Gott spricht: Ich selbst will die Schafe weiden (Oßling)

Gott spricht: Ich selbst will die Schafe weiden (Oßling)

Hes 34, 1-2(3-9)10- 16.31                                                        Misericordias Domini – Oßling, am 30.04.2017

“Das Wort des Herrn geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? …  So spricht Gott der Herr: siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von der Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und allen Plätzen des Landes. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Berge in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden und will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr. Ich will das Verlorne wieder suchen und das Verirrte wieder verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“

Liebe Gemeinde! Hirten sind Menschen, die Verantwortung tragen. Schlechte Hirten sind Menschen, die sich vor Verantwortung drücken. In unserm Predigttext werden Priester und Beamte angesprochen, der König, Unternehmer, maßgebende Leute in Sachen Religion, Wirtschaft und Politik. Zeit: 600 v. Chr.

Sie sitzen in Gefangenschaft, 1000 km weg von der Heimat. Land, Hauptstadt und Tempel sind zerstört, alles in Schutt und Asche. Hesekiel sagt ihnen: Jetzt erntet ihr, was ihr gesät habt. Eure Position habt ihr einzig als ICH-AG verstanden, als Konsum- und Egotrip. Dieser Wühlmaus- und Hamsterlebensstil hat euer Miteinander, eure Gesellschaft systematisch unterhöhlt. Der Ast, an dem ihr gesägt habt, ist gebrochen. Jetzt liegt ihr am Boden, euer Fall ist tief. Als sie Hesekiel fragend anschauen, verdeutlicht er ihnen ihr zerstöreri-sches Tun, ihren raffgierigen Lebensstil am Bild einer gequälten Herde: „Sollten die Hirten nicht die Herde weiden? Aber ihr esst das Fett und kleidet euch in Wolle und schlachtet das Gemästete…das Schwache stärkt ihr nicht, das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorne sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt…“ Wir haben in diesen Worten ein Beispiel, dass Altes hochaktuell sein kann. Vor 2600 Jahren gesprochen und klingt wie für heute geschrieben. Diese Worte öffnen uns den Blick, den Blick auf Hirten. Wir sehen Menschen in Verantwortung. Auf wen sollen wir jetzt konkret schauen? Politiker und Konzerne? Ich würde wettern ohne Ende, die Wirklichkeit beschreiben, aber die Wahrheit verfehlen. Mit mir würdet ihr euch empören, genüss-lich zuhören und am Ende vielleicht sagen: da haben sie wirklich recht, Herr Pfarrer. In der Predigt, dem Gottesdienst, der Gemeinde geht es aber nicht um Recht haben, sondern um viel mehr, tieferes. Schauen wir also nicht auf Hirten in Wirtschaft oder Politik, sondern auf einen andern Punkt: Kirche, Hirten in der Kirche. Da könnte ich vom Leder ziehen, früher und heute. Sie sind so schön weit weg, die anderen. Über andere reden ist wie das Schöpfen aus einem Loch. Man meinte, es sei ein Brunnen, aber im Eimer sind beim Hochziehen nur Sand und Dreck. Über andere reden – da muss man sehr vorsichtig sein. Respekt und Zurückhaltung sind in diesem Fall gute Ratgeber. Wenn es schon heute um Hirten geht, bleiben wir doch einfach hier. Ich bin Hirte. Dieses Wort setzt kein Fragezeichen hinter mein Hirtenamt, sondern fragt, wie ich es ausfülle. Bin ich ein guter Pfarrer? Manchmal wird mir das gesagt, nicht selten wird meine Arbeit wertgeschätzt. Dankbarkeit und Wertschätzung brauche ich und nehme sie gern an, bin darüber froh und gestärkt. Aber da ist unser Predigttext heute. Soll ich mich vor euch hinstellen und sagen: dieses Wort von den Hirten – Hirte heißt ja Pastor – dieses Wort trifft nicht auf mich zu? Ich bin ein guter Pastor, ein guter Hirte? Hört ihr, dass sich die Bezeichnung „guter Pfarrer“, d.h. guter Hirte, schnell in Konkurrenz stellt zu dem Wort Jesu: „Ich bin der gute Hirte.“ (Joh 10,11)? Deshalb, ich bin dankbar, wenn meine Gemeinde positiv über meine Arbeit denkt. Damit ist aber das Wichtigste noch nicht bedacht: Was sagt Gott dazu? Vor meinem Herrn stehe ich anders als vor euch. Vor ihm bin ich ein armer, elender, sündiger Mensch. Arm vor Gott, weil ich nichts vorweisen kann. Elend vor Gott, weil ich den Weg oft nicht weiß. Und sündig vor Gott, weil ich immer dasselbe brauche: Gnade, Gnade, Gnade. Was mein Amt betrifft kann ich nur leise bitten:

Gnade mir Gott. Mein Herr und Heiland hat täglich viel Mühe mit mir. Aber er tut es gern. Täglich wäscht er mich rein von meinen Sünden, täglich verwandelt er mein Tun in Segen, täglich öffnet er mir Türen und Wege. Täglich legt er mir Lasten auf, damit mein Stolz mir keinen Schaden zufügt und keinen anrichtet. Was ich bin, bin ich durch Jesus, mein Amt ist ein Stehen unter dem Kreuz. Ohne Jesus ist alles null und nichtig, alles Gold nur Flitter, alles Feuer nur Stroh. Mit Jesus, meinem guten Hirten, der für mich gelitten und gestritten hat, bin ich in Gnade. Die Frage: was sagt Gott dazu? findet in dem Namen Jesus Ruhe und Gewissheit. Ist der Hirt beim Hirten, hat’s keine Not. Doch, es hat eine Not. Die liegt aber nicht bei Jesus, sondern hier, mitten unter uns. Deshalb muss ich euch etwas fragen: Darf ich euer Hirte sein? Was für eine Frage! Halt, antwortet nicht zu schnell. Sagt nicht leichtfertig: Aber natürlich, Herr Pfarrer… Darf ich euer Hirte sein, auch auf einem Weg, der für euch mühsam, unangenehm ist? Würdet ihr mir folgen, wenn ich von euch etwas ganz Bestimmtes fordern würde? Nur eines erwarte ich als euer Pfarrer, dieses eine, von dem ich weiß: genau das ist dran: ich erwarte – kommt jeden Sonntag in den Gottesdienst. Damit be-schreibe ich die Not meines Hirtenamtes. Sagt mir, wie kann ich also Hirte der Oßlinger Gemeinde sein, wenn sich die Gemeinde – außer einigen Treuen – strikt weigert, zwei von 168 Stunden in der Woche einzubringen? Die Liste der Einwände und Begründungen sind lang. Ich bin ein Mensch, mir kann man sie vortragen, ich muss sie schlucken. Aber wie ist das mit unserem Herrn. Wenn er uns in unserm Stündlein vor sich zitiert, werden wir dann auch sagen: das musst du schon verstehen, Herr der Welt, das ich deinem Ruf nur folgen konnte, wenn ich es mit meinen Terminplan abgesprochen hatte. Es war oft einfach nicht drin, dein Wort zu hören, Vergebung meiner Sünden zu empfangen, im Abendmahl mich zu verbinden mit deinem Leib und Blut. Keine Zeit, deine Kraft und Gnade zu empfangen. Werden wir auch im Jüngsten Gericht stolz unser Haupt erheben und es wagen auszusprechen: Du sollst den Feiertag heiligen ist nicht verbindlich? – Die zehn Gebote wollen unserm Leben dienen. Durch sie erkennen wir, was vor Gott Sünde ist. Wir können um Vergebung bitten und erlangen sie. Wenn ich aber ein Gebot ausklammere, erkenne ich in dem Bereich, wohin das Gebot weist, meine Sünde nicht mehr. Dann liegt sie unvergeben in meinem Leben und richtet täglich neuen Schaden an. Wir hören durch das Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen, Gottes Ruf unter Wort und Sakrament. Wer kommen kann und nicht kommt, dem wird’s zur Sünde. Von den 1.700 Getauften, hineingetauft in die Heilsgemeinschaft, können 1.000 ohne größere Schwierigkeiten kommen. Da ist es doch Augenwischerei zu meinen, der Gottesdienstbesuch sei gut. Nein, an mangelnder Teilnahme wird ein schwerer, tiefgehender geistlicher Schaden deutlich: Gottes Gebot wird für null und nichtig erklärt, ins eigne Ermessen, die eigne Beliebigkeit gestellt. Und nun ein Hirtenwort an meine Gemeinde: wenn jemand da ist, der mit Gott ins Reine kommen will, der soll ernsthaft Buße tun. Ernsthaft meint: an einer Stelle meines Lebens beginne ich ernsthaft. Mein Rat: beginnt nirgendwo anders als beim 3. Gebot. Dort verteidigt sich Stolz und Selbstbehauptung am hartnäckigsten. Zu meinen, ich kann zu Hause glauben, ist eine fromme Lüge. Also: Darf ich euer Hirte sein? Dann erwarte ich, dass meine Gemeinde den Feiertag heiligt. Gottes Wort und Sakrament sind die Ausrüstung der Hirten, nicht nur meine, auch die der Christen, eure. Wie kann aber Gott Hirten gebrauchen, die nur kraft ihrer eignen Wassersuppe gute Vorsätze verwirklichen wollen? Wir sind gesandt, Verantwortung zu übernehmen und uns nicht davor zu drücken, in unsrer Familie. Wie sollen aber unsre Kinder lernen ohne Vorbilder? Woher sollen sie wissen, dass ihr Leben eine Bestimmung, Wert, Ziel und Sinn hat ohne Predigt und Gottesdienst, ohne Besinnung auf Gott? Ohne Besinnung keine Bestimmung. Wo sollen sie Werte lernen, wenn Gottes Werte für uns beliebig sind? Woher soll uns denn Kraft zuströmen, standzuhalten in unsrer Spaßgesellschaft? Wir haben die Aufgabe, der Spaßfrage die Sinnfrage entgegenzuhalten. Bist du innerlich dazu gerüstet? Unser Land wird von einer Flut bedroht, der Flut von Gottlosigkeit und Sinnlosigkeit. Unser Volk hat die Lebensmitte mit Lebensmitteln verwechselt. Da müssen Christen, besser Gemeinden, zusammenstehen, in den Riss treten, Verantwortung tragen. Es ist besser Dämme zu bauen, als zu hoffen, dass die Flut Vernunft annimmt. Das Wort Gottes ist so ein Damm. Es ist die Hoffnung. Die sollst du auf dein Herz nehmen und tragen. So wird aus einem Bedenkenträger ein Hoffnungsträger. Das Wort Gottes wird dir Mut machen, Mutmacher zu sein. Wenn wir von Herzen Gott unsern Gott sein lassen, sein Wort nicht verbiegen, sondern ihm schlicht folgen, wenn er unser Hirte sein darf und wir das Volk seiner Herde, dann werden wir selbst die Erfüllung dieser Verheißung an uns und unsern Kindern erleben: „Gott spricht: Ich selbst will die Schafe weiden…Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte zurückbringen, das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und was fett und stark ist behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott, der Herr.“ Amen