In der Welt habt ihr Angst (Oßling)

In der Welt habt ihr Angst (Oßling)

 Johannes 16,33                                  Rogate – 5. Sonntag nach Ostern – Oßling, am 26.05.2019

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Liebe Gemeinde! Heute predige ich für jemand, der nicht unter uns weilt. Zugleich hoffe ich, dass jeder etwas für sich bekommt. Es ist ein Wort für meine Mutter. Ich beginne also meine Predigt mit: Meine geliebte Mutti! In mir ist ein tiefes Staunen, ein großer Respekt vor deinem Lebensalter, Achtung vor deinem Leben. Jahrgang 1932. In Gedanken habe ich dich schon oft gefragt: Wie hast du das nur geschafft? Die Antwort ist ein Buch mit vielen Seiten. Ich blättere ein wenig hin und her und schaue in eine andere Zeit: Deine Eltern trauern über den Verlust der schlesischen Heimat und waren zugleich überglücklich, dass die Familie am Leben war. Vater teilte morgens jedem seine tägliche Brotration zu. Um zu bestehen, musstet ihr mit allem sehr achtsam umgehen. Dann standest du, liebe Mutti, als hübsches Mädchen mit nach hinten gebundenen Haaren, mit den andern Konfirmanden am Altar, und hörtest die Stimme des Pfarrers: Dein Konfirmationsspruch, liebe Eva, steht im Johannesevangelium, wo Jesus spricht: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Mutter und Vater, deine Schwester Gitti und viele andere in den Kirchenbänken mögen still genickt haben: Ach ja, in unsrer Welt ist für Angst Grund genug … der eine dachte an den Krieg, die Bomber und die Flucht, ein andrer an die Ruinen überall. Und dass er jeden Tag mit Sorgen aufwacht, ein andrer an die Zukunft, ob es vielleicht mal eine Zeit ohne Lebensmittelmarken geben wird, und genügend Kohlen, wo man eine gute Arbeit hat, der Krieg vergessen ist … Ob wir heute auch so still und verstehend nicken und sagen: Recht hat Jesus da, mit seinem „In der Welt habt ihr Angst“. Ja, wir haben vieles nicht im Griff und damit eben auch nicht sicher. Wir sind Teil einer Menschenfamilie, die niemand steuern kann. Und unsre eigne Familie? Wir essen und trinken von einer Natur, die sich beginnt zu verweigern. Die Lebensgeschwindigkeit ist hoch. Menschen bleiben auf der Strecke. Viele sind außer Atem. Andere rufen: Schneller! Wir leben auf wackligen Fundamenten. Deshalb hat die Angst ihren festen Platz in unserm Miteinander. Ist doch klar, dass man sich Sorgen um seine Kinder macht. Was hattest du, liebe Mutti, für ein großes Sorgenpaket. Elf Kinder hast du in diese Welt, ins Leben hinein getragen. Anfangs gab es keine Waschmachine, sondern nur ein Waschbrett und Kernseife. Jeden Tag hast du uns Essen gekocht. Bist früh vor der Sonne aus dem Bett und nachts warst du die Letzte. Der große Gemüsegarten, die Kartoffeln, die Erdbeeren, die vielen Obstbäume. Marmelade und Saft für den Winter. Die Kaninchen im Stall. Aufgepasst hast du, dass wir etwas lernen, in der Schule und Klavier und Flöte und Posaune. Jeden Sonntag  gab´s frische Sachen und was Süßes. Dann ging´s in den Gottesdienst. Und am Abend hast du uns gesegnet und die Hände auf den Kopf gelegt. Was haben wir uns gestritten, sieben Jungs, dazwischen vier Mädchen. Nur die Stube war im Winter warm, und die Küche durch den Herd. Und wenn wir krank waren. Und die Schule mit ihren Hausaufgaben. Und Ordnung, alles sauber halten. „Schmeißt doch eure Ranzen nicht so in die Ecke. Lauft nicht mit euren Dreckschuhen durch die Wohnung. Warum kommen denn die andern nicht zum Abendbrot? Vergesst nicht Zähne zu putzen.“ Naja, und Geld war nicht viel, aber viel Sorge … Gegen die Angst und Sorge spricht uns Jesus zwei schlichte Worte zu: „Seid getrost!“ Zwei Worte bloß, doch sie haben eine Tiefenwirkung: Sie argumentieren nicht, sie beschwören oder versprechen auch nichts. Sie sind gesagt von einem, der es ernst meint und uns nahe ist: „Seid getrost!“  Diese Worte fühlen sich an wie ein warmherziger Blick, eine Hand, die meine hält. Die Begründung ist aber doch etwas überraschend. Jesus sagt: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Es klingt rätselhaft, irgendwie glaubwürdig. Weil er uns nicht das Blaue vom Himmel verspricht, etwa: die Lösung all unsrer Probleme, Mittelchen gegen alle Schmerzen, Patentrezepte für oder gegen alles. Es ist auch ein Wort von Stärke: „…die Welt überwunden.“  Da ahnt man Kampf und Sieg, eine schwere Arbeit, einen langen Weg. „Welt“, da sehen wir vor uns unsre kleine und große Welt. Und wir sehen, gerade weil wir Menschen Angst kennen und haben, dass die Welt nicht der Himmel ist. „…ich habe die Welt überwunden.“ Überwindung der Welt ist ja nicht Vernichtung, Zerstörung – eher das Gegenteil. Bei Überwindung denken wir etwa an eine Brücke. Und so meint er es auch. Jesus hat die Trennung von Menschenwelt und Himmelreich überwunden. Das ist sein Kampf und Sieg. Gott hat sich in Jesus Zugang zu den Menschen verschafft. Und in Jesus hat nun jeder Mensch Zugang zum Himmel, zu Gott. Jesus ist dabei ein Medium, durchaus im modernen Sinne, wie heute etwa Internet und Fernsehen. Ein Medium bringt etwas zu uns, was wir nicht direkt miterleben können, z.B. Nachrichten aus aller Welt. So ist Jesus ein Medium zwischen Gott und Mensch. Die Trennung vom Himmel, von unserm Schöpfer – wir nennen es die Sünde und ihre Folgen – diese Trennung ist da. Die Angst zeigt das nur zu deutlich. Über diesen Graben und Abgrund kommt keiner aus eigner Kraft. Diesen Brückenschlag hat Jesus vollzogen, vom Himmel her. Er, Gottes Sohn, opferte sein heiliges Leben, zur Bezahlung der Sünde. Sohat er alles überwunden, was den Menschen hindern würde das Paradies zu betreten. Deshalb, liebe Mutti, spricht dein Konfirmationsspruch vom innersten Geheimnis unsres Glaubens: Von der unverbrüchlichen Treue und Hingabe Jesu für uns bis zum Tod am Kreuz. Geheimnis des Glaubens gegen die Angst… Anfangs, liebe Mutti, stellte ich diese Frage: Wie hast du das alles nur geschafft? Die Tür zu einer Antwort öffnete sich mir, als ich las, was vor deinem Konfirmationsspruch steht: „Wenn ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird er es euch geben.“ Gebet. Du betest. Das Gebet und dein Weg. Noch heute betest du für uns und für viele. Dafür danke ich dir. Ich weiß in meinem Herzen, dass du für deinen langen, schönen, schweren, fröhlichen, arbeitsreichen Weg den Atem, die Kraft von unserm himmlischen Vater bekommen hast. Wohl nicht im Voraus, aber wenn es Not tat. Bis heute und für immer. Auch in dieser Stunde sagt dir das Jesus Christus, dein Herr und Heiland zu: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“Amen.