Gott glaubt an uns

Gott glaubt an uns

2. Mo. 32, 7 – 14    Abschluss 25h-Gebet – 19. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe, am 27.10.2019

 „Der Herr sprach zu Mose: Geh. Steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben ein gegossenes Kalb gemacht und haben´s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Und der Herr sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zu einem großen Volk machen. Mose aber flehte vor dem Herrn, seinen Gott, und sprach: Ach, Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte vom Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte  Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.“

Liebe Gemeinde! Der Wahrheit ins Auge blicken ist schwer, der eignen Wahrheit, wer ich wirklich bin. Wer meint, es sei leicht, der hat`s noch nie versucht. Die Bibel will sich dem Menschen mit der Wahrheit nähern. Damit der Hörer nicht gleich die Ohren und das Herz verschließt, redet sie in Bildern und Gleichnissen. Ein alter pädagogischer Kniff. Der Hörer und Leser soll allein darauf kommen, dass er selbst als Person gemeint ist. Wir lesen heute von Israel, dem goldnen Kalb, sehen Mose in einer hitzigen Diskussion, hören von einem Gott, der wutentbrannt ein ganzes Volk ausradieren will und am Ende bereut. Näher tritt mir diese alte Geschichte, wenn ich in Israel die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen erkenne, im goldnen Kalb sich nicht nur der Tanz um das Geld widerspiegelt, sondern die Sehnsucht nach einem greifbaren Gott. Naja, und ein zornschnaubender Gott – das passt in mein Denkschema. Aber ein Gott der bereut? Warum will das nicht recht einleuchten? Ob da eine Wahrheit zu sehen ist, die unangenehm ist? Lasst uns auf diese alte Geschichte blicken und sehen, wie nah uns die Botschaft kommen darf: Israel lagert am Sinai. Der Aufbruch aus tiefem Elend war groß. Gottes große Taten, vor Wellen und Waffen des Feindes gerettet. Das Säbelrasseln der Verfolger war verstummt. Der Weg begann. Der lange, durch Wind, Sand und Sterne. Auch die Angst keimte bald auf, das Ziel aus den Augen zu verlieren. Erst keine Butter und bald auch kein Brot mehr zu haben, in der endlosen Wüste sandiger Freiheit. Der lange Atem wurde knapper. „Alle eure Sorge werft auf ihn“ (1. Petr. 5, 7), klang so phrasenhaft in eiskalter Nacht und glühender Mittagssonne mit Sand zwischen den Zähnen und in der Suppe. Wann sind wir endlich da? Die große Frage von jung und alt. Die Menschheitsfrage nach Heimat, Ziel, Sinn und „dem da oben“. Alltäglich, diese Frage, allnächtlich. Sie bohrt. Dieser Mann Mose ist nun schon über einen Monat auf dem Berg. Inzwischen könnte man sagen, verschollen. Nichts sehen sie mehr. Die Orientierung verschwimmt in den Wolken, verdunstet in der Hitze des Sorgens. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Eine greifbare Garantie, ein Logo, ein Halt muss her, ein Markenzeichen für Gott. Verständlich, nahe, nützlich muss er sein, dieser Gott. So beginnen sie ihren neuen Gottesdienst, in der festen, gemeinsamen Überzeugung Gott zu dienen. Sie beten, singen und tanzen um das goldne Kalb. Man kann nicht nur von Luft und Liebe leben, haben sie darunter geschrieben! So? Leben wir nicht nur von Luft und Liebe? Keiner bleibt unverwundet, wenn er sich irrt in seinen Lebenszielen, im Sinn. Nochmal: Keiner bleibt unverwundet, wenn er sich irrt in seinen Lebenszielen. Die Seele leidet Hunger, blutet aus, wer Macht und Geld zum Sinnträger vergoldet. Sicherheit ist eben nicht Sinn. Lebenssicherheit ist todsicher nicht Lebenssinn. Auch die Sicherheit des Geldes nicht. Es hilft nichts, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein. Während des Gottesdienstes unten am Berg, geschehen oben erstaunliche, z. T. dramatische Dinge. Uns wird ein wütender Gott vorgestellt, der irgendwie seltsam resigniert wirkt. Er berichtet Mose knapp, wie das Volk ihn, den unverfügbaren Gott, sich verfügbar machen wollten: „Sie sind schnell vom Wege gewichen …“ Welchen Weg?, fragen wir jetzt etwas zaghaft, weil wir wissen, dass es um uns selber geht. Vom Weg der Freiheit, lautet die knappe Antwort. Kaum sind die rechtlosen Fronknechte in die Freiheit entlassen, machen sie sich schnell wieder zu Sklaven irgendwelcher Zwänge, im Denken, Reden, Glauben und Leben. „Sie sind schnell vom Wege gewichen …“ Dieser Satz könnte sich wie ein Fährtenhund sich auf unsre Lebensspur setzen, uns nachlaufen, uns suchen, hinter uns herhecheln … Wie gesagt, unten sind sie glückselig, oben raucht der Berg. Gott hat blinde Wut. Mose hat bisher geschwiegen, deshalb spuckt Gott jetzt Gift und Galle: „Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge.“ Nun lass mich, sagt Gott, als würde Mose ihn umarmen und sehr fest halten. Der Allmächtige ist mit seiner Allmacht am Ende. Zürnt er deshalb, weil er mit sich selbst uneins ist? Es sieht fast so aus. Der Mensch zeigt Gott seine Grenzen. Und Gott tobt. Es ist scheinbar immer die einfachste Lösung, wenn die, die Probleme machen, verschwinden. Und Gottes Zorn serviert Mose eine handfeste Versuchung: Diese will ich vertilgen. „Dafür will ich dich zum großen Volk machen“. Dich Mose! Das ist doch ein Angebot! Dass Mose keinen Moment zögert, nein sagt, ja sich sogar schützend vor das Volk stellt, zeigt: er hat zu seinen Leuten eine Herzensbeziehung, er gibt und nimmt Anteil an ihrem Leben. Anteilnahme – das ist der Schlüssel zum Gebet. Ich kann nicht beten – ist die Umschreibung der nackten Wahrheit: ich habe keine Anteilnahme. Mose sagt: Fasse dich, Gott! Und packt den Allmächtigen gleich bei seinem folgenschweren Fehler, der ihn in seiner blinden Wut unterlaufen ist. Gott hatte zu Mose gesagt: „…dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast.“ Mose weist ihn dezent, aber wahrheitsgemäß darauf hin, dass ER, Gott selbst, doch der Führer in die Freiheit war. Auch wäre er vor sich selbst unglaubwürdig und die Ägypter würden hämisch lachen, wenn er die Sache so enden ließe. Dazu erinnert er Gott an uralte Verträge, dass Gott Abraham versprochen hat, seine Nachkommen wie die Sterne am Himmel zu machen, ihnen das verheißne Land zu geben als Besitz für immer und ewig. Da verraucht Gottes Zorn. Sein Mund verschließt sich. Wo ich Abraham erwähne – er war in einer vergleichbaren Situation wie Mose (1. Mo. 18), als Gott Sodom und Gomorrha vernichten wollte. Er bat für die Städte, feilschte von 50 auf 10 und Gott sagte am Ende: Sollten 10 Gerechte in der Stadt sein, soll sie leben. Warum hatte die Fürbitte Abrahams keinen Erfolg? Abrahams Gebet konnte am Ende die Städte nicht retten, weil er auf Menschen setzte, er hoffte, auf wenigstens 10 gerechte Menschen. Es war eine vergebliche Hoffnung. Moses Fürbitte stützt sich auf Gottes Gottsein: Sei nicht wie ein Mensch, sei Gott! Mose feilscht nicht, versucht nichts zu rechtfertigen, ist auch nicht unterwürfig. Er weist nur auf den wahren Verlauf der Geschichte und auf Gottes verbindliche Zusagen hin. So argumentiert er auf festem Boden und wird zunehmend Herr der Lage. Er ruft: O Herr, unsere beigeisterten Aufbrüche versanden schon bald in den Wüsten des Alltags, und doch sind wir dein Volk. Nicht meine Leute tanzen da um das Gold, sondern deine. Denke doch mal an Abraham und Sara, Isaak oder gar Jacob – waren das etwa tadellose Leute? Tu bitte nichts, was deinem Herzen wider-spricht, o Gott! Mose geht mit Gott ins Gericht, ist ein Spiegel für Gott. Da wirft sich Gott selbst den eignen Zorn vor die Füße und sagt: Okay, du hast recht, das war nicht in Ordnung. Unglaublich. Gott tut Buße, kehrt um: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.“ Gott kehrt um. Ist das nun fast peinlich oder wahre Größe? Wenn Gott groß ist, dann ist auch Umkehr groß, göttlich. Umkehr ist etwas göttliches, großes. Wer groß sein will vor Gott, weiß jetzt wie er`s anstellen muss. Wer aber unter den Menschen kann das schon: wirklich bereuen, vor andern seine Reue bekunden, Krankmachendes und Beziehungsgifte nicht in eine dunkle Ecke der Seele schieben, wo es dann zeitlebens rumort und spukt, ein weites Herz zeigen, eigne Fehler konsequent zugeben, nichts verstecken, weder Zorn, Reue noch Schuld. Gott ist eben nicht – wie wir sehen – über jeden Zweifel erhaben, er kann seine Pläne ändern, er nimmt unser Bitten und Handeln ernst. Wem sollten da nicht die Augen aufgehen, wer sollte sich da nicht wundern über diese herrliche Wahrheit: so wichtig, so wertvoll also bin ich IHM. Gott glaubt an uns. Und er erwartet, dass wir ihm seinen Glauben glauben. Er will unsere Fürbitte. Er will unser Vertrauen. Und er hat es verdient. Amen.

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