Ein Schatz in irdenen Gefäßen

Ein Schatz in irdenen Gefäßen

2Kor 4, 6-10                Letzter Sonntag nach Epiphanias – Oßling/Großgrabe, am 30.01.2022

„Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesus Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“

Liebe Gemeinde! Weihnachten war ihre Welt noch in Ordnung. Die gerade erwachsenen Kinder waren alle unterm Tannenbaum versammelt. Viel Gelächter, gute Stimmung, ein Festessen, sogar ein bisschen Ruhe und Entspannung. Alles in Ordnung. Ein schönes Fest. Ein Hauch von Licht und Wärme mitten im Winter, der ihr oft lang und schwer wurde. Sie hatte sich vorgenommen, noch lange von dem schönen Fest zu zehren. Aber … wie so oft im Leben kam alles anders. Am Tag nach Neujahr rief ihre jüngere Schwester an: „Ich hab´ Leukämie!“, sagte sie ohne Vorwarnung. Und dann weinte sie nur noch. Seitdem ist nichts mehr in Ordnung. Sorge und Angst belasten sie. Am Tage keine Kraft, fühlt sich wie von Bleigewichten beschwert. In der Nacht Panik und stundenlanges Grübeln. Der Glanz und das Licht von Weihnachten sind verblasst. Kein Licht, das in der Finsternis hervorleuchtet und einen hellen Schein in ihr Herz gibt. Alles nur schöne Worte? Nur Illusion, die im Ernstfall nicht weiterhilft? Keine Erleuchtung oder gar Erkenntnis Gottes, wie Paulus schreibt. In ihr ist vielmehr unbändige Wut auf Gott: „Wie kannst du meine kleine Schwester nur so leiden lassen? Was bist du für ein Gott?“ Es gibt Tage, die etwas leichter zu ertragen sind. Wenn aus dem Krankenhaus eine bessere Nachricht kommt. Wenn sie in der Nacht ein paar Stunden geschlafen hat. Wenn das zarte Pflänzchen Zuversicht trotzdem keimt. Dann kann sie mit Paulus fühlen und sagen: „Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht darin um.“ Sie denkt an ihr eigenes Leben: geboren 1937. Viertes von fünf Kindern, die Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft. Sie wächst auf. Krieg gehört zu ihrem normalen Alltag. Die Mutter sagt morgens, bevor die Kinder zum Spielen ins Dorf gingen: Wenn die Tiefflieger kommen, wirf dich in den Graben oder unter die Hecke. Und bete zu Gott, dass er dich beschützt. Damals hatte sie zwar Angst, aber sie fühlte sich nicht bis ins Mark erschüttert, wie jetzt. Sie fühlte sich von Gott, trotz der Bomben, beschützt. Ihr späteres Leben hat sie manchmal viel mehr verzagen lassen, obwohl die äußere Bedrohung des Krieges vorbei war. Der Alltag in den Nachkriegsjahren war mühsam, von Verzicht geprägt. Ihre Geschwister und sie mussten vor und nach der Schule Erwachsenenarbeit verrichten, um die Existenz zu sichern. Es ging nicht anders. Doch es gab immer die Hoffnung, dass es ja besser und leichter werden würde: Bedrängt, aber nicht verzagt. Ja, so in etwa. Die bisher schwerste Zeit ihres Lebens begann, als die älteren Geschwister sich vom Hof lösten und eigene Familien gründeten. Fast zur gleichen Zeit verstarb ihr Bruder bei einem Arbeitsunfall. Noch heute spürt sie den Schmerz am ganzen Körper, das Weinen, der gar nicht mehr aufhören wollte. Sie sieht noch die jüngere Schwester, blass und durchsichtig im zu großen, schwarzen Kleid. Denkt an die Eltern, die plötzlich, von einem Tag auf den andern, alt und gebrechlich geworden waren. Sie blieb bei ihnen. Auch als die jüngere Schwester es zu Hause nicht mehr aushielt. Sie machte die niemals endende Arbeit, war einsam, oft verzweifelt. Die Zukunft erschien ihr düster. Kein Hoffnungsschimmer, kein Licht von Gott. Wie habe ich das ausgehalten? Woher habe ich denn damals die Kraft genommen, weiterzumachen? Ich glaube, ich habe sie nicht genommen, ich habe sie bekommen. Aber nicht auf Vorrat, sondern stets gerade so viel, dass es irgendwie ging. Wie bei Paulus: „Wir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ Ja, so muss es wohl gewesen sein. Kraft von Gott, wie auch immer. Heilende Kraft. – Mitte der 70-ger Jahre heiratet sie. Ihr Traum von einer großen Familie geht in Erfüllung: vier Kinder bekommt sie. Nur eines bleibt wie immer: mit der Arbeit steht sie meistens alleine da. Denn ihr Mann, den sie liebt, ist durch seinen Beruf oft nicht zu Hause. Mit den Kindern verändert sie sich. Es ist, als ob sie eine zweite Chance in ihrem Leben erhält. Entwicklungen, die andere 20 Jahre vor ihr gemacht haben, holt sie nun nach. Sie wird selbstbewusster und selbstsicherer. Die Liebe und Zuneigung ihres Mannes und die Freude an den Kindern erfüllen sie. Sie wird neugierig auf Neues. Nimmt ein Ehrenamt an, wird Ausbilderin, lernt andere Menschen kennen. Und in dem Maße, in dem die Beine der Kinder länger werden, vergrößert sich der Hof. Ihr Grundgefühl ist Dankbarkeit. Sie ist Gott von tiefstem Herzen dankbar. Ihr Glaube vertieft sich. Sie weiß ihr Glück zu schätzen, wird zu einer regelmäßigen Gottesdienstbesucherin. Sie fühlt sich von Gottes Licht angestrahlt, von Gott erkannt und angenommen. Sie ist in diesen Jahren eins mit sich und mit Gott. Und sie weiß wohl, so wie es Paulus auch weiß, dass sie „diesen Schatz in irdenen Gefäßen hat, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei“. Es sind die besten Jahre, die ihr Gott geschenkt hat. Nun sind die Kinder mehr oder weniger erwachsen, haben eigene Ideen und Vorstellungen vom Leben. Es ist schwerer geworden, in der Familie Frieden zu halten. Beide Söhne möchten den Betrieb weiterführen, aber er gibt nur einem eine sichere Existenz. Wie soll das Dilemma entschieden werden? Und die Töchter fühlen sich nach Ende ihrer Ausbildungen erst recht vor die Tür gesetzt. Wie soll es weitergehen? Es gibt viel, was sie Gott zu fragen hat. Und die Erkenntnis, dass sie ihren Kindern den Glauben und ihre Einstellung zum Leben nicht einfach weitergeben kann. Loslassen können, eine Kunst, die ihr nicht besonders liegt und die nun doch von ihr gefordert wird. Sie fühlt sich von allen Seiten bedrängt. Die Kinder, die ihr aus der Hand gleiten. Die wirtschaftliche Entwicklung des Hofes hin zur Massentierhaltung hält sie nur bedingt für richtig. Die Schwester todkrank. Das Eingeständnis: „Ich bin von allen Seiten bedrängt. Lieber Gott, das ist zu viel. Ich habe Angst, mir ist bange und ich verzage. Ich habe keine Kraft, mit all´ dem irgendwie umzugehen.“ Aus der Wut der Tage direkt nach Weihnachten und Neujahr wird ein Bitten und Flehen an Gott: Verlass mich nicht. Erhöre mein Gebet. Lass mich nicht aus deiner Hand gleiten. – Sie ahnt, dass es an der Zeit ist, dem Sterben und dem Tod, auch der eignen Endlichkeit ins Auge zu blicken. Aber sie kann es kaum aushalten. Sie weint viel. Irgendwann gibt es keine Tränen mehr. Sie scheinen alle geweint zu sein. – Die vielen Tränen haben drei Erfahrungen nach oben gespült. Die eine aus der Kriegskindheit: „Spring in den Graben und bete zu Gott.“ Sie übersetzt es in: „Tue, was du kannst und bitte Gott um Hilfe.“ Die andere nach dem Tod ihres Bruders: „Gott gibt dir Kraft nicht im Voraus, sondern nur so viel, wie gerade nötig. Und schließlich: „Mein ganzes Leben ist mir Gott treu gewesen. Er wird mich auch jetzt nicht verlassen. Egal, was noch kommt.“ „Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.“ Amen.

Alternative für interessierte Predigtleser zum Vergleich:

Liebe Gemeinde! Wir sind Gefäße. Mit diesem Bild beschreibt uns Paulus, was wir „christliche Existenz“ nennen. Unser Leben als Christ hat zwei Seiten, innen und außen. Es spielt sich ab vor Gott, geistlich, spirituell, und vor Menschen, anteilnehmend, menschlich. Christen sind nicht gedacht als Schmuck-, sondern als Zweckgefäße. Sie stehen nicht als antike Prunkstücke in den Museen der Welt zum Bestaunen. Christen sind praktische Haushaltgeräte. Mit ihnen verrichtet Gott seine Hausarbeit, räumt in seiner Welt auf und versorgt sie. Kurz: Die christliche Gemeinde ist mitverantwortlich für das Wohl in der Gesellschaft. Zugleich sollen Menschen Weg und Orientierung finden, wenn sie existenziellen Fragen haben: Woher komme ich? Wohin geht’s mit mir? Wie kann ich mit Gott eine lebendige Beziehung finden? Wie erreiche das Ziel meines Lebens, mein Heil, Gottes neue Welt? Dafür setzen sich Christen ein: für das Wohl und für das Heil. Dass Leben gut und menschlich ist. Und dass Menschen zu Gott, ihr Heil finden. So im Vers 7: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ Wir tragen in uns etwas sehr Kostbares: Wir sind Erlöste. Durch Jesus Christus. Sein Leiden und Sterben am Kreuz bedeutet den Freikauf von allen Sünden, von Verdammnis und Tod. Durch Jesus Christus ist uns das Heil, der Himmel geschenkt. Das ist der Schatz. Jesus Christus: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen.“ Von außen ist also nicht viel zu sehn davon, denn wir sind keine Schmuckkästchen. Eher gleichen wir Butterdosen und Brotkörben, gefüllt. Der Inhalt ist bestimmt zum Verzehr. Menschen sollen das Evangelium von Jesus Christus nicht bewundern, sondern davon satt werden. Jesus sagt von sich selbst: Ich bin das Brot des Lebens. Von Christus her beschreiben wir dann unser Selbstverständnis, christliche Identität auch so: Wir sind Brotkörbe Gottes. Wir tragen Christus, das Brot des Lebens in uns. Wir sind nichts, sondern der Inhalt. Aber doch sind wir – des Inhalts wegen – ausgestattet mit einer unverlierbaren Würde, einen – in Gottes Augen – unschätzbarem Wert: Christusträger. In diesem Sinne kann uns Gott gut gebrauchen. Aber wie Gott nun in seinem Haushalt, in und am Haus „Erde“, auf den Straßen dieser Welt arbeitet und vorgeht, ist sehr gewöhnungsbedürftig. Es macht uns unablässig einigermaßen fassungslos. Gott langt rabiat und rigoros zu. In unserm Predigttext beobachten wir ihn gleichsam bei der Arbeit, seinen Umgang mit den Gefäßen. Es heißt davon hier: „Wir sind von allen Seiten bedrängt … uns ist bange … wir leiden Verfolgung … wir werden unterdrückt … das Sterben Jesu tragen wir an unserm Leibe.“ Hier wird mit dem Missverständnis aufgeräumt: Mit Glauben lebt sich’s leichter. Nein, es wird schwerer. Wohl, damit das Leben tiefer wird und das Wesentliche vorangebracht wird. Wer ein besseres, bequemeres Leben sucht, wird es bei Jesus nicht finden. Wer nur zum Selbstzweck, für sich leben will, den wird diese Aussicht auf Hingabe, Ablehnung, Verfolgung abstoßen. Nicht selten geraten Christen in Situationen, die wir Nöte und Anfechtungen nennen. Die Erfahrung unserer Ohnmacht und der Glaube an die Macht Gottes – die Erfahrung der eignen Schwachheit und das Wissen um die Kraft Gottes – dieser Widerstreit wird hier erhellt im Bild vom Gefäß und dessen Inhalt. Mag Paulus hier ein großes Tongefäß vor Augen haben, wo man Korn aufbewahrt, oder Kleidung oder Schriftrollen. Schaut, sagt er, und zeigt außen auf die Risse, Sprünge und Beschädigungen. Dann hebt er den Deckel, lässt uns hineinschauen und wir erkennen die Gnade Gottes. Von außen betrachtet zeigt unser Leben Schwachheit: „Wir sind von allen Seiten bedrängt.“ Von innen betrachtet erkennen wir, wie Gott uns stärkt: „Aber wir ängstigen uns nicht.“ Von außen sind wir in der Zange – von innen tönt es: Keine Bange! „Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“ Paulus hat nicht ein ständiges Lächeln auf dem Gesicht. Er nennt die Nöte bei Namen. Aber seine Aufzählung wendet er so, dass sie nicht zu einem Jammerlied über den Mangel der Gefäße wird, sondern zu einer Verherrlichung des Inhalts. Nöte bei Namen nennen und Jammern dient nicht zur Ehre Gottes. Nöte bei Namen nennen und die Hilfe Gottes darin bezeugen verherrlicht Gott. Die Not ist da – aber der Herr ist größer! Gefäß und Inhalt – Leiden und Hoffnung sind so eng miteinander verbunden wie Wurzel und Stamm, Füße und Kopf. Hoffnung auf Gott gibt es nicht ohne Leiden für Gott. Will ich Gott gewinnen, muss ich mich auf ihn einlassen. Will ich Gott ehren, steht die eigne Ehre hintenan. Benutzt mich Gott als ein brauchbares Gefäß, muss ich mit Abnutzung rechnen. Diesen Weg hatte der himmlische Vater mit seinem Sohn Jesus. Er hat diesen Weg auch – denn wir sind nicht mehr als Jesus – mit einem jeden von uns. Paulus bezeugt dies so: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ Keiner von uns ist mehr, aber auch keiner weniger als ein Gefäß. Ein Gefäß für den, der sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Amen

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