Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Oßling)

Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Oßling)

Psalm 31, 9b                                             10. Sonntag nach Trinitatis – Oßling am 20.08.2017

 

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

 

>Räume<

Liebe Gemeinde, liebe Eltern und Paten! Am Sonntag nach dem  Reformationsfest 1805 wurde dieser Kirchenraum fertiggestellt, geweiht. Das ist kein Wohnraum, Arbeits- oder Abstellraum. Aber unsere Altvorderen haben ihn gebaut. Wozu? Was wollten sie in und von diesem Raum? Durch die hohen Seitenfenster fällt Licht. Betreten haben wir diese Halle durch das Portal. Umgeben sind wir von Mauern. So entsteht ein Raum: durch Fenster, Tür und Mauern. Durch Öffnungen und Abgrenzungen bilden sich Räume.

>Lebensräume<

Obwohl wir im Moment gerade sitzen, durchschreiten wir gerade unseren Lebensraum. Unser Horizont ist klein, begrenzt, reicht nur von Geburt bis zum Sterben. Wir haben diesen Raum „Zeit“ betreten. Aber wie? Durch ein Portal. Das ist geheimnisvoll. Wir haben daran keine Erinnerung. Wir werden unseren Lebensraum verlassen. Aber wann, wie? Das ist beklemmend. Wir durchwandern Zeiten. Mitten in diesen Zeiträumen pulsieren Lebensräume. Orte, wo sich Leben abspielt. Wir nennen sie etwa so: Freundschaft, ein tröstendes Gespräch, Gemeinschaft, Treue, Liebe, Arbeit … Räume entstehen, wo Leben ist.

>Der Beter und sein weiter Raum<

Mit diesen Gedanken blicken wir auf einen betenden Menschen. Er sieht sich selbst und spricht dieses Wort: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Er sieht vor sich Freiraum, Freiheit. Sich selbst erlebt er in einer inneren Auseinandersetzung. Wir schauen auf einen ringenden Menschen. Mit sich, seinem Leben, mit „dem da oben“ ringt er. Im Betrachten sehen wir, wie er mit dem Verstand seine augenblickliche Situation analysiert – Puuh! Und was der Glaube schöpferisch daraus macht – Aaah!

>Eine beklemmende Situation<

Seine Situation: Er muss in einem Umfeld leben, wo er nicht vertrauen kann. Seine Lebensenergie verwendet er zur Abgrenzung und zum Selbstschutz und klagt: „Menschen stellen mir heimlich Fallen und Netze.“ Seinen Lebenslauf analysiert er als eine bruchstückhafte Existenz. „Ich bin geworden“ – so seine bittere Betrachtung – „wie ein zerbrochenes Gefäß.“ Und wenn er an sein bisschen Lebenszeit denkt, was er noch zu haben meint, sinkt ihm der Mut. Er sieht sich selbst aufs Lager kommen, umgeben von Leuten, die ihm fremd sind und nur sein Geld wollen: „Ich höre, wie viele über mich lästern und auf mein Ableben spekulieren.“ Der Verstand analysiert, verbindet sich mit der Situation. Der Glaube verbindet, verbündet sich mit Gott.

>Mit Augen des Glaubens<

Die Freiheit, der weite Raum, scheint verstandesmäßig gar nicht da zu sein. Aber mit den Augen des Glaubens sieht er ihn. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ – ist also ein Glaubenssatz. Verabschieden wir uns doch einfach von der Vorstellung, Glaube sei Dogma, das Festhalten an Richtigkeiten. Glaube ist nicht, Glaubenssätze zu sprechen. Das macht eher der Verstand. Der Verstand formuliert, der Glaube vertraut. Verstand braucht die Distanz, Glaube die Nähe. Glaube bindet, verbindet sich. Der Verstand betrachtet Richtigkeiten, Glaube blickt hinter den Horizont. Der Verstand beschreibt die Wirklichkeit, der Glaube erfasst die Wahrheit. Der Verstand ergründet das Leben, der Glaube das Lebensgeheimnis, woher, wohin. Der Verstand weiß, wie man ein Haus baut. Der Glaube, wie man darin wohnt.

>Der Raum, weit, so weit<

Den „Raum“, den der ringende Beter sieht, nennt er „DU“. Beziehung heißt der weite Raum, beziehungsweise „Liebe“. An dieser Stelle beginnen wir zu ahnen, dass nicht das Sichtbare die Realität ist, sondern das Unsichtbare.

>Der weite Raum – das DU<

Welchem Menschen würden wir diesen Satz sagen: Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Es wäre der uns wichtigste. Du stellst meine Füße auf weiten Raum – heißt: Ich bin glücklich, dass du mich liebst; heißt: ich liebe dich.

>Der weite Raum Gottes<

Der Beter hier meint seinen Gott. Der weite Raum, worin er sich findet, ist somit Gottes weiter Raum. Gott wohnt in einer Streichholzschachtel, ist aber so unermesslich, dass seine kleine Zehe nicht in die Welt passt. Ich will sagen – wir verlassen das dreidimensionale Denken. Liebe lässt sich nicht in m³. Der Raum Gottes ist Liebe. Der Himmel ist Liebe. Hier ist Himmel. Nicht allein, weil wir Liebe haben, sondern weil seine Liebe uns umschließt. So, wie der Beter vor 3.000 Jahren, sehen wir nur die Bruchstücke des Lebens,  in der großen und unsrer kleinen Welt. Mit dem Glauben sehen wir das ewige, unverbrüchliche JA Gottes zu uns. Wir sind bejaht. Ja, sagt Gott. Diese zwei Buchstaben umschreiben diesen unendlichen Raum Gottes, in den er uns stellt. –

>Christus die Tür<

Wie wir diesen Raum betreten haben? Durch das schlichte, unscheinbare Portal, das von sich selbst sagt: ich bin die Tür. Christus, der uns durch seine Lebenshingabe am Kreuz Tor und Tür  geöffnet hat. Damit bin ich in dieser Stunde. Anteil am großen JA bekommen wir in der Heiligen Taufe. So werden wir hineingenommen in Heil und Gnade. Die Heilige Taufe stellt uns in diesen Raum „JA“.

>Zur Taufe muss der Glaube<

Zur Taufe muss der Glaube kommen. Glauben ist, diesen Raum dann auch zu durchwandern, aus, in dem JA Gottes zu leben, mittendrin. Sich ihm anzuvertrauen, täglich, alltäglich. IHM, dem Allmächtigen, Unbegreiflichem, ihm das Herz ausschütten, sich ihm ans Herz werfen, unserm Vater, unserm Papa: Du, Vater, hast mich ins Leben geliebt, hast meinem Herzen Flügel und meiner Seele Füße geschenkt. Willst, dass ich die Horizonte deiner Liebe berühre, dein himmlisches JA durchschreite, die Gärten deiner Sehnsucht in ihrer wilden Schönheit berühre, immer und ewig dein Lächeln atme. Du, Vater, flüsterst durch Wasser und Wind, Herzschlag und Kuss: Ja, Komm, lauf … Ja, ich preise dich, „du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Amen.

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