Gebetssonntag

Gebetssonntag

Dan 9, 4-6.16-19                                                   Rogate – Großgrabe/Oßling, am 09.05.2021

„Daniel sprach: Ich betete aber zu dem Herrn, meinem Gott, und bekannte und sprach: Ach, Herr, du großer und heiliger Gott, der du den Bund und Gnade bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten! Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen. Wir gehorchten nicht deinen Knechten, den Propheten, die in deinem Namen zu unseren Königen, Fürsten, Vätern und zu allem Volk des Landes redeten. Ach Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg. Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer Väter trägt Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um uns her wohnen. Und nun, unser Gott, höre das Gebet deines Knechtes und sein Flehen. Lass leuchten dein Antlitz über dein zerstörtes Heiligtum um deinetwillen, Herr! Neige dein Ohr, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. Ach Herr, höre! Ach Herr, sei gnädig! Ach Herr, merk auf! Tu es und säume nicht – um deinetwillen, mein Gott! Denn deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen genannt.“

Liebe Gemeinde am Gebetssonntag! Wir sehen vor uns ein Bild – ein Vorbild. Daniel – ein geistliches Vorbild. Sagen wir einfacher: ein Glaubensvorbild. Weil man von ihm lernen kann. Er sagt nicht nur: so ist es. Sondern: so darf´s nicht bleiben. Zwischen uns. Zwischen Gott und uns. Ich kämpfe, dass Beziehungen heilen. Ich ziehe in den Gebetskampf. Daniel war ein Betender. Jeder Beter macht die Erfahrung: Beten ist Ringen. Ausdauer braucht es und Demut. Und Glauben an Gottes Zusagen. Es braucht Kraft, beständig an Gottes Treue festzuhalten. Es gibt auch Kraft, ja, aber kostet auch Kraft. Und so sehen wir vor uns Daniel, den ringenden Beter. Er ringt mit dem Versagen der Menschen, ihren Ungehorsam ggü. Gottes Geboten. Er ringt mit sich. Und Gott. Er sieht vor sich die Menschen seines Volkes, wie vieles auseinander bricht; Treue, Wahrheit und Liebe immer seltener werden. Schaut auf die Risse und Abgründe, die sich auftun zwischen seinem Volk und Gott, erkennt das Spaltende selbst in den Familien. Das ist für ihn ein Grund zu beten. Deshalb ist er ein Vorbild. Nöte sind ein Grund für Gebete. Er ist auch nüchtern genug zu sehen, dass mit Geld, Politik und Armee dem nicht abzuhelfen ist. Nur Gott kann helfen. Weil er, als einziger, Menschen und ihre Herzen verändern kann. So wendet er sich an Gott. Deshalb ist er ein Vorbild. Und noch eines: er  betet nicht „die da“, sondern „wir“. Mit ziemlicher Sicherheit dürfen wir annehmen, dass Daniel ein sehr frommer und rechtschaffener Mann war. Fromm – er achtete darauf, Gottes Gebote höher zu achten als den eignen Willen. Rechtschaffen – er mühte sich um Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit mit seinen Zeitgenossen. In seiner Tadellosigkeit war er sicher nicht nur einmal in der Versuchung zu beten: „die da“. Aber er widerstand und trat vor seinen Gott mit dem Wörtchen „wir“. Wirft sich auf die Knie und ruft: „Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten abgewichen. Wir gehorchten nicht deinen Knechten, den Propheten.“ Daniel betet das „wir“ nicht um des guten Anstandes willen. Oder weil er meint, naja, ein paar kleine Sünden habe ich vielleicht auch. Für solch nichtige Gedanken war ihm der Zerbruch von Volk und Glaube zu bitter und ernst. Er sieht und weiß sich selbst in das himmelschreiende Unrecht und die Geringschätzung von Gottes Geboten verstrickt. Sippenhaftung. Das bedeutet: Das Sozialwesen Mensch hat stets Anteil an den Erfolgen, dem Reichtum, Krieg oder Frieden, Liebe und Hass, Glaube oder Gottlosigkeit, die in seiner Sippe, seinem Volk herrschen. Mag er selbst auch fromm und rechtschaffen sein. Mit gehangen – mit gefangen. Die Menschen der Bibel und unsere Glaubensväter wussten, dass Gott nicht nur den Einzelnen betrachtet, sondern auch ein Volk, eine Nation. Unser Glaubensverständnis ist heute sehr individualisiert. Ich und Gott. Hautsache, ich glaube. Es ist wenig im Blick, dass jeder Glaubende mit im Gericht ist für sein Volk und Vaterland. Manchmal bekommen wir eine Ahnung von den verhängnisvollen Kräften, der auch heute allgegenwärtigen Sippenhaftung: Einer meiner Söhne studierte vier Jahre in Israel. Dort begegnete er täglich, nicht nur unter seinen Kommilitonen, Juden und Palästinensern. Oft wurde er als Deutscher für seine Abstammung und sein Volk in Sippenhaftung genommen. Palästinenser klopften im auf die Schulter und sagten anerkennend: Hitler ist gut, hat die Juden vernichtet. Von seinen Begegnungen mit jüdischen Kommilitonen und Menschen erzählt er: Fast jeder hatte in seiner Familie mindestens einen Toten zu beklagen, der im Holocaust zu Tode kam. Oft wurde ich „Nazi“ genannt. Aber warum? Was habe ich denn mit der Geschichte meiner Urgroßväter zu tun? – Daniel hat um die geistliche Gesetzmäßigkeit der Sippenhaftung gewusst und sie ernst genommen. Deshalb betet er „wir“. Auch deshalb ist er ein Vorbild. Und auch wie er betet, ist vorbildhaft, ist ein lehrhafter Impuls für alle, die fragen: Wie soll ich denn beten? An Daniels Gebet erkennen wir eine klare Gebetsstruktur. Er beginnt mit dem Lobpreis der Größe und Treue Gottes. Es folgt das Bekenntnis von Sünde und Gottlosigkeit. Dann appelliert er an Gottes Gerechtigkeit. Es folgt die flehentliche Bitte um Gottes Gnade und Erbarmen. Und spricht aus: Gott, ich vertraue auf deine Barmherzigkeit. Fünf Schritte in der Fürbitte für Volk und Land. Im Vers 18 finden wir den Spitzensatz: „Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ Damit machen wir den Schritt heraus aus der Geschichte in unsere Gegenwart. Das geistliche Vorbild Daniel wandelt nicht mehr auf Erden. Aber Gott ist immer noch derselbe. Auch seine Gebote. Und sein Gericht. Und seine Barmherzigkeit. Wie steht´s also mit uns, unserer Kirche, unserm Volk und Vaterland? Was sehen wir? Sagen wir, es steht bestens oder zitieren wir Heinrich Heine, der sein „Wintermärchen mit den Worten beginnt: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen und meine heißen Tränen fließen.“ Ich meine, wir sehen statt Friede und Freude, eher gesellschaftliche und geistliche Risse, Nöte und Konflikte. Sind wir jetzt Leute, die Position beziehen, klare Kante zeigen, politisch reden und wissen, wer falsch und wer richtig liegt? Schlagen wir uns auf die eine oder andere Seite, aus Angst oder Zorn? Oder als Menschen Gottes auf die Seite Gottes. Wir schauen auf Daniel. Was zeigt uns der Herr durch ihn? Was ist Gottes Wille und Weg für unser so zerrüttetes deutsches Volk? Das ist Gottes Wille und Weg für unsere Tage: „Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ Amen.

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