätte er sich doch zu ihm bekannt. Aber das hat er nicht. Und deshalb ergänzt er wieder fast schon kleinlaut: „Du weißt, dass ich dich lieb habe.“

Und beim dritten Mal übernimmt Jesus die Formulierung von Petrus und fragt: „Hast du mich lieb?“ Und der Text verrät uns, dass Petrus darüber traurig wird. Und ich bin mir sicher, dass es nicht daher kommt, dass Jesus an seiner Zuneigung zu ihm zweifeln würde. Es ist die traurige Erkenntnis über das Scheitern des Versuchs die Liebe zu Jesus beweisen zu wollen. Nicht Jesus zweifelt an Petrus. Er selbst, Petrus, zweifelt an sich und seiner Liebe zu Jesus. Deshalb sagt er: „Du weißt alles. Du weißt, das ich dich lieb habe.“ Auch wenn es nichts gibt, womit ich dir das beweisen kann.

Wenn Jesus das Wort an dich richtet, dann geht es ihm auch nicht um sich.  Es geht ihm nicht um seinen Schmerz, seine Enttäuschung über dich, oder das zerstörte Vertrauen. Vielleicht lautet die Frage, die Jesus dir stellt, ganz anders. Vielleicht ist es auch keine Frage, sondern eine Aussage. Vielleicht geht es darum, was Gott in dir sieht, du aber nicht. Vielleicht geht es um eine Aufgabe, die Gott dir zutraut, du dir aber nicht. Vielleicht geht es sogar um deine Enttäuschung gegenüber Gott und gar nicht um seine gegenüber dir.

Was es auch ist, ich kann mir vorstellen, dass er diese Punkte auch im Gespräch mit dir immer wieder wiederholen muss. Petrus hätte die Nuancen in der Fragestellung von Jesus auch überhören können und sich fragen: Warum fragst du mich immer das gleiche? Ich hab dir doch schon geantwortet. Aber die Worte von Jesus muss man erst mal verdauen. Das dauert. Dass das so wie hier innerhalb eines einzigen kurzen Gesprächs vonstatten geht, ist meiner Meinung sogar eher die Ausnahme.

Das dritte, was Jesus tut:

Jesus vergibt nicht nur, er beauftragt.

Dreimal richtet Jesus seine Frage an Petrus. Dreimal antwortet Petrus. Und dreimal beauftragt Jesus Petrus, seine Schafe, bzw. Lämmer zu weiden und zu hüten.

Erst mal ist es ja interessant, dass der Fischer jetzt zum Schäfer werden soll. Eigentlich hatte Jesus ihn ja zum „Menschenfischer“ berufen. Aber jetzt soll er sich um die Herde kümmern. Die Herde derer, die schon zu Jesus gehören. Man kann also sagen, das ist ein Auftrag an seiner Gemeinde. Jesus vertraut Petrus hier sein Herzensprojekt an.

Petrus, der gerade erst unter Beweis gestellt hat, dass er unter Druck die Stellung nicht halten kann. Petrus, der wenn es hart auf hart kommt, einknickt. Petrus, der Jesus nichts vorweisen kann, was ihn jetzt plötzlich doch für diese Aufgabe qualifizieren würde. Das einzige, was Petrus zu der Aufgabe qualifiziert, ist, dass Jesus sie ihm übertragen hat.

Das ist völlig irrational. Natürlich ist Jesus gnädig. Das wissen wir ja. Wir können auch verstehen, dass Jesus Petrus jetzt nicht bestraft oder so. Ich glaube, das deckt sich auch so mit unserem Gnade-Verständnis: Gnade ist, wo eine negative Konsequenz für ein falsches Handeln nicht eintritt. Wo Strafe nicht vollzogen wird, wo etwas ausgelassen wird, was jemand anderes eigentlich verdient hätte. Ich möchte das mal „passive Gnade“ nennen.

Aber Jesus geht mit seiner Gnade viel weiter. Er sagt nicht: „Jetzt müssen wir halt sehen, wie es weitergeht, Petrus. Lass uns am Besten noch mal von vorne anfangen. Und wenn du dich dann bewährt hast, das Vertrauen wieder aufgebaut ist und du dich selbst auch wieder dazu in der Lage siehst, dann können wir mal darüber nachdenken, ob du vielleicht perspektivisch wieder eine leitende Funktion unter Aufsicht übernehmen kannst.“

Nein, seine Gnade geht so weit, dass er ihm sofort die volle Verantwortung überträgt, ihm etwas zutraut, ihn einsetzt. Und zwar ohne Vorbehalte. Ich möchte das mal „aktive Gnade“ nennen. Gnade die in Vorleistung geht, die freisetzt, die etwas ermöglicht. Auch wenn das vollkommen irrational erscheinen mag.

Wie würde es aussehen, wenn wir in der Begegnung mit Jesus ebenfalls diese aktive Gnade erleben? Dass wir nicht dabei stehen bleiben, dass Jesus uns unser Versagen nicht nachträgt. Ja, das ist genial und an sich schon unbegreiflich. Und vielleicht gibt es Dinge in deinem Leben, da wärst du schon froh, wenn du dir das selbst nicht mehr nachtragen müsstest.

Aber was, wenn das, was Jesus vorhat, weit darüber hinaus geht? Kannst du dir vorstellen, dass dich Jesus genau in dem Moment, in dem du über dich selbst völlig enttäuscht bist, beauftragen will?

Und ich glaube, er tut das aus einem bestimmten Grund. Er möchte, dass dir schon bei der Beauftragung klar ist: Aus eigener Kraft kann ich das gar nicht schaffen. Das habe ich gerade unumstritten unter Beweis gestellt. Wenn das was werden soll, dann nur, weil Jesus mir das zutraut und er es in mir bewirkt: Das Wollen und das Vollbringen, wie es im Philipper-Brief heißt. Die einzige Qualifikation für die Aufgabe, die Jesus mir gibt, ist seine Gnade. Jesus ist nicht nachtragend. Jesus ist beauftragend.

Jetzt könnte ich „Amen“ sagen. Aber einen letzten Gedanken möchte ich euch noch mit euch teilen. In der ganzen Betrachtung habe ich mich sehr in die Position von Petrus reingedacht. Da finde ich mich selbst auch am häufigsten wieder. Aber ich glaube, wenn wir uns als Jesus-Nachfolger verstehen, ist es nur richtig, wenn wir uns nicht damit begnügen, dass Jesus uns begegnet, sondern, dass wir auch einander so begegnen wie Jesus.

Vielleicht gibt es ja gerade auch in deinem Leben Beziehungen, in denen Menschen an dir schuldig geworden sind. Und die das eigentlich bitter bereuen. Dann nimm dir doch gerne folgende Fragen mit: „Wie kann ich einen Rahmen schaffen, damit eine ehrliche Begegnung auf Augenhöhe möglich ist? Wo fällt es mir vielleicht gerade noch schwer, dabei nicht meine eigene Verletzung, sondern das Anliegen meines Gegenübers im Blick zu haben? Und welchen Schritt der aktiven Gnade bin ich bereit zu gehen, um mehr zu tun als nur zu vergeben?