Im Sterben das Leben

Im Sterben das Leben

Joh 12, 20-26                                                          Lätare – Großgrabe/Oßling, am 14.03.2021

„Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaisda aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen´s  Jesus  weiter. Jesus aber antwortete und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird´s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird´s erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“

Liebe Gemeinde! Die Inflation der frommen Worte nennen wir „billigen Trost“. Wie leicht geht es uns über die Lippen: wir sind in Gottes Hand. Mich tröstet dieser Satz – „Ich bin in Gottes Hand“ – heute nicht. Er beunruhigt mich. Das hat unser Predigtwort vom Weizenkorn bewirkt. Da wird uns vor Augen gestellt, was mit denen geschieht, die in Gottes Hand sind: Sie erfahren Gnade, aber die raue Gnade. Was ist denn raue Gnade? Das will ich sagen. Gott tut, was er für gut und richtig hält, da ist er nicht zimperlich. Sein Tun ist Gnade, aber diese Gnade ist rücksichtslos. Wem dieser Gedanke ungewohnt ist, der schaue mit mir jetzt auf den Weg Jesu. Jesus, der Sohn Gottes, war ganz sicher in Gottes Hand, hat ohne Zweifel Gottes Gnade erfahren. Aber wie sahen denn diese Gnadenwege aus? Auf seinen Sohn nahm der Vater keine Rücksicht, warf ihn in diese Welt, wie ein Bauer sein Saatgut in den Acker: wir sehen ein kleines armes Kind in der Krippe, einen Viehstall und Eltern, die mit Ach und Krach diese jämmerliche Bleibe gefunden haben. Bald auf der Flucht, als Mann der Versuchung des Ruhmes und der Macht ausgesetzt, schließlich den Tod eines Verbrechers am Kreuz sterbend. Davon redet Jesus mit dem Wort: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Durch Jesu stellvertretendes Sterben für die Menschen steht uns der Himmel offen. Jesus hat unzählige Menschen für Gott, für das ewige Leben gewonnen. Das ist die reiche Frucht seines Sterbens, er hat uns so mit seinem Leben freigekauft von der Verdammnis. Jesus möchte uns bei sich haben. Deshalb fordert er uns auf, in seinen Fußspuren seinen Weg zu gehen, wenn er sagt: „Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.“ Geht es uns auf Jesu Wegen ebenso wie Jesus?? Auch wir sind in Gottes Hand, wie Saatgut. Damit Gottes Gnade den Weg erst zu uns, und von uns zu den andern findet, nimmt Gott keine Rücksicht auf unsere Befindlichkeiten. Der Bauer hört ja auch nicht auf das Jammern der Körner, die nicht in die Erde wollen. Er gräbt sie auch nicht aus, wenn sie in der Dunkelheit des Ackers um Hilfe flehen. Er weiß, was er tut. Gott tut, was er will. Wir wissen: Wasser und Wärme bringen dem Korn dann den Tod. Genauer: die Verwandlung. Es stirbt, weil es keimt. Im Herbst gesät, stoßen sie bald sanft und kraftvoll ans Licht, ein Büschel grüner Halme. Frost und Schnee stoppen das Wachstum. So soll es sein. Kein Wachstum, sondern Ruhe. Das Frühjahr bringt Regen, Wärme und Wind – die Halme sprießen und bilden Ähren aus. Aber die schöne Zeit ist bald vorbei. Der Schnitter kommt, das Korn versteht die Welt nicht mehr. Wieder wird es eng, diesmal in der Mühle. Im Mehl werden alle eins, durch Arbeit, Wasser und Hitze zu Brot. Duftend liegt es auf dem Tisch. Die Familie versammelt sich zum Essen, bildet so eine Gemeinschaft. Woher soll das Korn, hineingeworfen in die dunkle Erde, um das Ziel wissen? Woher wir Menschen von unsrer Bestimmung? Wie diesen Weg finden, wenn wir nicht gnädig getragen, geleitet, geschubst und verwandelt werden? Jesus meint: Ohne Gottes Gnade leben, eben allein bestimmen wollen – dieser Lebensentwurf gleicht dem Korn, das nicht in die Krume will. Es bleibt auf der Tenne liegen, vertrocknet, und der Bauer fegt es mit der Spreu aus. Sehr ernst fragt uns dieses Wort heute: Gibst du dich in Gottes Hand? Willst du die Gnade empfangen, die das Weizenkorn empfängt, eben Saatgut sein? Der Bauer nimmt´s in seine Hände und wirft´s auf den Acker, als würde er es wegwerfen. Das mich Gott auf diese Weise verwirft, in die Welt sendet, ist seine Gnade. Ich soll mehr werden. Deshalb nimmt er mich noch nicht in seine Herrlichkeit, sondern schickt mich – es ist meine Schickung – als Mensch zu den Menschen. Wäre mit dem Bild vom Weizenkorn alles gesagt, hätte es Jesus dabei bewenden lassen. Aber ich bin kein Saatgut. Während beim Korn allein Naturgesetze wirken, trifft das auf uns Menschen nur bedingt zu. Tiere und Pflanzen tragen keine Verantwortung, im Gegensatz zu uns. Deshalb verlässt Jesus die Bildrede und spricht von der Verantwortung und Entscheidung, und zwar so: Entweder der Mensch setzt das an erste Stelle, was er denkt und will – damit würde er die Gnade verspielen: „Wer sein Leben lieb hat, der wird´s verlieren.“ Oder der Mensch vertraut sich Gottes Gnade an und erhält so ewiges Leben. Jesus betont das Radikale dieses Vorgangs mit dem Wort „hassen“: „Wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird´s erhalten zum ewigen Leben.“ Wer jetzt dieses Wort nur oberflächlich hört, könnte meinen: Jesus sieht die Menschen in zwei Gruppen: die einen lieben nur sich, und gehen verloren. Die anderen überlassen ihr Leben Gottes Willen und kommen ins ewige Leben. Diese Sicht macht sich an dem Wort „Entscheidung“ fest. Aber Jesus fordert hier, an dieser Stelle nicht zur Entscheidung auf. Er spricht von einem Prozess, einem Weg, und meint: Die Sache mit Gottes Gnade und seinen Menschenkindern wächst, wie bei einem Weizenkorn. Damit beschreibt Jesus das Tun und die Verantwortung Gottes. Es hängt vom Bauern, Boden, von Sonne, Wind und Regen ab, wie die Ernte wird – nicht vom Weizenkorn. Eine wahrhaft entlastende Umschreibung der aktiven Gnade Gottes. Die Verantwortung des Menschen dagegen bezeichnet Jesus mit dem Wort „Nachfolge“. Die Sache mit Gott und uns ist ein Weg, der beschritten und gegangen werden will: „Wer mir dienen will“, sagt Jesus, „der folge mir nach.“ – Jetzt schaue ich in meinen inneren Spiegel: Ich sehe bei mir einen brennenden Glauben und eine Sehnsucht nach Hingabe. Ich warte. Jetzt erkenne ich Lauheit, Schwachheit. Manchmal schaue ich länger. Dann entdecke ich Eigenwillen, Widerstand gegen meinen Herrn, manchmal offen, meist versteckt. Ich weiß, was Gott will, aber tun? Manchmal fehlt sogar die Reue. Ich habe nicht alle Erkenntnis, aber blind bin ich nicht. Was sehe ich, wenn ich auf das Leben meiner Mitchristen schaue? Brennenden Glauben, Hingabe und Liebe – Lauheit und Schwachheit und Widerstand gegen Gottes Willen. Und werfen wir ein paar Blicke auf unser altes Mütterlein, unsere Kirche und ihre Geschichte, sehen wir so viel Liebe und Glauben und zugleich so viel Widerstand gegen Christus. Gehöre ich nun zu denen, die ihr Leben verlieren? Oder zu denen, die ihr Leben auf dieser Welt hassen und es dadurch erhalten zum ewigen Leben? Der Blick auf mich wird mir niemals Antwort, Frieden bringen, sondern nur Unsicherheit und bange Ungewissheit. Allein das Schauen auf Gottes Gnade schenkt Klarheit: Gottes Gnade hatte so viel Arbeit mit mir, wie der Bauer und die Natur mit dem Korn. Gottes Gnade umgibt mich, wie die Erde das Korn umgibt. Gnade benetzt mich wie Frühregen, die Sonne weckt mich im Frühling, die Kraft seiner Gnadenerde – sein heiliges Wort – strömt durch meine Wurzel. Ja, seine Gnade ist die Hand des Schnitters, des Müllers und des Bäckers. Seine Gnade sind die Mühlen und Backöfen des Lebens. Seine Gnade nimmt keine Rücksicht auf meine Guttaten oder Glaubensgröße, Lauheit oder diese, meine Widerstände. Die Kraft seiner Gnade ist tausendmal größer als die Kraft meines Eigensinns. Deshalb heißt dieser Sonntag: Lätare – Freuet euch! Ja, Gott sei Dank für seine wegwerfende, rücksichtslos-rettende Gnade. Amen.

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