Hoffnung für die seufzende Schöpfung

Hoffnung für die seufzende Schöpfung

Röm 8, 18-25                                 Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres – Großgrabe/Oßling, am 13.11.2016

„Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat – ,doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Den wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf mit Geduld.“ Liebe Gemeinde! Kommt Nudel und Zuckerschnute auch in den Himmel? So heißen die zwei Lieblingsdackel der Familie Franow. Zuckerschnute und Nudel kommen auch in den Himmel. Ganz sicher! Diese Ansicht ist unerhört, unerhört zuversichtlich. Paulus hat sie. Er predigt Hoffnung für die seufzende Schöpfung. Alles sehnt sich nach Erlösung von Leid und Vergänglichkeit. Paulus redet von Hoffnung, für alle geschundenen Tiere und Pflanzen, das verschmutzte Meer … Wir entdecken in unsrem Predigtwort die Erdverbundenheit des Christen Paulus. Die Welt ist und bleibt für ihn Gottes Schöpfung, geschaffen, „samt allen Kreaturen“. Wir leben mit der Natur in einer Schicksalsgemeinschaft. Was wir ihr antun, geschieht uns, unsern Enkeln. Wir können eben keine kristallklaren Flüsse genießen. Die Generationen vor uns waren nicht achtsam genug. Als Kind an der Elbe aufgewachsen, sehe ich heute noch die schwarze Brühe mit den dicken Schaumbergen. Die Coswiger Papierbude kannte keine Gnade. Zelluloid um jeden Preis. – Die ersten Worte im Alten Testament weisen uns Menschen an die Natur gebunden, als Erdlinge aus. Der Mensch – hebräisch Adam – gemacht aus Erde, hebräisch Adamah. Adam geformt aus Adamah. Der sympathische Franz von Assisi aus dem 12. Jahrhundert nannte Sonne und Mond Bruder und Schwester, die Tiere Geschwister und predigte den Vögeln. Wer seine Bibel liest, hört darin die Schöpfung die Ehre Gottes erzählen: Berge jauchzen (Jes 44,23), Wasserströme frohlocken (Ps 98,8) und Bäume jubeln und klatschen Beifall (Jes 55,12). Paulus wusste etwas von dem Geheimnis alles Lebendigen: Alles Leben hat Sprache. Deshalb hielt er die Ohren offen, war still, lauschte. In seinem Hören, in der Stille konnte sich Liebe entfalten, allerdings die Rückseite der Liebe, der Schmerz, die Trauer. Er hört Angst- und Schmerzensschreie, gequältes Seufzen. Von dieser Trauer, die sich in der Stille Bahn brach, schreibt er: „Die ganze Schöpfung seufzt mit uns und ist voller Angst.“ Habt ihr schon mal Seufzer des Lebendigen um euch vernommen? In meiner ersten Pfarrstelle ging ich gern auf die Anhöhe hinterm Haus, konnte weit blicken, sah die abgeholzten Alleen, vermisste die Rebhühner, kein Obstbaum bot Singvögeln Schutz und Futter. Nackt und geschändet, zur Nützlichkeit erniedrigt, lag die zerwütete Schönheit vor mir. Dieses Wimmern ging mir zu Herzen. Jedes Jahr planzten wir mit der Gemeinde hunderte Bäume, im Frühjahr und Herbst. Erlen, Ulmen, Eichen, Kastanien, Buchen, Linden, wilde Kirsche, wilde Birne, viele alte Apfelsorten, legten Hecken und Obststreuwiesen an. Ein Konfirmand stellte mir die Frage, die sich wahrscheinlich seine Eltern zu Hause beim Essen gestellt hatten: Warum machen sie das, sie haben doch nichts davon? Ich hab ihm damals nur zugerufen: Damit du mit deinen Enkeln Kastanien sammeln und Versteck spielen kannst. Die ganze Wahrheit liegt etwas tiefer. Ich habe sie in unserm Predigttext wiederentdeckt: „Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbart werden.“ Dieses Harren, Warten braucht Zeichen. Wie Jesus, Gottes Sohn, durch sein Tun Zeichen setzte, wie es einmal in Gottes neuer Welt sein wird, so auch wir: Zeichen sollen unsern Lebensweg abstecken. Wer Lebendiges hütet setzt Fingerzeige auf Gott, zeigt so, was in Gottes Ewigkeit sein wird: Leben. Wir bewegen uns damit gerade im Bereich der ökologischen Fragen. Aber da bin ich kein Experte, weiß nur, was ihr wisst. Wir wissen genug von der verhängnissvollen Wirkung der Gewinnsucht. Dorthin will ich nicht, sondern an unserm Bibelwort bleiben. Als Paulus die Seufzer der Natur hörte, war ganz sicher das ökologische Gleichgewicht noch intakt. Giftschwaden, Ölpest, Luft- und Lebensmittelverseuchung hatte Paulus nicht vor Augen. Er sieht Kampf und Vergänglichkeit: hört das Ächzen eines Baumes, der gefällt wird. Sieht ein verwundetes Pferd auf dem Schlachtfeld, dass auf den Gnadenstoß wartet. Hört das Schreien der Vogelmutter, deren Junge der Marder geholt hat. Sieht, wie der Novembersturm die dürren, einst so lebendigen Blätter von den Bäumen fegt. Paulus sieht in allem Leben Vergeblichkeit und Vergänglichkeit. Diese zwei Worte sind zwei Fragezeichen an uns Menschen. Sie stellen sich uns dort in den Weg, wo wir sie gerade nicht gebrauchen können: in unsern Ängsten und Krisen, Dunkelheit und Krankheit. Die Vergeblichkeit attakiert die Seele mit der hämischen Frage: Und, was hatte das alles nun für einen Sinn? Die Vergänglichkeit stellt trocken fest: Alles vergeht, auch du, Menschlein. Paulus sieht den Überlebenskampf, die Gesetze der Natur, hört die Angst vor dem Vergehen und schreibt: „…die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit.“ Ihr Lieben! Manchmal kann man hindurchsehen. Ihr steht vor einem See, die Oberfläche spiegelt die Sonne. Taucht ihr hinein und das Wasser ist klar, seht ihr dieses und jenes, vielleicht auch den Grund. Unser Predigtwort hat eine ähnliche Bewegung. Man steht davor, sinnt über Vergänglichkeit, Lebenskampf, Leiden und Schmerz nach. Mit dem Verstand deuten wir die Oberfläche des Lebens. Paulus ist förmlich eingetaucht, versucht die Tiefe zu ergründen. Mit Glauben. Glaube schaut dahinter, darunter. Er kommt zu einer erstaunlichen Entdeckung. Sie wirkt beim ersten Hören befremdlich, fast abstoßend: Das Leid, die Schreie und Seufzer – das muss so sein! Ohne Gott wäre letztlich wirklich alles nicht nur vergänglich, sondern vergeblich. Paulus rechnet mit seinem Schöpfer, glaubt, und sieht die Leiden der Zeit plötzlich als die Wehen einer Gebärenden. Die qualvollen, mitleiderregenden Schmerzensschreie sind das Signal: nicht mehr lange, dann ist ein neues Leben, neue Hoffnung in der Welt, dann wird nur noch Freude sein und das Leid vergessen. Vom Erlöser Jesus Christus her sieht er die Erlösung alle Lebens kurz bevorstehen und schreibt: „Ich bin davon überzeugt: Was es in dieser Welt an Leiden gibt, Schmerzen und Entbehrungen, ist nicht der Rede wert im Vergleich mit der Herrlichkeit, die Gott uns zeigen, mehr noch, die er uns schenken will. Die ganze Schöpfung wartet ängstlich darauf, dass Gott uns diese Herrlichkeit verleiht. Denn alles Geschaffene ist der Sinnlosigkeit ausgeliefert, versklavt an die Vergänglichkeit. Er gab seinen Geschöpfen aber die Hoffnung, dass auch sie eines Tages von der Versklavung an die Vergänglichkeit befreit werden. Sie werden teilhaben an der unvergänglichen Herrlichkeit, die Gott seinen Kindern schenkt. Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt noch stöhnt und in den Wehen liegt wie eine Frau bei der Geburt … wir seufzen auch und warten sehnsüchtig, dass unser Leib von der Vergänglichkeit erlöst wird.“ Seinen Rettungsplan setzte Gott in Fahrt mit Jesu Geburt. Da riefen die Engel den Hirten zu: „Euch ist heute der Retter geboren.“ Als am Karfreitag der Retter am Kreuz starb, glaubte der Tod, er hätte das letzte Wort. Am Ostersonntag brach Gott die Siegel, die da heißen „Sinnlos“ und „Ende“. Er rief den ersten ins ewige Leben. Alle die Jesus glauben werden folgen. Wir sind mittendrin. Das ist unsere Hoffnung. Noch nicht am Ziel – das ist unser Kreuz – aber wir laufen in der Schar derer, die Vergebung ihrer Sünden und Erlösung in Christus empfangen haben. Wir tragen das Siegel der Hoffnung in unsern Herzen: getauft auf den Namen des Schöpfers, versöhnt durch das Blut des Erlösers, erfüllt mit dem heiligen Geist. Wir lassen unsere Hoffnung nicht fahren. Wir glauben: Es kommt der Tag – Gott weiß ihn – da wird ans Licht kommen, was wir sind: Gottes Kinder. Auch wenn wir seufzen, uns ängstigen, durch Dunkel müssen, eins ist gewiss: Gott hat uns mehr, als wir ihn haben. Er hält, was er versprochen. Amen.