Eine Frage der Prioritäten

Eine Frage der Prioritäten

Hallo zusammen,

„Eine Frage der Prioritäten“ – so habe ich diese Predigt genannt. Und ja, der Titel ist bewusst eine Anspielung darauf, dass ihr heute eure Prioritäten darauf gelegt habt, diesen Gottesdienst zu besuchen, und dabei in Kauf nehmt, die ersten Minuten des WM-Auftaktes der DFB-Elf zu verpassen. Schön, dass ihr da seid.
In der Geschichte, um die es heute gehen soll, dreht es sich auch um Prioritäten:

40 Als Jesus ans andere Ufer zurückkam, empfing ihn eine große Menschenmenge; alle hatten auf ihn gewartet.
41 Da kam ein Mann namens Jairus, der Vorsteher der Synagoge. Er warf sich Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen,
42 weil sein einziges Kind, ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, im Sterben lag. Auf dem Weg dorthin wurde Jesus von der Menge, die sich um ihn drängte, fast erdrückt.
43 Unter den Leuten war auch eine Frau, die seit zwölf Jahren an schweren Blutungen litt. Alles, was sie besaß, hatte sie für die Ärzte ausgegeben, doch niemand hatte sie heilen können.
44 Diese Frau drängte sich von hinten an Jesus heran und berührte den Saum seines Gewandes. Im selben Augenblick hörten die Blutungen auf.
45 »Wer hat mich berührt?«, fragte Jesus. Alle beteuerten, sie seien es nicht gewesen, und Petrus meinte: »Meister, die Leute drängen sich ja von allen Seiten um dich herum!«
46 Doch Jesus beharrte darauf: »Irgendjemand hat mich berührt; ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.«
47 Der Frau war jetzt klar, dass sie nicht unbemerkt geblieben war. Zitternd trat sie vor und warf sich vor Jesus nieder. Dann erzählte sie vor allen Leuten, warum sie ihn berührt hatte und wie sie im selben Augenblick geheilt worden war.
48 »Meine Tochter«, sagte Jesus zu ihr, »dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!«
49 Während Jesus noch mit ihr redete, kam jemand vom Haus des Synagogenvorstehers. »Deine Tochter ist gestorben«, sagte der Mann zu Jairus. »Bemühe den Meister nicht länger!«
50 Jesus hörte das. »Du brauchst dich nicht zu fürchten!«, sagte er zu dem Synagogenvorsteher. »Glaube nur, und sie wird gerettet werden.«
51 Er ging in das Haus, ließ aber niemand zu dem Mädchen mit hinein außer Petrus, Johannes und Jakobus sowie den Vater und die Mutter des Kindes.
52 Das Haus war voller Menschen, die um das Mädchen weinten und trauerten. »Hört auf zu weinen!«, sagte Jesus. »Sie ist nicht tot, sie schläft nur.«
53 Da lachten sie ihn aus, denn sie wussten sehr wohl, dass sie gestorben war.
54 Jesus aber ergriff sie bei der Hand und rief: »Kind, steh auf!«
55 Da wurde sie wieder lebendig; sie stand sofort auf, und Jesus ordnete an, ihr etwas zu essen zu geben.
56 Die Eltern konnten kaum fassen, was geschehen war. Doch Jesus verbot ihnen, jemand etwas davon zu erzählen.
(Lk.8,40-56; NGÜ)

Im Fokus dieser Geschichte stehen drei Personen:
Zunächst ist da Jesus. Der ist in Kapernaum, einer Stadt am Nordwestufer des Sees Genezareth, dem Ort des Geschehens, schon relativ bekannt. Er hat dort bereits Kranke geheilt, Dämonen ausgetrieben und in der Synagoge gelehrt.
Die zweite Person ist Jairus. Der ist in Kapernaum Synagogenvorsteher, so was wie der Kirchenvorstandsvorsitzende in der jüdischen Gemeinde vor Ort. Wahrscheinlich kannte er Jesus schon, denn Jesus hat in der Synagoge ja schon öfters gepredigt gehabt. Sein Name, Jairus, bedeutet „Der Strahlende“. Und er ist tatsächlich ein Mann mit Ausstrahlung. Er hat ein hohes Amt inne und hat offensichtlich auch großes Ansehen im Volk. Zumindest scheint er überhaupt kein Problem damit zu haben, zu Jesus durchzudringen, obwohl der von einer großen Menschenmenge umringt wird. Aber so wirklich zum Strahlen ist ihm im Moment nicht zu Mute, denn seine zwölfjährige Tochter liegt im Sterben. Jede Minute zählt. Und Jesus ist seine letzte Hoffnung.
Ganz ähnlich und doch ganz anders sieht es mit der dritten Person aus. Sie ist so unbekannt und unbedeutend, dass sie nicht mal mit Namen erwähnt wird. Sie muss sich durch die Menge kämpfen, um bis zu Jesus durchzudringen. Sie hat seit zwölf Jahren eine schreckliche Krankheit. Sie hat schon alles versucht. Aber jeder Arzt, jedes Medikament, jede Therapie haben sie lediglich ihr gesamtes Vermögen gekostet, aber ihr nicht helfen können. Neben die gesundheitliche Katastrophe und den finanziellen Ruin reiht sich aber auch noch die gesellschaftliche Isolation ein. Denn mit dieser Krankheit darf sie eigentlich mit niemandem in Kontakt kommen. Mit dieser Krankheit gilt sie als „unrein“. Jeder der sie berührt, wird auch vorübergehend unrein und darf nicht am Gemeinde-leben teilhaben. Und so hat sie Jesus wohl noch nie getroffen, nur von ihm gehört. Aber auch für sie ist Jesus ihre letzte Hoffnung.

Als ich Jairus und diese Frau betrachtet habe, hatte ich den Eindruck, dass Gott hier ganz deutlich zu uns als Gemeinde sprechen will.
Jairus ist ein Mann des Glaubens, ein Mann der in der Gemeinde Gottes lebt, der Gottesdienste feiert, der sein Leben nach Gottes Maßstäben ausrichtet. Ja, und er hat ein ehrliches und verständliches Anliegen, das ihn völlig aus der Bahn wirft. Mit dem er alleine überfordert ist. Und er ist jemand, der sich wie selbstverständlich vor Jesus auf den Boden wirft und ihn bittet ihm zu helfen.
Jairus ist wie wir. Wie wir brave, gläubige Gemeindechristen. Und auch wenn man diese Geschichte sehr persönlich für sich selber deuten kann, möchte ich sie heute gerne mal auf uns als Gemeinde beziehen. Was sind die Anliegen, mit denen wir zu Jesus kommen. Ich weiß um einige Dinge, die bei uns als Gemeinde solche sterbenden Töchter sind oder sein können. Wo uns Dinge wirklich wichtig sind, vielleicht auch weil Gott uns für sie Verantwortung gegeben hat. Seien das Gottesdienste, oder Hauskreise, die Lobpreisarbeit, die Jugendarbeit, die Kinderarbeit. Alles unsere Töchter, die vielleicht an der ein oder anderen Stelle zu sterben drohen. Und was machen wir? Wir laufen zu Jesus. Hoffentlich. Weil wir ihn kennen. Und wissen, dass er uns hören wird. Und am Besten wäre es, wenn er jetzt wirklich ganz schnell eingreift und mit uns mitkommt. Es geht jetzt wirklich um jede Minute: „Bitte schenke uns ganz schnell die Mitarbeiter, die Finanzen, die Ideen, die Kraft, was auch immer, damit all diese Dinge nicht sterben.“ Und wir machen das im öffentlichen Rahmen. Wir geben Gebetsanliegen weiter. Wir lassen andere wissen, dass wir unser Vertrauen auf Gott setzen.
Und soll ich euch was sagen? Ich sehe in der ganzen Geschichte von Jairus nichts davon, dass Gott damit ein Problem hätte. Ganz im Gegenteil. In den Psalmen heißt es:

15 Rufe zu mir in Tagen der Not. Dann werde ich dich retten, und du wirst mich preisen.«
(Ps.50,15; NGÜ)

Genau das tun wir.

Aber dann kommt diese Frau ins Spiel. Krank, arm und von der Gesellschaft, ja von der Gemeinde, ausgeschlossen. Vor zwölf Jahren, als sich das mit ihrer Krankheit herausstellte, hatte sie womöglich ein sehr schwieriges Gespräch mit den Leitern der Synagoge geführt. Eventuell war Jairus damals auch dabei gewesen. In diesem Gespräch wurde ihr gesagt, dass sie mit dieser Krankheit leider nicht mehr zur Gemeinde kommen kann. Das Tragische daran ist: Das lässt sich ja tatsächlich biblisch belegen. Im Fall der Frau lesen wir im dritten Buch Mose:

25 Wenn aber eine Frau den Blutfluss eine lange Zeit hat, zu ungewöhnlicher Zeit oder über die gewöhnliche Zeit hinaus, so wird sie unrein, solange sie ihn hat […].“
(1.Mose15,25)

Und so hatten sie die Frau schweren Herzens abgewiesen. Aber Jairus hatte zu der Zeit gerade ganz andere Dinge im Kopf, als sich lange mit der unangenehmen Geschichte dieser Frau zu befassen. Der war nämlich gerade Vater geworden. Von seiner ersten und einzigen Tochter.

Ich glaube, dass wir als Gemeinde auch solche Kapitel geschrieben haben. Wir haben uns das bestimmt genauso wenig leicht gemacht wie die Synagogenvorsteher. Manchmal war dieser Prozess vielleicht schleichend und wir haben es gar nicht gemerkt. Aber manchmal kam es vielleicht auch zu heftigen Auseinandersetzungen und irgendwann ging es halt nicht mehr. Und das Ende vom Lied war, dass Menschen der Gemeinde ferngeblieben sind. Und biblisch belegt können wir sogar begründen, warum das so ist und so sein muss.
In den vergangenen Monaten habe ich mehrere schwierige Gespräche mit Leuten geführt, die gerade in puncto Beziehung weit von Gottes Vorstellungen entfernt leben. Es ging um Homosexualität, Ehebruch, Sex vor der Ehe und so weiter. Und fast jede dieser Personen hat mir gesagt: Daniel, ich merke einfach, dass ich mit meinem Leben in der Gemeinde abgelehnt werde, wenn ich mich öffentlich dazu stelle.
Ich möchte hier nicht Krankheiten und persönliche Entscheidungen zu dem, was die Bibel Sünde nennt, in einen Topf werfen. Es sind nicht immer die Opfer, die am lautesten schreien. Aber ich glaube, dass wir dazu neigen, Menschen sehr leicht abzustempeln. Ob wir das bewusst kommunizieren oder nicht, spielt keine Rolle. Wir geben Menschen das Gefühl: Du bist hier nicht willkommen. Du gehörst hier nicht hin.

Aber wie die Frau in der Geschichte wird diese Person alle möglichen Wege probieren um diese Ablehnung irgendwie in den Griff zu bekommen. Koste es, was es wolle. Dann halt ohne die Gemeinde. Und auch ohne Gott. Und sie wissen selber, dass Gottes Vorstellungen für ihr Leben doch eigentlich anders aussehen müssten als das, was sie gerade erleben.
Und ich wünschte mir so sehr, dass ich es noch viel öfter erleben würde, dass Menschen in dieser Situation anfangen, sich nach Jesus auszustrecken. Allen Widrigkeiten, Ablehnungen und auch jeder religiöser Vorschrift zum Trotz. So wie es die Frau getan hat. Sie kämpft sich unauffällig durch die Massen, will auf keinen Fall entdeckt werden. Und bis zu diesem Zeitpunkt ist ihr das auch gelungen. Sie kommt so ganz anders zu Jesus als Jairus, der sich in aller Öffentlichkeit vor Jesus hingeworfen hat. Und dann berührt sie den Saum des Gewandes von Jesus. Und von einem Moment auf den anderen ist sie geheilt.

Jesus bleibt stehen und fragt, wer ihn berührt habe. Eine völlig alberne Frage in einer Situation, in der sich um Jesus herum quasi alle gegenseitig auf die Füße getreten sind. Das meint auch Petrus. Aber Jesus will wissen, wer es war. Und ich sehe darin zwei Dinge:
Erstens, Jesus ist in keiner Situation, selbst wenn es um Leben und Tod geht, so betriebsblind, dass er nicht mehr sensibel für das Wirken von Gottes Kraft wäre. Das ist auch für uns immer wieder wichtig festzuhalten: Gott tut nichts in Eile. Er ist niemals so gestresst, dass er nichts mehr mitbekommen würde.
Das Zweite ist, Jesus will vor den Augen aller, auch vor den Augen von Jairus, diese Frau ohne Namen in den Fokus nehmen. Die Frau, die die ganze Zeit ausgegrenzt war. Und ich frage mich, was Jairus in dem Moment gedacht hat, als sich die Frau letztendlich outet und ihre Geschicht erzählt. Vielleicht hat er sich gedacht „Echt jetzt, Jesus? Ich komme hier zu dir. Es geht um Leben und Tod. Jede Minute zählt. Aber du schaust nach dieser Frau? Ganz ehrlich, hättest wir uns jetzt vielleicht erst mal um die wirklich dringenden Dinge kümmern können? Mit Verlaub, aber diese Frau ist seit zwölf Jahren krank gewesen. Die hättest du doch auch noch später heilen können.“

Es steht nicht im Text, dass Jairus das dachte. Ich habe jetzt lediglich meine Gedanken auf ihn projiziert. Ich komme selbst sehr häufig in Situationen, in denen viele dringende Anliegen bewältigt werden wollen. Wo ich schauen muss, wie ich meine Zeit einsetze. Und ja, ich bitte Gott darum, dass er mir dabei hilft. Aber gerade dann werde ich häufig mit irgendwelchen persönlichen und sensiblen Themen konfrontiert. Und wie in der Geschichte sind da die Stimmen, die sagen: Jetzt konzentrier dich erst mal auf das Dringende. Bleibe fokussiert! Und dann setze ich sehr leicht meine frommen ToDos über die eigentliche Not und das, was Gott gerade tun will.

Aber Jesus durchbricht die menschliche Prioritätensetzung und konzentriert sich auf diese Frau. Und Jairus bleibt nichts anderes übrig, als zuzusehen und abzuwarten, was Jesus tut. Ich hoffe, er hat gut zugeschaut und ich hoffe, dass wir gut zuschauen, was hier passiert.
Die Botschaft von Jesus an dieser Stelle ist nicht: Jairus, du bist mir nicht so wichtig wie diese Frau, die von der Gemeinde ausgeschlossen worden ist. Dieser Moment ist nicht nur für diese Frau besonders wichtig. Sondern er ist für alle, ganz besonders für Jairus, wichtig. Deswegen geschieht das in aller Öffentlichkeit. In einem Moment, wo ohnehin schon alle Aufmerksamkeit auf Jesus liegt.
Jesus macht an dieser Stelle auf so wunderbare Art und Weise deutlich, dass er weder ein liebloser Gesetzeslehrer ist, der Menschen kategorisch nach biblischen Maßstäben be- und verurteilt. Und dass er sich auch nicht vor den Karren derer spannen lässt, die so drauf sind.
Noch ist er jemand, der biblische Maßstäbe beim Umgang mit Menschen einfach unter den Tisch fallen lässt. Jesus lässt die Frau zu sich kommen, wie sie ist. Mit allem, was sie eigentlich von Gott und Menschen trennt. Und dann verändert er das Leben dieser Frau grundlegend. Anstatt sie mit dem Verweis auf ihre Unreinheit wegzuschicken, schickt er einfach die Unreinheit weg. In der Geschichte klingt es sogar fast so, als hätte sich Jesus gar nicht bewusst dafür entschieden sie zu heilen, sondern so, als ob die Heilung quasi automatisch passiert ist. Jesus fragt nach dieser Frau, damit Jairus und auch wir verstehen:

10 […] der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.«
(Lk.19,10, NGÜ)

Ihr Lieben, ich sehne mich danach genau das zu erleben. Wenn ich sehe, wie Menschen, die vielleicht mal zu unserer Gemeinde gehört haben, fernab von Gottes Vorstellungen leben, egal ob selbst verschuldet oder nicht, dann macht mich das unendlich traurig. Und ich bin in meinen Möglichkeiten hin- und hergerissen: Auf der einen Seite will ich Menschen nicht verurteilen und ablehnen, die gegen Gottes Gebot handeln, weil ich das nicht damit vereinbaren kann, sie so zu lieben, wie ich es tun soll. Auf der anderen Seite kann ich aber auch nicht Gottes Wort ignorieren, in dem ich erdrückende Stellen dazu finde, dass Gott diese Dinge nicht gut heißt und mit der Schuld der Menschheit keine Gemeinschaft haben will und auch nicht haben kann. Ihr seht das Dilemma, in dem ich als frommer Mensch stehe. Das Dilemma, in dem auch Jairus steht. Und wir alle.
Und Jesus ist der Einzige, der aus diesem Dilemma keine Fragen der Prioritäten macht. Keine Frage zwischen Liberalismus und Gesetzlichkeit. Sondern, der das Problem löst. Voller Liebe für die Menschen und in aller Gerechtigkeit.

Jairus sieht das. Und vielleicht versteht er auch, was da gerade passiert. Möglicher Weise erkennt er sogar, dass das gerade, trotz seines drängenden Anliegens, wirklich Priorität haben muss. Und jetzt könnte die Geschichte ganz einfach zu Ende gehen. Heilung des Mädchens. Fertig.
Aber in diesem Moment kommt die Nachricht: Jairus, deine Tochter ist gestorben.
Ich wünschte, ich hätte noch mehr Zeit, darauf einzugehen, was im Folgenden passiert und was das für uns als Gemeinde bedeutet. Aber ich muss langsam zum Schluss kommen.

Es mag unverständlich klingen, aber Jesus lässt zu, dass Dinge oder sogar Personen sterben. Es stirbt hier nicht ein alter Mann am Ende seines Lebens, sondern ein junges Mädchen am Anfang ihres Lebens. Es stirbt nicht das, was in der Gemeinde veraltet ist, ausgedient und die Kraft verloren hätte. Sondern hier stirbt etwas, was eigentlich voller Energie sein sollte, was Hoffnung und Zukunft bringen sollte. Die Jugendarbeit geht ein. Der lebendige, kreative und evangelistische Gottesdienst verliert seine Kraft oder die Lobpreisarbeit kommt zum Erliegen. Keine Ahnung. Irgendetwas, was uns wirklich wichtig ist, woran unser Herz hängt und was unser geliebtes Kind ist, das Gott uns geschenkt und anvertraut hat.
Und neben die Frage nach dem „Warum?“ und dem „Hätte Gott das nicht verhindern können? Was hätten wir anders machen können?“ gesellt sich vor allem die Resignation: „Es ist zu spät.“ Jetzt kann nicht mal mehr Jesus helfen.
Das muss nicht passieren. Aber es kann passieren und ich musste leider schon oft genug erleben, dass es passiert.

Es wäre eine der tragischsten Geschichten, wenn die Geschichte an dieser Stelle enden würde. Aber Jesus nimmt Jairus, seine Frau und lediglich drei seiner vertrautesten Jünger mit in die Kammer des Mädchens. Ganz im Verborgenen. Keine große Menschenmenge wie bei der Frau von vorhin. Und dort, abgegrenzt von den spöttischen Bemerkungen aller anderen fordert er Jairus auf, keine Angst zu haben und ihm zu vertrauen. Und dann tut Jesus das vielleicht größte Wunder in dieser Geschichte. Er holt das Mädchen aus dem Tod ins Leben zurück.
Und ich weiß nicht, ob Jairus das an diesem Tag erkannt hat, aber ich hoffe, dass wir es erkennen. Dieses große Wunder an dem Mädchen konnte erst passieren, nachdem es genau in dem Moment gestorben ist, in dem das Wunder an der Frau passiert ist.

Seit ich in der Gemeinde von Jesus mitarbeite, sehne ich mich danach, dass er große Wunder tut in der Gemeinde. In den Gottesdiensten, in der Jugend, im Lobpreis, in den Hauskreisen, in der Gemeinschaft. Dass das Leben überfließt. Dass selbst die kritischsten Menschen außerhalb der Gemeinde erkennen müssen, dass Gott unter uns am Werk ist. Dass er mächtig ist. Kurz gesagt: Ich sehne mich nach Erweckung.

Aber Jesus zeigt hier: Damit Erweckung möglich ist, muss er zu allererst den Menschen außerhalb unserer Gemeinde begegnen. Denen, die von Gott getrennt sind, die eigentlich gar nicht da sein dürften. Gerade die Menschen, die wir vielleicht selbst ausgeschlossen haben mit noch so guten und religiösen Begründungen. Und er nimmt uns mit hinein in seine Liebe und Gerechtigkeit, indem er Menschen vollkommen erneuert, reinigt und erlöst. Das steht im Fokus aller Aufmerksamkeit. Das ist der Moment, in dem Gottes Reich anbricht. Und das ist der Moment, in dem das sterben muss, was uns so wichtig ist.
Erst das ist die Grundlage, auf der Jesus ganz im Verborgenen, entgegen aller menschlichen Möglichkeiten, das größte Wunder tut:

54 Jesus aber ergriff sie bei der Hand und rief: »Kind, steh auf!«
55 Da wurde sie wieder lebendig. […]
(Lk.8,54.55; NGÜ)

Das ist Erweckung. Das ist Jesus. Und das hat Priorität.

Amen.

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