Gottesdienst mit den Konfirmanden

Gottesdienst mit den Konfirmanden

1Mo 32, 23-32              Misericordias Domini/Vorstellung der Konfirmanden – Großgrabe, am 05.05.2019

„Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, so dass hinüberkam, was er hatte, und blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuel; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. Und als er an Pnuel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.“

Liebe Gemeinde! Jetzt ist er ganz allein. Er sitzt am Ufer des kleinen Flusses, 20m breit, ziemlich tief. Noch steht die Sonne eine Handbreit über den Hügeln. Jakob am Jabbok. Der Name des Flusses zu seinen Füßen, den er noch zu überwinden hat, bedeutet „Er spaltet“. Ein Grenzfluss. Jakob steht vor der Überwindung einer tiefen Spaltung. Muss die Grenze überschreiten: Vom Land der Entzweiung hinüber in den Garten der Versöhnung. Frieden machen mit der Vergangenheit – dieser Kampf steht ihm noch bevor. Während die Sonne in den Sträuchern schimmert, stellen sich ihm Gedanken wie Krieger in den Weg: Warum war mein Bruder mir immer Konkurrent und Gegner? Siedend heiß wird ihm: Der Vater hat Esau bevorzugt und geliebt, mich nicht. Gut, ich war Mutters Liebling. Aber warum nicht Vaters? Vater sollte stolz auf mich sein und wars nicht. Am Anfang des Bruderkonfliktes steht Liebe. Dazu lesen wir: „Und Isaak liebte den Esau. Rebekka liebte den Jakob.“ (1Mo 25,28) Es ist nicht Hass, sondern Liebe, die hier alles durcheinanderbringt. Als Vorboten der Nacht überfallen ihn jetzt die Schatten seiner Vergangenheit. O ja, er hat für ein Linsengericht den Älteren um sein Erbrecht gebracht. Er legt die Hände vors Gesicht. Und dem blinden Vater hat er mit Esaus Kleidern und deren Tiergeruch vorgegaukelt, er sei sein Lieblingssohn. Da hat ihm der Vater die Hände aufgelegt, und den vollen Segen und den Hauptteil des Erbes zugesprochen. Der betrogene Esau hat ihm geschworen: Du bist ein toter Mann. Da trieb ihn die Angst in die Flucht wie ein Sturm die Blätter. Vor 20 Jahren war das. Aber die Angst ging mit, spukte in seinem Herzen und verwüstete die schönsten Räume seiner Seele. Die Angst. Wie dunkler Rauch stieg sie gestern auf, als ein Hirte ihm berichtete: Dein Bruder Esau zieht die bereits mit 400 Schwerbewaffneten entgegen. Jakob überlegt hastig. Seine Klugheit hatte ihn schon immer zu Listen und Ränke schmieden verführt. Für ihn ist klar: Das Wertvollste ist meine Familie, alles andere ist ersetzbar. So schickt er seine Frauen und Kinder weit weg. Lauft. Seinen Reichtum aber wirft er Esau entgegen. Und trickreich plant er: Sollte mein Gegner, mein Bruder mich berauben wollen, bekommt er doch alles. Er ist in der Übermacht. Also biete ich ihm mein Hab und Gut, die Herden als Geschenk an. Vielleicht stillt das seinen Rachdurst. Denn ein Familientreffen wird es nicht werden. Er teilt Hirten und Herden in fünf Gruppen und schickt sie im Stundentakt seinem Bruder entgegen. Wenn ihr Esau trefft sagt: „Dies sendet Jakob, dein Knecht, als Geschenk, Esau, seinem Herrn.“ (1Mo 32, 188-22)  Im Orient zählst du bis dreißig, dann hat das Dunkel das Licht verschluckt. Jetzt dürfen die Sterne leuchten. Orion, das Siebengestirn heißt jüdisch: „Jakobs Stab“ Dunkel und geheimnisvoll ist die Nacht des Morgenlandes. So wie das Dunkel und Geheimnis eines angefochtenen Menschen. Das fließende Wasser vor ihm murmelt alte Träume und Geschichten. Die Wärme des Tages steigt aus dem Boden. Ein Flüstern und Wispern erfüllt die Stille. Jetzt hört er sie. Feste Schritte. Kein Anschleichen. Jakob springt auf. Wolken verhängen „Jakobs Stab“. Die Dunkelheit ist jetzt Finsternis. Da packt ihn einer. Und er packt diesen einen. – Wisst ihr, was jetzt geschieht? Wir lesen nicht, was hier steht, sondern was wir glauben und somit lesen wollen. Hier steht: „Als nun Jakob allein zurück blieb, da rang ein Mann mit ihm, bis zum Anfang der Morgenröte.“ Diese Szene ist oft gemalt worden – und immer gegen den Text – ob Rembrandt, Chagall, Gauguin – um nur einige zu nennen. Immer ist es ein Engel und immer gilt: Der Engel bleibt Sieger. Der Text ist anders. Ein Mann, kein Engel. Wer aber ist der Mann? Man merkt es beim Lesen. Schon vor 2.500 Jahren hatte es der Schreiber schwer, das Unglaublich zu erzählen: Der Schöpfer ringt als Mann mit einem Menschen. Es kommt noch schwerer: „Und da er sah, dass er nichts gegen ihn vermochte, da schlug er an seine Hüftpfanne und es verrenkte sich die Hüftpfanne Jakobs, indem er mit ihm rang.“Unser Wort sagt: ein Mann ist es, der einsieht, dass er Jakob nicht besiegen kann. Jakob ist in dieser Nacht der Stärkere. Der Fremde weiß das und greift zu unerlaubten Mitteln, handelt unfair. Jakob hat den Fremden aufs Kreuz gelegt, und dieser kommt nur hoch durch einen Hieb unter die Gürtellinie. Jakob ist jetzt der Verletzte, nicht der Mann, von dem wir immer noch nichts wissen. Jakob hält ihn trotz der Schmerzen umklammert und hört den gekeuchten Satz: „Lass mich los, den die Frühe bricht an.“ Jakob darauf: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“Der Unbekannte bittet Jakob ihn loszulassen. Damit erkennt er Jakob als Sieger dieses Kampfes an. Jakob stellt ihm für seine Freiheit eine Bedingung: Du musst mich segnen! Segen ist eine Kraft von Gott, das Leben zu ertragen und auszuhalten. Aber Segen von diesem Unbekannten? Der Fremde fragt Jakob nach seinem Namen, den er selbstredend schon kennt. Die Namensfrage und Namensgebung zeigen, dass es Jakob ist, der seinen wahren Namen, seine wahre Identität, seine wahre Bestimmung noch nicht kennt, gar nicht kennen kann: „Und er sprach zu ihm: Wie ist dein Name? Und er sprach: Jakob. Und er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel: Denn du hast mit Gott und Menschen gerungen und hast gewonnen.“Halten wir das Unglaubliche fest: Gott überfällt Jakob. Gott kann Jakob im Kampf nicht besiegen. Gott agiert unfair. Gott wird von Jakob besiegt. Jakob will von eben diesem unterlegenen Gott gesegnet werden. Im alten Orient war es Brauch, dass der Stärkere, der Sieger dem Besiegten einen neuen Namen gab. Namensänderung ist Machtausübung. Bis heute nehmen wir uns unsere Namen nicht, sondern erhalten sie. Wer anderen einen Namen gibt hat Macht, Vollmacht, Verantwortung. Hier gibt rätselhafterweise der Besiegte dem Sieger einen neuen Namen, und nicht irgendeinen, sondern diesen: Israel – das bedeutet: Gott herrscht, Gott ist Sieger. Gott ist Sieger steht im krassen Widerspruch zu dieser Geschichte – oder erklärt sie. Es liegt jetzt an uns, ob wir nur glauben, was wir uns vorstellen oder denken können, oder: gehen wir das Wagnis ein zu glauben, was der Text sagt: Der Besiegte ist der Sieger. Gott siegt, indem er unterliegt. Dies ist die Machtweise Gottes zu herrschen. – Wie viel Wahrheit über Gott hält der Mensch aus? Hier wird uns zugemutet: Gott ist schwächer als Jakob, Gott ist schwächer als ein Mensch. Wer sich jetzt die Frage stellt: Wieso kann Gott Jakob nicht besiegen? – muss mit der Frage beginnen: Wieso kann Gott die Menschen, ihr Herz, nicht für sich gewinnen? Und weiter: Ringt Gott auch mit mir, um mich zu gewinnen? Gott will nicht den Sieg, sondern das Leben. Könnte das nicht für unser Miteinander ein Fingerzeig sein, etwa: Erst, wenn ihr aufhört zu siegen, werdet ihr leben, erleben, was überleben heißt. Denn: um nicht zu siegen, bedarf es größter Kraft. Das lese ich hier. Jetzt fragt Jakob, noch mitten in der Finsternis: „Sag doch, wie du heißt!“Jakob will kein Wort als Name hören, sondern einen Lebensbericht. Wörtlich steht hier: Erzähl mir doch von deinem Namen. Wer bist du? Woher? Was hast vor? Es ist, als würde Jakob die Sehnsucht des Menschen ausrufen: Wenn es dich gibt, Gott, offenbare dich, lass es uns wissen, wie du zu uns stehst, was du mit uns vorhast. Erzähl mir von deinem Namen. Wie prophetisch. So wird’s kommen. Gott wird den Menschen seine Geschichte erzählen, sein Herz ausschütten, sein ein und alles geben. Und ein ferner Tag wird kommen, wo er – an einem Tag – durch eine katastrophale Niederlage die Welt gewinnen wird. Noch aber ist alles verborgen. Erzähl mir doch von deinem Namen. Auf diese Bitte hin scheint sich Gott selbst zu fragen: Warum sollte ich? So jedenfalls klingt die Antwort: „Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn dort.“ Nacht und Nebel lichten sich. Jakob hat diese Nacht überlebt. Nicht zu vergessen: als Sieger. Er steht an den Wassern des Grenzflusses und watet hindurch. Und das Wasser schwemmt seine Angst in die Tiefen des Meeres. Als er vor 20 Jahren floh heißt es: „Da ging ihm die Sonne unter.“Und nun hier: „Da ging ihm die Sonne auf.“Soll das bedeuten, dass er zum Frieden finden wird, also zum Ende seiner Flucht?„Da ging ihm die Sonne auf und er hinkte auf einer Hüfte.“ Verletzt, gezeichnet. Aus der Begegnung mit Gott geht der Mensch gezeichnet hervor. Doch wen Gott schlägt, den rettet er so. Als die Sonne im Zenit steht, begegnen sich die Brüder. Esau sieht vor sich keinen feinen Herrn, stolz und hoch zu Ross. Er erblickt einen gebeugten, hinkenden Mann, gezeichnet vom Leben und von Gott. Da schmilzt sein Herz. Er läuft Jakob entgegen und umarmt ihn. Sie weinen beide. – Begegnung mit Gott führt in die Versöhnung mit Menschen. Amen.