Hananias und Saulus

Hananias und Saulus

Apg 9, 1-9(10-20)                                          12. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe/Oßling, am 14.08.2016

„Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er die Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß und trank nicht. Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias!  Und er sprach: Hier bin ich, Herr. Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde. Hananias aber antwortete: Herr, ich habe viel gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen. Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auswähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor mein Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen. Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte  die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf und ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.“

Liebe Gemeinde! Zwei Begegnungen hat Saulus. Erst mit Jesus auf der Straße nach Damaskus, dann mit  Hananias in Damaskus. Nach seiner dramatischen Jesus-Erfahrung auf der Straße steckt Paulus fest. Er ist blind und unfähig zu erkennen, wie die nächsten Schritte in seinem Leben aussehen könnten. Neues Leben beginnt mit Hilflosigkeit. Er ist völlig auf Hilfe angewiesen. Und seine Begleiter müssen ihn nach Damaskus führen. In der Stadt angekommen sitzt Paulus da und wartet drei Tage. Er ist blind, weiß nicht, was als nächstes geschehen wird. Die Begegnung mit Jesus hat ihm weder Klarheit noch Ziel und Richtung gebracht. Das eröffnet ihm Jesus erst durch den Dienst des Hananias. Der legt ihm die Hände auf und Saulus wird erfüllt mit dem Heiligen Geist. Erst dann kann der Apostel den Dienst, zu dem Jesus ihn berufen hat, erkennen. Die Geschichte beginnt damit, dass Saulus „noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn schnaubt.“ (V.1) eine verstörende, schockierende Aussage! Umso mehr, als das Wort „noch“ (gr. eti) erkennen lässt, dass Saulus fortwährend an den Anhängern von Jesus so handelt. Die Apostelgeschichte erzählt von einem tollwütigen Saulus mit seinem gewalttätigen, religiösen Eifer. Er bringt Christen ins Gefängnis oder tötet sie, wo er sie findet. (vgl. Apg7, 58-8,1; 8,3; 22,4; 26, 10-11). Später gesteht er ein: „Ich wütete maßlos gegen sie, verfolgte sie auch bis in fremde Städte.“ (Apg 26,11) Er übt richtiggehend Terror gegen die junge Kirche. Die Gewalt gegen seine Gegner war zu seinem Lebensatem geworden: „er schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn.“ Saulus verkörpert das, was wir den „Mythos der erlösenden Gewalt“ nennen. Im Kontext dieses Mythos besteht der angemessne Umgang mit den Feinden in deren Vernichtung. Damit wieder „Ordnung wird“. Gewalt wird zur ultimativen Lösung für menschliche und politische Konflikte: Friede gibt es nur aufgrund von Krieg; Sicherheit nur aufgrund von Stärke. Aus Sicht des Saulus hat diese Jesussekte Chaos im Bereich der Religion und somit des Lebens angerichtet. Durch Gewalt versucht er die Ordnung wieder herzustellen. Wer glaubt, durch Gewalt Ordnung und Frieden zu schaffen, wird ein Gefangener dieses Mythos, wie Saulus. Er ist nicht mehr in der Lage, Alternativen zur Gewalt zu erkennen. In dieser Hinsicht ähnelt er den gegenwärtigen religiösen Terroristen. Und er spiegelt die Staaten, die den Terrorismus bekämpfen wollen. Der „Mythos der erlösenden Gewalt“ treibt sie alle an. Der Kreislauf der Gewalt scheint unendlich: Saulus „schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn.“ Jesus aber unterbricht die Mission der Gewalt. Ein Licht, vom Himmel (wie bildhaft) erscheint über Saulus und er hört: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Als er fragt: „Wer bist du, Herr?“ hört er die Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Zwei Aspekte sind bemerkenswert: Saulus hört eine Stimme, aber sieht niemanden. Zu Saulus wird gesprochen. Es ist das Wort, das Saulus anredet und verändert. Bald wird er selbst Träger des Wortes werden. Zum anderen spricht hier das Opfer der Gewalt zu Saulus, dem Gewalttäter. Er wird von dem angeredet, den er verfolgt hat. Seine Gewalt gegen die Jünger des Herrn war faktisch auch Gewalt gegen den Herrn selbst. Nun hört Saulus die Stimme des Opfers. Er hört die Stimme Jesu, der sich mit den Opfern der Gewalt identifiziert. Nun muss Saulus auf diese Stimme hören. Er muss damit rechnen, selbst zum Opfer zu werden, die Konsequenzen seines gewaltsamen Handelns zu tragen. Da ist er hilflos. Drei Tage, in Anspielung auf die Zeit Jesu im Grab, ist er blind, isst und trinkt nichts. Saulus erfährt eine Art Tod und wartet auf seine „Auferstehung“. Diese geschieht durch die Ankunft des Hananias. Auch ihm ist der Herr erschienen. Hananias ist einer der Verfolgten. Der Auftrag des Herrn   erscheint ihm riskant, gefährlich, ja radikal. Er soll seinen Feind segnen. Den, der die Gemeinde terrorisiert hat. Es ist so, als würde Jesus einen Verwandten des Opfers eines Terroranschlags auffordern, den Terroristen zu segnen, der den Anschlag verübt hat. Der verunsicherte Hananias hört: „Geh nur hin, denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und Könige und vor mein Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.“ Hier wird der Auftrag des Saulus enthüllt. Der Verfolger wird zum Nachfolger. Zu Juden und Nichtjuden wird er gesendet. Vorher für ihn undenkbar, dass auch die unreinen Heiden in Gottes Bund kommen sollen. Vom Mythos der erlösenden Gewalt zum Dienst der Versöhnung. Dazu kommt:  der Träger des Wortes Gottes wird leiden für den Namen des Herrn. Saulus muss die Rollen und Orte vertauschen. Anstatt der Verfolger zu sein, wird er auf der Seite der Verfolgten stehen. Er wird das Leiden erfahren, das er selbst über andere gebracht hat. Er kann den Auftrag jedoch erst beginnen, als Hananias zu ihm kommt, ihm den Sinn seiner Mission eröffnet. Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis des Glaubens, dass Hananias tatsächlich kommt. Zu dem, der seine Gemeinde verfolgt hat. Er nennt ihn, den früheren Feind, „lieber Bruder Saul“ und ordiniert ihn. In der Handauflegung empfängt Saulus Gottes Geist. Wie Schuppen fällt es ihm von den Augen. Jetzt kann er seinen neuen Auftrag erkennen. Seine Aufnahme in den Bund Jesu und das Essen erinnern an die Säulen der Zugehörigkeit zu Christus: Taufe und Abendmahl. Drei Aspekte fallen bei seiner Ordination, die Verleihung des Amtes, auf: Zuerst muss er warten. Ein Dienst hängt also nicht von einer besonderen, religiösen Erfahrung ab, sondern von der Gemeinde, der Kirche. Ein anderer spricht die Beauftragung aus. Er muss Demut lernen, auf Hananias warten, muss knieen, die Handauflegung geschehen lassen. Der Dienst des Paulus beginnt nicht mit seinem Handeln, sondern mit Empfangen. Mit dem Warten, mit Demut und  Bedürftigkeit. Er wird, auch das muss er geschehen lassen, nicht von einem Freund, sondern von einem Fremden, wichtiger noch, von seinem Feind ordiniert. Von einem Glied jener Gemeinde, die er verfolgte. Er nimmt seinen Platz ein unter denen, die er terrorisierte. Er beginnt den Namen dessen zu verkündigen, den er hatte vernichten wollen. Schließlich bedeutet die Ordination des Saulus durch die Hand seines Feindes einen außerordentlichen Moment der Versöhnung. Es wundert nicht, dass er später über das „Amt der Versöhnung“ (2. Kor 5,8) schreibt. Saulus und Hananias geben ein aufregendes Zeugnis für die Kraft des lebendigen Christus, Mauern niederzureißen, die uns trennen. Schubladen, in die wir Menschen oft stecken, zu zertrümmern. Beide erinnern uns an das Amt der Versöhnung. Saulus trägt jetzt das Wort von der Versöhnung, wird zum Worthalter. Verkündigung statt Verfolgung, Predigt statt Steinigung, Stimme statt Gewalt, Wort statt Krieg. –

Keiner kann Christus nachfolgen, wenn er weiterhin die Waffen dieser Welt verwendet. Mitten in einer Welt voller Gewalt ist es unsere Aufgabe, das Wort zu halten. Amen.

 

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