Jahresabschlussgottesdienst (Oßling)

Jahresabschlussgottesdienst (Oßling)

Jes 30, (8-14)15-17                                                               Silvester/Altjahresabend – Oßling, am 31.12.2016

So geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe als Zeuge für immer und ewig. Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Kinder, die nicht hören wollen die Weisung des Herrn, sondern sagen zu den Sehern: „Ihr sollt nicht sehen!“ Und zu den Schauern: „Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was täuscht! Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“ Darum, so spricht der Heilige Israels: Weil ihr dieses Wort verwerft und vertraut auf Frevel und Mutwillen und verlasst euch darauf, so soll diese Schuld sein wie ein Riss, der aufbricht und klafft an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt, wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, sodass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herd oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen. Denn so spricht Gott der Herr, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein. Aber ihr habt nicht gewollt und spracht: „Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen“, – darum werdet ihr dahinfliegen, „und auf Rennern wollen wir reiten“, – darum werden euch eure Verfolger überrennen. Denn tausend werden fliehen vor eines Einzigen Drohen, ihr alle vor dem Drohen von fünfen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf dem Berge und wie ein Banner auf dem Hügel.“

Liebe Gemeinde! Bilanz ziehen, Pläne fassen. Das wird heute bei so manchem ein Thema sein. Rückschau aufs alte, Vorschau aufs neue Jahr. Das bietet uns auch unser Gottesdienst an, mit seinen Texten und Liedern. Ich selber wünsche mir einfach, Zusammenhänge und Abläufe zu durchschauen. Wer Einblick haben will braucht Ausblick. Bei unserm Predigttext denke ich an eine Anhöhe, auf der ich stehe. Dabei wird mir etwas vom Reichtum, der Kraft des biblischen Zeugnisses deutlich: Dieses Wort gewährt Ausblick. Wir schauen in eine ferne Zeit. Zuerst entdecke ich etwas Frag-würdiges. Es passt nicht recht in die Landschaft meines Glaubens, mein Bild von Gott. Ich glaube ihn als einen aus Psalm 103: „Barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben.“ Der Prophet hier aber soll die Sünde aufschreiben, dass sie bleibe für immer und ewig. Führt Gott ein ewiges Sündenregister? Hier: „So spricht der Herr: Geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig. Sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne.“ Der Prophet gehorchte und schrieb es auf. Dadurch kennen wir den Text, haben diesen Ausblick. Es ist für uns aufgeschrieben, für alle, die nach Jesaja geboren wurden. Daraus schließe ich: Wenn Gott etwas für die Nachgeborenen aufschreiben lässt, will er die Geschichte seines Volkes nicht beenden. Das konnte Jesaja damals nicht wissen. Er musste die vollständige Katastrophe, den gesellschaftlichen Zusammenbruch miterleben. Wir Heutigen sehen, dass Gott seinem Volk Schlusspunkte setzt, aber kein Ende. So höre ich aus diesem harten Wort einen Ton, der wie „dennoch“ klingt: Schreibe in ein Buch, wie es Leuten ergeht, die nichts von mir wissen wollen und wie ich ihnen dennoch treu bleibe. Jesaja fertigt kein Sündenregister seiner Generation an, sondern hält das  „dennoch“ der Bundestreue Gottes fest. Wir hören heute diese Worte und blicken in längst vergangne Epochen, die Zeit der Ägypter und Assyrer, Pfeil und Bogen, Sklave und Freie. Es sind so nicht unserer Lebenszusammenhänge. Wir betrachten das damalige Leben mit Jesajas Augen: was den Glauben betrifft – ungehorsames Volk. Was das Miteinander angeht – verlogen. Das betrifft Zunge und Ohren, hören und reden. Viel Energie wird in Verdrängungsstrategien investiert, berichtet uns Vers 10: Sie sagen zu ihren Weisen: Gebt uns keine Prognosen, verschließt die Augen, fälscht die Bilanzen. Das soziale Miteinander war vollkommen aus den Fugen geraten. Der Trend bei den Verantwortungsträgern hieß: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Es gab Leute, die gingen auf die Straße und riefen: Wenn ihr so regiert, wird euch Gott zur Verantwortung ziehen. Und wir hören diesen erbosten Ausruf: „Lasst und doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels.“ Sie meinen: Das ist doch der, der uns ständig nötigt, gerecht, sozial und solidarisch zu leben. Bis in Ehe und Familie will er uns reinreden. Den Zehnten sollen wir geben, Sklaven nach 7 Jahren in die Freiheit entlassen und auch noch auszahlen, sie auch nur 6 Tage pro Woche arbeiten lassen usw. Daraus wird nichts und sie schreien: „Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels.“ Jesaja sieht: Da geht kein Ruck, sondern ein Riss durchs Land, quer durch die Gesellschaft. Diese Lebenshaltung ist die Ursache dafür: Lass mich bloß mit Gott in Ruhe! Wo diese letzte Instanz verworfen wird, reißt etwas ein. Die Risse sind erkennbar, wollen aber nicht gesehen werden. Wenn die hohe Mauer, hier Sinnbild für die Gesellschaft, einstürzt, wird es aber allen scheinen, es habe sich plötzlich und unversehens zugetragen, Verse 12 und 13: „Darum spricht der Heilige Israels: Weil ihr dieses Wort verwerft und verlasst euch auf Frevel und Mutwillen und trotzet darauf, so soll eure diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt.“ Das Ende ist sicher, nur nicht der Zeitpunkt. Wenn die Katastrophe einsetzt, wird sie total sein, dann geht nichts mehr, Vers 14: „Wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, so dass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen.“ Bis hierher gleicht das Wort des Jesaja den gesellschaftspolitischen Analysen von heute. Jetzt geht er auf eine neue Ebene, von der Analyse zum Ausweg. Seine Wegweisung ist so einfach, dass jeder in der Lage ist, sich daran zu beteiligen: „So spricht Gott der Herr, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen  würdet ihr stark sein.“ Anhalten und stille sein. Weniger ist mehr. Stille und Sein. Stillesein. Anhalten. Das ist eine der schwersten Forderungen an Menschen und bewiesenermaßen eine der wirksamsten. Die Psychologie beschreibt dieses Phänomen so: der Mensch fürchtet am meisten, was er am dringendsten bräuchte: Stille. Die Begegnung mit dem eignen ICH. Deshalb verordnet der Psychologe Stille, wenn einer zu sich finden will. Der Prophet sagt es tiefer: Um Gottes willen musst du dich finden. Also: Gott ist bei dir. Und willst du ihm begegnen, musst du zu dir, zu deinem wahren ICH finden. Gott wartet auf dich nicht in deinen Erfolgen, deiner Arbeit, deinen Opfern – er wartet auf dich in deiner Schwachheit, Scham, Angst Verlogen- und Verlorenheit. Er ist dort, wo du ihn brauchst. Dort will er dir helfen. Er hilft dir nicht zu einem Lotto-, sondern zu einem Lebensgewinn, gibt dir Liebe. Durch Stillesein, durch ein Rendezvous mit Gott würdet ihr neue Stärke bekommen. Jesaja erkannte, dass der Umgang miteinander kein Füreinander mehr war. Gier prägte das Leben. Gier ist verwilderte Sehnsucht. Menschliches Leben kann gierig entgleisen. Gier sucht Fülle und Tiefe, verliert sich aber auf diesem Weg ins Maßlose. Was einst Sehnsucht war, Erwartungen, Wünsche, Bedürfnisse, akzeptieren keine Grenze mehr. Jesajas Hinweis, aus Stille wächst Stärke, heißt: pflegt eure Sehnsucht wieder. Und sein Hinweis auf Gott: Der Glaube hat diese Aufgabe. So betrachtet ist das Prophetenwort ein seelsorgerlicher Rat: „Durch Stillesein und Vertrauen  würdet ihr stark sein.“ Damals ging es nicht gut aus. Er wurde spöttisch zurückgewiesen. Wir stehen heute Abend an der Schwelle zum neuen Jahr. Was hat uns denn dieses Wort in Aussicht gestellt, welche Einsicht ist uns gekommen? „Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen  würdet ihr stark sein.“ Stille, Stillesein, Vertrauen. Gottvertrauen. Das wird Mut und Glauben erfordern. In Jesu Namen. Amen.

Vorheriger
2. Weihnachtstag
Nächster
Neujahr