Erkenntnis: Verstehen, wer Jesus ist

Erkenntnis: Verstehen, wer Jesus ist

Eph 3, 14-21                                     14. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe, am 20.09.2020

„Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

Liebe Gemeinde! Als ich ein kleiner Junge war, bin ich gern in das Arbeitszimmer meines Vaters gegangen. Da ist mir ein Bild geblieben: Ich öffne leise die Tür. Mein Vater kniet vor dem Sessel. Einprägsam, prägend – Vati betet. Das sah ich vor mir, als ich las: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater.“ Vor uns alle hier nun auch das Bild: Paulus kniet und betet. Ein Bild. Ein Vorbild? Vor uns liegen jetzt zwei Wege der Predigt. Ich könnte euch fragen: Ist deine alltägliche Gebetspraxis mehr Substantiv oder Verb, mehr Dingwort oder Tatwort. Die Predigt hätte dann ermahnenden Charakter, gute Vorsätze stünden im unausgesprochen im Raum: Ja, ich muss mehr beten. Mancher würde sagen: War sehr wichtig, was der Pfarrer gesagt hat. Ist ja richtig, ohne Gebet ist alles nichts. Ich lasse diesen Weg, mit euch durch das Wort Gottes zu wandern, links liegen. Wir nehmen einen unscheinbareren Weg. Er ist steiler, unübersichtlicher, mühsamer. Ein Zweifaches hat mir bei dieser Entscheidung geholfen: Das Wort „Reichtum“ und Sören Kierkegaard, ein jesusgläubiger Philosoph. Er meinte mit Blick auf Gott und Mensch: „Der größte Reichtum des Menschen ist, dass er Gottes bedarf.“ Das klingt fast so wie Paulus, der schreibt: Gott hat zu mir gesagt: „Meine Kraft wird in deiner Schwachheit wirksam.“ Bedürftigkeit ist das Stichwort – davon redet zuerst unser Predigtwort. Paulus beugt die Knie, weil er die Bedürftigkeit sieht. Nur Gott kann sie stillen. Mehr noch. Die Bedürftigkeit des Menschen ist in der Schöpfung angelegt. Ich denke nicht nur an die Grundbedürfnisse. Sondern mehr daran, dass jeder beziehungsbedürftig ist. Geben und empfangen. So vollzieht sich das Leben beim Sozialwesen „Mensch“. Das gilt auch in der Gottesbeziehung. Der Mensch bedarf Gottes. Bedürftigkeit bringt Paulus zum kieen. Mag sein, dass er gefragt wurde, so wie ich meinen Papa gefragt habe, was er denn da macht. Und Paulus antwortet: Ich bete, „dass er euch Kraft gebe.“ Wir schieben mal die Vorstellung von Fitnessstudio und Athleten beiseite. Sehen: Paulus hat eine geistliche Erkenntnis. Er sieht einen geistlichen Mangel. Erkennt eine Bedürftigkeit in der Gottesbeziehung. Der innere Mensch braucht Kraft. Gott ist reich. Er kann euch beschenken. Und er betet: „Dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch den Geist an dem inwendigen Menschen.“ So weit, so gut. Aber ich hatte angekündigt, dass der Weg mühsam wird. Das geschieht immer dann, wenn aus Zuschauern Akteure werden. Deshalb jetzt diese sehr persönliche Frage: Möchtest du Kraft empfangen und gestärkt werden durch Gottes Geist an deinem inwendigen Menschen? Diese Frage klingt beim ersten Hören genauso seltsam wie Jesu Frage an den Kranken: Willst du gesund werden? Beim zweiten Hinschauen verstehen wir, dass Jesus fragt: Willst du aus deiner Komfortzone, deinem Schneckenhaus heraustreten und Lasten tragen, Verantwortung übernehmen, in Gottes Plan einstimmen? Es geht hier eben nicht um Kraft für unsere Pläne, Wert- und Lebensvorstellungen. Es geht um alles, um Jesus, die Mitte in der ewigen Welt Gottes, die Mitte des Universums. Um Jesus, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen. Wenn du und dein Leben etwas sein soll zum Lobe Gottes, dann geht es um Jesus, dazu brauchst du geistliche Kraft aus dem Himmel. Darum kniet Paulus und fleht für seine Gemeinde: „dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.“ Komm, Herr Jesus, sei unser Gast ist ein schönes Tischgebet. Aber Jesus will auf geheimnisvolle Weise in uns wohnen, nicht nur Gast sein. Ein Gast muss sich unterordnen, wer Wohnrecht hat bestimmt in seinen vier Wänden. Wer bestimmt bei dir? – In dem sehenswerten Film „Mein linker Fuß“ sagt die Mutter zu ihrem schon fast erwachsenen, am ganzen Körper gelähmten Sohn: Mein Junge, die schwersten Kämpfe finden nicht da draußen statt, sondern hier drinnen, und zeigt dabei auf ihr Herz. Im Herzen finden auch die geistlichen Auseinandersetzungen statt. Mein Wille oder Jesu Wille. Meine Weltsicht und Erfahrung oder Gottes Wort. Mein Zorn oder Gottes Friede. Damit Jesus auch in uns siegt, brauchen wir „Kraft durch seinen Geist am inwendigen Menschen“. Es erfordert eben Kraft zu vergeben, Schuldgefühle loszulassen, Eitelkeiten nicht zu Wort kommen zu lassen. Es braucht geistliche Kraft im Miteinander darum zu ringen: Frieden ist mehr als Rechthaben. Unser inwendiger Mensch braucht Kraft um Jesus, der in unseren Herzen ist, alles zu überlassen. Ich will euch nicht mit christlichen Allgemeinplätzen ermüden, sondern euch von einem Ringen erzählen. Dem Kampf, dass Jesus in mir zu Wort kommt und sein Wort mein Leitwort ist und bleibt. Als ich jung verheiratet war, kam ein tiefer Schmerz in mein Leben. Unser erstes Kind starb. Es wird mich, meine Familie ein Leben lang begleiten. Deshalb brennt eine Kerze auf unserm Tisch beim Essen. Aber den Schmerz loszulassen, die Schuldgefühle, die Verwirrung – wie lange brauchte es, bis ich in all dem inneren Lärm die Stimme Jesu hörte: Lass deine Schuldgefühle einfach los, gib sie mir, deinen Schmerz. Gib mir die Selbstanklage. Begreife, das ist zu groß für dich. Ich nehme diese Last. Du und dein Kind – ihr seid nicht aus meiner Fürsorge gefallen, seid immer noch in meiner Liebe … Ich musste erst verstehen, dass, was auch geschieht, dieser Satz hier eine ewig gültige Wahrheit ist und auch mir gilt: „Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet.“ Nicht, was ich erfahre und was mir widerfährt, sondern was der Herr verspricht, gilt. Auch du bist in der Liebe Jesu eingewurzelt und gegründet. Darin liegt auch unsere Bedürftigkeit. Wir brauchen sie, seine Liebe. In der Liebe eingewurzelt: da ist vom Wachsen des Glaubens, der Beziehung mit Jesus die Rede. Gegründet – da sehen wir ein Fundament, es geht um die Tragfähigkeit, Belastbarkeit des Glaubens. In beidem, im Wachsen und im Tragen, öffnet, erschließt sich die Liebe, der Plan, die Erkenntnis Gottes. Das ist auch die  Erfahrung des Paulus, wenn er auf sein eigenes Ringen, seine Bedürftigkeit, sein Eingewurzelt- und Gegründetsein schaut: „Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welchen die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt.“ Ich gebe dir eine Frage mit: Hast du einen, der treu für dich betet? Wenn nicht, such dir noch heute einen. Wer für sich beten lässt, wird selbst zum Beter. So leise, still und nachhaltig verändert Gott Menschen und unheilvolle Zustände. So wird Gott geehrt. Deshalb schließt unser Predigtwort mit einem Lobpreis: „Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten und verstehen nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Amen.