Karfreitag

Karfreitag

Hebr 9,15.26b-28                                                                      Karfreitag – Großgrabe/Oßling, am 30.03.2018

 

„Christus ist der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene Erbe empfangen. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie  den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.“

 

Liebe Karfreitagsgemeinde! Christus ist der Mittler – was stellen wir uns darunter vor? Etwa eine Brücke, die einen Weg über einen tiefen Abgrund spannt. Ist Mittler so etwas wie ein Weg, wo vorher keiner war? Oder ist ein Mittler so etwas wie ein Busfahrer, der durch seine Arbeit, Verantwortung, sein Können Menschen zu einem weit entfernten Ziel bringt? Wer den Fahrpreis nicht bezahlen kann, darf auch mit, auf freier Strecke wird gehalten. Ist ein Mittler so etwas wie ein Organspender? Der gibt Blut, Plasma, eine Niere, um anderen das Leben zu erhalten? Vielleicht versteht ein anderer das geheimnisvolle Wort „Mittler“ durch das Geheimnis einer Rose. Ein Bote überreicht sie als Zeichen brennender Liebe und großer Herzensgüte und sagt nur das Wörtchen: „Komm!“ Eines haben diese Vorstellungen von einem Mittler nicht: es sind keine Todesbilder. Sondern eher Bilder von Lebensmöglichkeiten: die Brücke, ein Weg für mich. Der Busfahrer – einer bringt mich ans Ziel. Der Organspender – er gibt einen Teil seines Lebens, bleibt aber selber am Leben. Die Rose – eine Botschaft von Liebe, Güte und Erwartetsein. „Christus ist der Mittler“ (V. 15) – da schauen wir auf ein Bild des Todes. Auf einen nackten Mann, der ans Kreuz genagelt ist, in Blut und Schweiß. – Als ich im letzten Sommer meine Füße in einem klaren Bach kühlte, sah ich viele glatte Steine. Sie mussten jahrzehnte-, jahrhundertelang von diesem herrlichen Wasser umspült und geglättet worden sein. Ich nahm einen und schlug ihn mit einem größeren entzwei. Dachte – vielleicht ist darin ein schöner Kristall. Ich war verblüfft. Da war kein Diamant, innen war alles trocken. Das Wasser war nie in das Herz des Steines gedrungen. Wie lange sind wir schon umgeben – wie der Stein im Bach – von der Botschaft: Christus ist der Mittler. Und? Wie tief ist das Bild seines Todes in unser Herz gedrungen? Ich äußere diesen Verdacht, weil ich Anzeichen starker Verdrängung sehe. Schaut euch doch mal an, was wir aus dem Tod Christi gemacht haben. Seht ihr einen nackten Mann? Nein, er ist vergoldet. Und bekleidet, ähnlich wie wir am Badestrand. Außerdem haben wir uns daran gewöhnt, an das Kreuz. Es gehört zur Innenausstattung. Aber ist das Kreuz auch die Innenausstattung im Zentrum unseres Herzens? Oder hören wir den Schrei am Kreuz nur so wie der Stein das Sprudeln des Wassers. Wir sind Meister im Verdrängen. Wir verdrängen, dass wir auf ein Bild von Tod und Qual schauen, wenn wir bekennen: Christus ist der Mittler. Es ist unangenehm und peinvoll, diesem Bild im Zentrum der eignen Person, im eignen Herzen, einen Platz einzuräumen. Dann muss ich mir selber ins Gesicht schauen, sehe meinen Schatten, was ich nicht gerne bin: Ich lasse mir nicht gern etwas schenken, das verpflichtet. Wenn einer für mich gar sein Leben lässt, bin ich an ihn gebunden. Wer will das? Wenn Christus für mich sterben musste, dann heißt das auch: Es stand vor Gott um ein Vielfaches schlimmer um mich, als ich glauben wollte und will. Das Verdrängen, die Verharmlosung und Beschönigung des Todes Jesu am Kreuz ist nichts weiter als „Blind-sein-wollen“. Ich erkenne meine eigne Verlorenheit vor Gott in der Tiefe nicht an. Ich brauche Hilfe, ein wenig, das gebe ich zu. Aber vollkommene Rettung? Wie tief die Ablehnung des Kreuzes in uns wurzelt, erkennen wir an vielem – wenn wir´s nur sehen wollen. Eines sei genannt: Unversöhnlichkeit. Wäre das Kreuz mit dem nackten, blutenden Mann tatsächlich in der Mitte unseres Herzens, und würden wir es zu allen unseren Worten und Taten in der Mitte lassen, würden wir uns selbst und unseren Mitmenschen unverzüglich vergeben. Wir würden unsere Kraft einsetzen, damit sich dann auch Versöhnung vollzieht. Aber es geschieht keine unverzügliche Vergebung, sondern eine abwägende. Abwägende Vergebung nennt das Wort Gottes Hochmut. Unverzügliche Vergebung – Liebe. Wer auf das Todesbild des Mittlers schaut, sieht unverzügliche Vergebung, erblickt Liebe. Deshalb: Wer das Kreuz verdrängt, verdrängt die Liebe. Liebe, die sich selbst in den Tod gibt, damit andere, auch du und ich, leben: „Christus ist der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.“ Das Stichwort „Neuer Bund“ lässt uns einen Blick in das Alte Testament werfen. Dort war der „Mittler“ ein Ziegenbock, der „Sündenbock“. Stellvertretend legte ihm der Hohepriester einmal im Jahr die Sünden des Volkes auf. Dann wurde der Bock aus der Stadt hinausgetrieben und starb draußen. Auch ein Todesbild. Es zeigt: Tod und Sünde hängen zusammen. Wo Sünde, da ist auch Tod. Wo keine Sünde, kein Tod. Den Preis für die Sünde hat der Mittler gezahlt: sein Leben. Im Alten Testament war es das schuldig gemachte – unschuldige – Tier. Es konnte die Sünde nicht in Wahrheit bezahlen, da Menschenleben ungleich höher steht. Aber dieses Opfer wies schon auf Jesu Opfer: Sünde kostet Leben. So opferte Jesus seines: „Nun aber, am Ende der Welt ist er ein für allemal erschienen, durch sein eignes Opfer die Sünde aufzuheben.“ Am Preis, der für die Sünde bezahlt wurde, könnten wir – so wir nur wollen – sehen, wie teuer uns die Sünde zu stehen kommt. Nein, nicht uns – Jesus, dem Mittler. – Die Kirche, jeder einzelne Christ lebt seine Erdentage zwischen Karfreitag und Ostersonntag. In der Spannung von Minus und Plus. Zu Karfreitag, dem Minustag, wurden den Menschen die Sünden abgezogen. Karfreitag – die große Subtraktion Gottes. Am Tag der Auferstehung werden wir zu den Erlösten addiert. Aber schon der Minustag Gottes, als Gott alle Schulden auf sein eigenes Konto buchte, war für die Menschheit der große Plustag. Wie wird es erst an Tag der Heimholung der Welt sein? Damit wir nicht in Phantasien schwelgen und das Kreuz wieder vergolden, heißt es hier sehr nüchtern: „Und wie dem Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.“ Man trifft sich im Leben immer zweimal. Ja, auch wir treffen Jesus zweimal. Einmal in Niedrigkeit, Verhüllung und Ohnmacht. So, wie er als Mensch auf der Erde war. Er begegnet uns als Verhüllter im Heiligen Abendmahl, in der Predigt, im Not-Leidenden, als mein Erlöser am Kreuz, in seinem Wort, der Gemeinde, im Gebet … Wer mit den Augen des Glaubens schaut, erblickt Jesus, wenn er nicht weiterkommt, in der Uniform eines Busfahrers. Sieht eine Brücke aus seiner Not, spürt neuen Mut unter Brot und Wein. Jesus will in seiner Verborgenheit und Niedrigkeit geglaubt werden. Wenn er aber wiederkommt, legt er seine Verhüllung ab. Dann werden wir niederfallen vor unserm Schöpfer, dem Herrn aller Herren, dem Sieger über Sünde, Tod und Teufel. Wir werden ihn, die Liebe selber, anbeten und preisen. – Und das Gericht, höre ich die Frage, was ist mit dem Gericht? Ja, hier steht´s, alle müssen vor das Gericht: „Es ist dem Menschen bestimmt einmal zu sterben, danach aber das Gericht.“ (V. 27) Wir werden alle vor dem Kreuz stehen. Das ist das Gericht. Erst dort werden wir Karfreitag ganz begreifen. Erkennen, welche Lasten Jesus trug. Werden die Größe seiner Hingabe und Liebe von Herzen fühlen und begreifen, seine unverbrüchliche Treue. Im Gericht werden uns die Augen aufgehen. Wir werden Jesus sehen – und zu Boden blicken. Dann wird der Engel, der uns ein Leben lang begleitet hat, unser Engel, uns eine Rose in die Hand legen und flüstern: Von Jesus für dich. Komm! Du wirst erwartet! Amen.