JONA – Walfahrtslied eines U-Boot-Propheten

JONA – Walfahrtslied eines U-Boot-Propheten

Hallo,

vor zwei Wochen haben wir begonnen, uns die Geschichte von Jona anzuschauen. Diese Geschichte gehört wohl zu den bekanntesten der Bibel. Das Problem ist nur: Wenn eine Geschichte so bekannt ist, denken wir manchmal gar nicht mehr ernsthaft über sie nach. Aber wie wir bereits das letzte Mal gesehen haben, lohnt es sich, diese Geschichte genauer zu betrachten. Wer mag, darf gerne noch mal in die Predigt vom letzten Lichtblick reinhören.

Aber damit wir für jetzt erst mal wieder alle auf Stand sind, will ich noch mal kurz zusammenfassen, was bisher geschah. Die Geschichte beginnt damit, dass Gott Jona den Auftrag gibt, nach Ninive zu gehen, also zu den verfeindeten und wirklich grausamen Assyrern. Und Gott will dieser Grausamkeit nicht länger zusehen. Und das soll Jona jetzt dort verkünden. Aber Jona hat kein Bock, Angst oder was auch immer. Auf jeden Fall geht er genau in die andere Richtung und schifft sich nach Spanien ein. Gott lässt einen Sturm aufkommen, der das Schiff fast zum Kentern bringt. Letztlich wird Jona als Ursache für den Sturm identifiziert und über Bord geworfen. Und wir waren bei den Seeleuten stehen geblieben, die voller Ehrfurcht anfangen, Gott anzubeten, als daraufhin tatsächlich der Sturm verstummt.

An dieser Stelle beginnt das zweite Kapitel mit den Worten:

1 Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.
(Jona 2,1; LUT)

Ich weiß, man soll Gottes Wort nichts hinzudichten, aber ich möchte euch trotzdem kurz erzählen, wie ich mir den Inhalt dieses Verses vorstelle:

Jona stürzt in die tosenden Wassermassen. Er kämpft sich noch mal an die Oberfläche. Er schnappt nach Luft. Aber seine nassen Kleider ziehen ihn sofort wieder in die Tiefe. Die nächste Welle geht über seinen Kopf hinweg. Es rauscht in seinen Ohren. Er rudert mit Armen und Beinen. Als er das nächste Mal nach Luft schnappt und sich mit seiner Hand über die Augen wischt, um sich umzublicken, sieht er keine Hundert Meter entfernt eine riesige Schwanzflosse ins Meer eintauchen. Da spült ihn auch schon die nächste Welle unter Wasser. Er wird herumgewirbelt, bis er nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Er spürt, wie ihn ein Sog erfasst, gegen den er nicht ankommt. Auf einmal schließt sich die Dunkelheit um ihn. Er stürzt mit den Wassermassen durch einen schwarzen Tunnel. Das Gefühl, das man hat, wenn man fällt, durchfährt seinen Magen. Doch in dem Moment, in dem er denkt: „Das war’s“, finden seine Füße auf einmal wieder Halt, während die Wassermassen um ihn herum abfließen. Seine Knie geben nach, sein Puls rast. Er schnappt nach Luft und… kann atmen. Das Tosen um ihn verstummt. Er hört nur noch, wie Wasser von den lebendigen Wänden seines Untersee-Quartiers tropft. Und er hört das stetige Schlagen eines gigantischen Herzens.

Ich kann euch nicht sagen, wie es wirklich war und wie das funktioniert hat. Da die Bibel eigentlich alle Tiere mit Flossen unter der Kategorie „Fisch“ zusammenfasst, kann es sich auch um einen Wal gehandelt haben. Und da gibt es zumindest Berichte darüber, dass Menschen, die von einem Pottwal verschlungen wurden, darin überleben konnten. Trotzdem werden alle Überlegungen, wie die großen Wunder der Bibel abgelaufen sein könnten, immer  nur Spekulation bleiben. Und sie halten uns darüber hinaus davon ab, über diese Geschichte zu staunen, sie auf uns wirken und zu uns sprechen zu lassen.

Wir sind am absoluten Tiefpunkt der Geschichte angelangt. Zumindest in Höhenmetern gemessen. Jona sinkt im Bauch des Fisches auf die Tiefe. Drei Tage und drei Nächte ist er in diesem Fisch oder Wal oder was auch immer.

An dieser Stelle machen viele Nacherzählungen dieser Geschichte einen Sprung und springen direkt zum letzten Vers dieses Kapitels, wo es heißt:

11 Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.
(Jona 2,11; LUT)

Und ja, auf den ersten Blick scheint da vielleicht nichts vom Handlungsstrang zu fehlen. Jona fällt ins Wasser. Der Fisch verschluckt ihn. Der Fisch spuckt ihn wieder an Land. Die Geschichte geht weiter. Aber das Buch Jona nimmt sich hier fast ein ganzes Kapitel Zeit, diese drei dunkelsten Tage in Jonas Leben zu beleuchten und diese Tauchfahrt an die Oberfläche zu holen. Und das hat seinen Grund. Ich glaube, dass der Inhalt dieses Kapitels eine ganz wichtige Schlüsselrolle für die weitere Geschichte hat. Man kann diese Walfahrt von Jona nicht einfach vorspulen, wie in einem Film.

Wir würden das manchmal gerne. Die dunklen Kapitel unseres Lebens einfach vorspulen. So schnell wie möglich wieder Boden unter die Füße bekommen. Vielleicht gerade ganz aktuell in dieser Zeit. Vielleicht bist du in den letzten Monaten auch irgendwie untergegangen. Und möglicherweise hat sich auch so eine schwere Dunkelheit über dein Leben gelegt, wie sie Jona im Fisch um sich hatte. Und das vielleicht schlimmste an der ganzen Sache: Du fühlst dich damit ganz allein. Alle um dich rum, sind so sehr mit sich selbst und ihrer eigenen Krisenbewältigung beschäftigt, dass sie gar nicht wahrnehmen, wie es dir geht. Ganz egal, in was für Krisen wir stecken. Eins haben sie alle gemeinsam: Wir wollen da einfach so schnell wie möglich wieder raus.

Macher-Typen sagen in solchen Situationen gerne so Sätze wie: „Jede Krise ist auch eine Chance.“ Und die Herausforderung besteht einfach nur darin, sie als solche zu betrachten. Mag sein, dass da was dran ist. Aber wenn dich solche Sätze gerade nicht so motivieren, dann möchte ich dir einfach mal vorlesen, was denn nun im Bauch des Fisches passiert ist:

2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches 3 und sprach: Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. 4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, 5 dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. 6 Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. 7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott! 8 Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem HERRN.
(Jona 2,2-10; LUT)

Das erste Mal in der ganzen Geschichte spricht Jona zu Gott. Ja, nicht nur das, dieses Gebet ist eigentlich ein Psalm, also ein Lied. Das muss man sich mal vorstellen: Da sitzt ein Mann, 1000m unter dem Meer in einem Fisch und fängt an zu singen. Ich glaube ja, das hat auf die Wale so einen Eindruck gemacht, dass die sich seit dieser Begebenheit nur noch so unterhalten.

Ich weiß nicht, wie es dir beim Lesen dieser biblischen Lieder geht. Mich berührt das immer wieder. Da ist ein Mensch in einer Situation, mit der ich mich identifizieren kann. Und dieser Mensch findet Worte, das auszudrücken und vor Gott zu bringen, was auch mich beschäftigt. Und noch mehr, dieser Mensch fasst es in ein Lied, wie er Gott in dieser Situation erlebt hat. Ich möchte noch mal ein paar Zeilen aus Jonas Lied in einer anderen Übersetzung wiederholen:

3 »In meiner Not rief ich zu dir, Herr, und du hast mir geantwortet. Aus der Tiefe der Totenwelt schrie ich zu dir und du hast meinen Hilfeschrei vernommen. 7 Ich sank hinunter bis zu den Fundamenten der Berge und hinter mir schlossen sich die Riegel der Totenwelt. Aber du, Herr, mein Gott, hast mich lebendig aus der Grube gezogen. 8 Als mir die Sinne schwanden, dachte ich an dich und mein Gebet drang zu dir in deinen heiligen Tempel. 10 […] du, Herr, bist mein Retter.«
(Jona 2,3.7.8.10b; GNB)

Wenn wir mitten in der Krise stecken, sind das vielleicht nicht die Worte, die unsere Lebensrealität beschreiben. Aber wir würden uns zumindest wünschen, dass es so wäre. Eigentlich ist es doch genau das, was wir glauben. Und es liegt eine Kraft darin, in Lieder dieser Art einzustimmen, auch und vielleicht gerade dann, wenn das, was wir da singen, noch nicht das ist, was wir erleben. Lobpreis dieser Art ist die musikalische Umsetzung von dem was Paulus später an die Korinther schreibt:

7 Wir leben ja noch in der Zeit des Glaubens, noch nicht in der Zeit des Schauens.
(2.Kor.5,7; GNB)

Und Paulus muss es wissen. Der hat mit seinem Kollegen Silas einfach im Gefängnis angefangen, Gott zu loben. Auch wenn ihre Lage dazu nicht gerade viel Grund hergegeben hat. Es hat eine große Bedeutung, welche Lieder wir in der Krise anstimmen.

Für Jona ist diese Lobpreiszeit im Bauch des Fisches am Tiefpunkt seiner Geschichte die Zeit, in der er die engste Beziehung zu Gott hat. Und er deutet es mit der letzten Zeile seines Liedes auch an, dass er jetzt bereit ist, das zu tun, was Gott ihm aufgetragen hat. Diese Lobpreiszeit markiert einen Wendepunkt in seiner Geschichte.

Nun ist mir beim Betrachten von Jonas Lied aber noch etwas anderes aufgefallen. Nämlich, dass da was nicht stimmt. In Vers 4 steht, dass Gott Jona in die Tiefe geworfen haben soll. Hmm… wenn wir aber noch mal ins erste Kapitel schauen, dann war Jonas Weg in die Tiefe eigentlich seine eigene Entscheidung. Zunächst entscheidet er sich gegen Gottes Willen von Gat-Hefer hinab nach Jaffo zu gehen (Vers 3). Danach steigt er hinab in das Schiff um sich schlafen zu legen (V.6). Und zuletzt macht er den Vorschlag, dass man ihn hinab ins Meer wirft (V.12).

Schon witzig: Jona macht Gott für die erschütternden Zwischenresultate seines eigenen Handelns verantwortlich. Nur gut, dass uns so etwas nicht passiert. Sonst wär’s ja nicht so witzig.

Das Ganze wird in Vers 5 noch verschärft, wo Jona meint, er sei von Gott verstoßen worden. Dabei wollte er ja ausdrücklich vor Gott fliehen. Auch so was könnte uns ja zum Glück nicht passieren.

Aber wenn wir schon dabei sind, Jonas Lied auch mal ein bisschen kritisch zu betrachten, dann können wir auch noch anführen, dass da eigentlich auch noch was fehlt: Jona deutet nämlich mit keiner Zeile seines Liedes an, dass es ihm leid tun würde, Gottes Auftrag missachtet zu haben. Er dankt Gott dafür, dass Gott ihm antwortet. Er drückt sein Vertrauen in seine Rettung aus. Und er sagt auch, dass er tun wird, was er Gott versprochen hat. Aber wäre ein kleines „sorry“ nach der Szene mit dem Sturm nicht mal das mindeste gewesen?

Wir merken bei der Betrachtung des Textes, dass das Bild, das Jona von sich selbst hat, noch immer etwas unscharf ist. Und vielleicht noch tragischer: Auch das Bild, das er von Gott hat, ist noch irgendwie etwas verschoben. Das ist nicht ganz unproblematisch. Schließlich steht dieses Lied von Jona ja so in der Bibel. Und Gott lässt das stehen. Übrigens, genauso wie all die anderen Psalmen, die von Menschen geschrieben wurden, deren Gottesbild genauso unvollständig war.

Was bedeutet das jetzt für die Einschätzung unserer Unterwasser-Lobpreis-Session. Zunächst mal bedeutet es, dass wir auch mit unserem unvollständigen und vielleicht sogar teilweise falschen Bild von Gott anfangen dürfen, ihn anzubeten. Wenn eine lupenreine Theologie die Voraussetzung für echten Lobpreis wäre, sollten wir es vielleicht besser gar nicht erst versuchen. Ich habe vorhin gesagt, dass diese Zeit im Bauch des Fisches für Jona die Zeit war, in der er Gott ganz nah gekommen ist. Und wenn man ein unklares, vielleicht auch verwirrendes Bild von Gott hat, dann kann es doch nichts besseres geben, als diesem Gott ganz nahe zu kommen. Ihn zu betrachten. Und das eigene Bild, das man von Gott hat, in der Begegnung mit ihm selbst korrigieren zu lassen.

Aber wie kann das gehen? Gott anzuschauen? Wo er doch unsichtbar ist? Für Jona bleibt genau das auch den Rest der Geschichte sein Problem. Dass er Gott nicht richtig versteht. Das werden wir uns das übernächste Mal noch genauer anschauen. Aber Gott will uns nicht im Ungewissen lassen über sich selbst. Er ist ein Gott, der sich gerne offenbart. Und die deutlichste und eindrücklichste Offenbarung von Gott ist Jesus. Ein Mensch, den man sehen, hören anfassen und erleben kann. Im Hebräerbrief heißt es über ihn:

3 Die ganze Herrlichkeit Gottes leuchtet in ihm [Jesus] auf; in ihm hat Gott sein innerstes Wesen sichtbar gemacht. […]
(Hebr.1,3; GNB)

Wer Gott anbeten und verstehen will, muss auf Jesus schauen.

Ok, schön und gut, aber wir waren doch eben noch bei Jona. Warum mache ich jetzt noch mal diesen Schwenk zu Jesus? Zum Einen weil Jesus die wichtigste Person der Menschheitsgeschichte ist. Es ist eigentlich nie vergeudete Zeit über Jesus zu nachzudenken. Zum Anderen weil Jesus selbst es ist, der unserer Geschichte heute noch so viel mehr Bedeutung verleiht. Als die Menschen seiner Zeit verstehen wollten, wer er ist, wollten sie ein Wunder von ihm sehen. Und Jesus verweist auf das größte Wunder überhaupt und bringt unseren Jona im Bauch des Fisches als Referenz:

40 So wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte in der Tiefe der Erde verborgen sein.
(Mt.12,40; GNB)

Und auch wenn die Situation, in der Jesus das sagt, sehr angespannt ist, heißt das im Grunde doch: Gott offenbart sich in den dunkelsten Tiefen hin. Dort zeigt er uns, wie er ist. In seiner unfassbaren Liebe, seiner unnachgiebigen Wahrheit und seiner skandalösen Gnade. Wie den Fisch von Jona, wie das Grab von Jesus, so will er auch deine, meine und unsere dunkelste und tiefste Krise gebrauchen, um zu zeigen, wer er ist.

Die Frage ist, ob wir bereit sind, 1000 Meter unter dem Meer anzufangen zu singen.

Amen.

Wenn du die Gedanken aus der Predigt in deinem Hauskreis oder deiner Kleingruppe vertiefen willst, findest du hier das passende Material.

Vorheriger
Eine neue Hoffnung
Nächster
Gebetssonntag

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.