Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge

Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge

Sprüche 20,12                                                               6. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe, am 23.07.2017

„Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“

Liebe Gemeinde! Manchmal – das ist dann ein echtes Erlebnis, treffe ich Menschen mit Augen und Ohren. Ihr auch? Leute, die mehr sehen, als zu sehen ist. Hören, was andere nicht hören? Ein Bekannter von mir ist Steinmetz in Bautzen. Als ich ihn besuchte, erzählte er nebenher, er soll Wasserspeier für den Dom entwerfen und anfertigen, weil einige vollkommen kaputt sind. Wir standen auf dem Hof und er zeigte mir einen etwas unförmigen Felsblock und sagte – das ist einer, und beschrieb mir, wie er aussah. Es war wie das Spiel: ich sehe was, was du nicht siehst. Ich sah nichts, als hätte ich keine Augen. Er sah. – Seine Frau ist nicht nur Klavierlehrerin, sie spielt auch hervorragend. Sie muss auch das Klavierspiel anderer beurteilen. Als ich sie mal fragte, wie sie das macht, sagte sie: Ich höre doch, ob einer Noten spielt oder Musik macht. Ich habe auch Ohren, aber was hört sie? Sie kann mehr, als nur falsche und richtige Töne zu hören. Sie hat die Fähigkeit entwickelt, zu hören, ob einer ein Musikstück tot abspielt, oder, ob einer die Noten in Musik verwandelt. Der eine sieht mehr, als man sieht. Sie hört mehr, als zu hören ist. Was sehen wir? In der Sprache von Papua-Neuguinea gibt es das Wort Hoffnung nicht. Sie haben dafür den Ausdruck „hinter den Horizont blicken“. Was sehe ich? Kann ich „hinter den Horizont blicken“? Was hören, vernehmen wir? Wer unter uns in seiner Persönlichkeit wachsen und reifen will, der soll darum ringen, mehr zu sehen, als zu sehen ist und hinter die Geräusche hören. Im Buch der Sprüche Kap. 20,12 steht: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“ Es gibt viele Versuche, das Geheimnis treffend in Worte zu fassen: Was ist der Mensch? Es wird immer nur ein Teil der Wahrheit beschrieben: du bist ein Wesen aus Fleisch und Blut, ein Schüler, ein Dachdecker, ein Schwimmer, bist Mutter, Schriftsteller, Langschläfer, Schlaftablette … Jetzt mache ich auch einen Versuch, wir lassen uns darauf ein: Du bist ein Musikinstrument, ein Einzelstück, ein Unikat. Ein wahrer Meister hat dich gemacht. Du bist vollkommen und doch vollkommen am Anfang. Du sollst klingen, so wie du bist. Versuch nicht, wie eine Flöte zu klingen, wenn du eine Pauke bist, auch nicht wie eine Trompete, Triangel oder Orgel. Du bist eine Pauke. Du bist, was du bist. Ich bin, was ich bin. Da sind Violinen und Bratschen, Querflöte und Posaunen, Oboe, Fagott, Gitarren. Was wäre das Weihnachtsoratorium ohne Pauken. Aber bei „All you need is love“ passen sie nicht. Es gibt so viel Musik. Es gibt so viel Leben. Alles, was lebt, will klingen. Besser, Gott unser Schöpfer und Vater möchte in allem und durch alles klingen. Nicht nur jeder Mensch hat einen oder viele Töne, jeder Körper überhaupt. Unsere Sonne z.B. schwingt im Ton „E“, unvorstellbar tief, aber es ist „E“. Jeder Planet, Venus, Erde, Mars, hat einen Grundton. Da ist Musik und Klang. Die Planeten ziehen ihre Bahn. Das ist die Wirklichkeit. Die Wahrheit aber ist tiefer und größer als die astronomische Wirklichkeit. Die Planeten umrunden nicht einfach den Fixstern, sondern sie bilden ein Orchester. Wie gesagt, dass wir etwas nicht hören oder sehen, heißt nicht, dass es das nicht gibt. Aber zurück zu uns. Gott will durch uns klingen. Das ist der Sinn. Gott ist die Liebe. Liebe will durch, in, mit, aus uns klingen. Das geschieht nicht, indem einer ständig auf die P     auke haut, einer immer  die erste Geige spielt und der nächste seinem Nachbarn die Flötentöne beibringt. Das Geheimnis vollzieht sich im Zusammenspiel, im Orchester, einer Band, Trommelgruppe, im Chor und und … Da ist nicht einer der Wichtigste, sondern das Aufeinanderhören machts, das Miteinander. Ich muss nicht erwähnen, dass dies viel Übung braucht, nicht immer gut gelingt usw. Aber das tut nichts. Der große Klang – Gottes Liebe – will durch mein, unser kleines Leben. Dazu bin ich perfekt gemacht, ein gutes Instrument des wahren Meisters. Jeder unter uns kann Liebe empfangen, Liebe geben und in das Konzert der Liebe einstimmen. Sich lieben lassen von Gott – das ist es. Es beginnt mit dem leisen Gebet: Herr, nimm deinen Bogen und streich über die Saiten meiner Seele. Lass mich meine Bestimmung erfüllen, deine Liebe annehmen und weitergeben. Lass mich die Liebe sehen und hören. Lass mich erkennen, wo Liebe fehlt. Gib mir ein offenes Ohr für dich, für den andern. Gib mir Augen für deine Wunder. „Öffne mir die Augen“, betet einer, „das ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.“ Wer mit Liebe hört und sieht, den hat Gott wahrhaft beschenkt. Wer Jesus nachfolgen will, muss zuvor erweckt, Auge und Ohr geöffnet werden. Lass es dir schenken. Von solch einer beglückenden Erfahrung redet der Prophet Jesaja und ruft: „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.“ (Jes 50, 4.5) Dass du nicht nur Gottes Wort hörst, sondern seine Bedeutung für dein Leben. Wie ein wahrer Freund den andern fragt: Erzähl, wie geht es dir; wir uns als wahre Freunde Gottes erweisen und den Herrn fragen: Wie geht es dir? Was liegt dir am Herzen? Ohren für Gottes Wort. Augen für seine Wege. „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“ Amen.