Karfreitag

Karfreitag

Mt. 27, 33-50 [51-54]                                                               Karfreitag  – Großgrabe/Oßling, am 19.04.2019

„Als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie Jesus Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er´s schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie ein Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten die Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf die selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Und die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und, die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und, was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“     

 Liebe Gemeinde am Karfreitag! >Das Kreuz – Anwalt der ganzen Wirklichkeit <

Da war es, neulich, am Rande der Straße zur Autobahn – wie ein Blitz streift das Kreuz meinen Blick: darauf ein Name, Blumen. Dieses Kreuz zerreißt den Schleier, den die Hektik und Geschäftigkeit über eine tödliche Wirklichkeit breitet – ein junger Mensch starb da. Und die Frage springt mich an, wie eine wütende, fauchende Katze: gibt es einen Frieden mit dem Leben nach diesem Tod? Das Kreuz entschleiert meine Wohlfühlwelt. Das Kreuz ist das einzig verbliebene Fragezeichen in der Einöde der Spaßgesellschaft, ein Mahnmal in unserer Oberflächen-Kultur. Das Kreuz ist Anwalt der ganzen Wirklichkeit, der einzige Anwalt, der die volle Wahrheit zeigt, wie das Leben ist. So erzählt Matthäus vom Kreuz, von jenem Karfreitag, der das Leid nicht aus der Welt geschafft hat. Das Kreuz schreit die Frage „Warum?“ in die taube Welt, predigt von Gottverlassenheit im Leid, zeigt schonungslos, was der Mensch dem Menschen ist. – >Das Kreuz – Zeichen von Ausgrenzung und Tod <Einer ist schuld. Er muss weg. Dann wird`s besser. Seit Jahrtausenden reagieren Menschen so.  Wer den Stempel „schuldig“ trägt, wird ausgegrenzt. Der Sündenbock wird aus der Gesellschaft ausgestoßen. So führen sie Jesus hinaus vor die Stadt (Hebr. 12, 13), auf den Galgenberg. Wein vermischt mit Galle geben sie ihm zu trinken, „und als er`s schmeckte, wollte er nicht trinken.“ Wein heißt Versuchung, Galle steht für bitteren Hohn. Dann dieses unbestimmte, schillernde „sie“. Wer ist das? „Als sie ihn aber gekreuzigt hatten …“ Wer eigentlich legt Jesus auf´´s Kreuz? Über dieses „sie“ ging ein großer Sturm durch die Generationen. Unzählige, die am Kreuz Jesu ihre eigne Verlorenheit vor Gott erkannten, haben sich zu diesen „sie“ gezählt und bekannt: auch ich habe Jesus ans Kreuz gebracht. „Was ist doch wohl die Ursache solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen; ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet.“ (EG 81, 3) So dichtet Johann Heermann. Andere haben dieses „sie“ als Freispruch für sich und Anklage gegen andere missbraucht. Die Juden – so die Kirche vergangener Epochen – „sie“, die Juden haben den Heiland getötet. Schon hier meldet sich unter der Haut unseres Textes pochend die Frage: Wie stehst du zum Kreuz? >Das Kreuz – kunstlos und knapp<Dazu macht nachdenklich, was Matthäus nichtberichtet. Kein Reporter würde sich diese Chance zu einer dramatischen Berichterstattung entgehen lassen. Kunstlos aber, und knapp, ohne exzessive Leidensschau, ohne Blut und Einzelheiten hören wir von Jesu Hinrichtung. Jesus, nackt am Kreuz, seine Kleider der Henkerslohn. Ein Satz, mehr nicht: „Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.“(Ps. 22, 19) >Das Kreuz – Ziel von Hohn und Spott<Ausführlich dagegen berichtet Matthäus über Hohn und Spott. Keine Barmherzigkeit, niemand klagt, nur Spott. Wer spottet, errichtet eine Distanz, hält Abstand. Da kommen sie, machen einen Karfreitagsspaziergang. Sie gönnen sich die Faszination des Grauens. Und greifen zu einer Art Verachtung mit Ewigkeitsdimension: sie lästern. Nicht nur Gebete, sondern auch Lästerungen schlagen an die Himmelstür. Sie lästern nicht mit wüsten Beschimpfungen, sondern es sind die Anklagepunkte aus der Gerichtsverhandlung vor dem Hohen Rat. Sie spotten, erleichtert im tiefsten, dass sie nicht umdenken müssen, festhalten können an ihrer Lebens- und Glaubenslüge, die darin besteht, dass sie genau wissen, wie Gott ist. Er ist niemals so, wie ihn dieser Nazarener gepredigt hat. Wir haben recht, sonst hätte Gott sein Kreuz nicht zugelassen. Nichts ist schwerer, als Gott anders denken. –  Wieder geschieht etwas Seltsames: was als Spott gemeint ist, tut die Wahrheit kund. Spötter wissen niemals, was sie tun, auch hier nicht. Sie verkünden, wer Jesus ist: „Der du den Tempel abbrichst und baust ihn in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist.“ Tatsächlich ist Jesus Gottes Sohn und der Tempel seines Leibes wird wiederhergestellt, nach drei Tagen. Jetzt die Hohenpriester: „Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er vom Kreuz herab, dann wollen wir an ihn glauben.“Jesus ist tatsächlich von Gott zum König von Israel ernannt. Und weiter schütten sie Galle über ihn. An Gott hat er sich gehängt, und nun lässt Gott ihn hängen und rufen: „Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat, denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ Damit verkünden sie unterm Kreuz die Wahrheit. Ja, Jesus hat Gott vertraut, dieser wird ihn auch erlösen, nach drei Tagen und mit ihm die ganze Welt. Es stimmt auch, es ist Gottes Sohn dort am Kreuz. Ja, an diesem hat Gott Wohlgefallen (Mt. 3, 17). Aber weil das undenkbar ist, ist es auch unglaublich. Nichts ist schwerer, als Gott anders zu denken. Sogar seine Leidgenossen, die beiden Räuber rechts und links am Kreuz, schmähen ihn, stimmen in den Chor der Spötter ein. Sie finden Genugtuung in den Qualen des Unschuldigen zwischen ihnen. Dieser Gerechte, ein guter Mensch, ist eben auch nicht besser dran als sie. Das bestätigt, was sie immer schon wussten: es gibt keine Güte, keinen Gott. >Das Kreuz – die letzte Versuchung<Im Spott findet die Versuchung Jesu durch Satan ihr letztes Stadium. Wie in der Wüste widersteht Jesus auch hier und antwortet nicht mit Machttaten (Mt. 4, 1-11). Er offenbart einen anderen Gott, den mit-leidenden, den gequälten. Jesus schreit. Er stirbt mit einem Schrei. >Das Kreuz – ein Schrei<Zweimal schreit Jesus. Der Schrei ist die Sprache des Kreuzes. Jesus gibt dem Kreuz die Sprache, dem Leid, Schmerz der Gottverlassenheit. Wer die Schreie Jesu hört, muss einfach zweifeln, an Gott und Menschen. Dorthin weist uns Jesu Schrei: Jesus lässt uns an Gott und Menschen zweifeln – an Gott, weil er das zulässt; an Menschen, weil sie so etwas tun. „Eli, eli, lama asabtani?“Dieser Schrei Jesu gibt Grund genug, an Gott zu zweifeln, besser: an unserm Bild von Gott. Und nichts ist schwerer, als Gott anders zu denken. – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“(Ps. 22, 2) So beginnt Psalm 22 im Alten Testament. Jesus schreit nicht seine eignen Worte. Er leiht sich diese Worte wie ein fremdes Kleid und legt es über seine nackte Angst. Haben wir Worte, in die wir uns bergen können? Wenn das Leid die Zunge am Gaumen kleben lässt, die Sinne und Gedanken leer und der Weg vor einem nur ein dunkler Abgrund ist? Kann sich unsre sprachlose Sprache, unsre nackte Ungeborgenheit ein Kleid der Verzweiflung leihen? Jesus birgt seine nachtschwarze Bedrängnis in einem Lied aus Kindertagen, gesungen am Sabbat, gelernt in der Thoraschule. Damals war dieses unverständliche Lied wie ein Umhang am Boden der Kleidertruhe seines Lebens, schwarz und schmucklos. Neugierige Kinderaugen betrachteten es ratlos. Wozu ist das denn da? Man verstand nicht, was man sang. In der Stunde der Qual war es das einzige, was passte. Und so hüllte Jesus, der Zimmermann die nackte Wahrheit seiner Existenz, seinen Schmerz, seine Gottverlassenheit und Todesangst und alle unbeschreiblichen Dunkelheiten, die sein Herz belagerten und zerrissen, in eine Anklage, in eine unbeantwortete Frage an Gott, in ein Lied seiner Kindheit. Jesu` ist die Frage, Gottes ist die Antwort. Seine Frage fand auf Golgatha keine Antwort. Ohne Antwort bleibend schrie er nur noch, nackt, ohne Worte, schrie und verschied. – >Das Kreuz und das Beben<Matthäus berichtet, als Jesus stirbt, von Dingen, die erinnern an Worte der Propheten, wenn sie vom großen „Tag des Herrn“ berichten (Am. 5, 18; Joel 2, 2; 3, 15). Der „Tag des Herrn“ wird dunkel sein. Für uns ist der Tag des Herrn hell, voll guter Botschaft, es ist der Sonnen-, der Sonntag. Hier aber hören wir vom dunklen Bruder des Sonntags, der Tag, an dem Gott Anspruch auf Menschen und Erde erhebt: Jesu Tod war der „Tag des Herrn“: „Und es kam eine Finsternis über das ganze Land … Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und erschienen vielen.“ Und nun wird aus der Passions- eine Bekehrungsgeschichte: „Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“

Das ist die Frage zum Schluss: Welches Beben braucht die Kirche, welches Beben die Gemeinde? Welches Beben brauche ich, dass ich vor dem Kreuz erschrecke und einstimme in das Bekenntnis: Jesus ist Gottes Sohn! Welches Beben braucht es? Amen.