Karfreitag

Karfreitag

Jes. 52, 13 – 15; 53, 1 – 12                                                       Karfreitag – Großgrabe/Oßling, am 02.04.2021

„So spricht der Herr: siehe, meinem Knecht wird´s gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie viele sich über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts verkündigt ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken. Aber: Wer glaubt dem, was verkündigt wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn auch für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war. Und man gab ihn sein Grab bei Gottlosen und Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und für die Übeltäter gebeten.“

Liebe Gemeinde am Karfreitag! Manches ist zu groß für mich, den Mount Everest erklimmen oder durch den Ärmelkanal schwimmen. Manches erscheint mir unlösbar und nur visionäre Träumer wagen sich an einen Beginn: Frieden im Nahen Osten etwa, und Gerechtigkeit für alle. Noch größer, nein fremder, unerreichbarer ist dieser Mann in unserem Predigtwort, genannt der leidende Gottesknecht. Mag sich uns auch der Gedanke aufdrängen: das ist doch Jesus, der für uns gelitten hat, unsere Strafe auf sich genommen. Da mögen wir nicht verkehrt liegen. Ich würde zu dieser Erklärung auch nicken. Aber näher ist er mir dadurch nicht. All` diese Glaubenssätze habe ich im Kopf. Aber im Bauch und Herzen ist es mir fremd und unheimlich, was dieser Knecht Gottes hier tut und wie er`s tut. Mit dem Wissen im Kopf: er nahm unsre Strafe auf sich – mit diesem Satz des Glaubens kann ich mich auch verstecken vor diesem Wort Gottes, es mir erklären und damit bin ich dann fertig. Die Verlockung, euch diese Prophezeiung zu erklären, ist stark. Dem will ich nicht nachgeben, weil ich mit ihm eben noch nicht fertig bin. Wer würde nach fünf Minuten den Kuchen schon aus der Röhre ziehen? Oder Traubensaft als Wein abfüllen? Da muss noch etwas geschehen, mit uns. Wir mögen im Kopf wohl einiges denken, aber fühlen wir bei diesen Worten auch etwas, sind wir in unserm Herzen betroffen und erschüttert? – wie der Kuchen die Hitze nicht will und doch braucht und der Saft ohne rechte Gärung verdirbt, müssen wir uns auch diesem Wort aussetzen. Sonst reift in uns nichts. Zuerst tritt uns in diesem Wort etwas entgegen, das können wir kaum für möglich halten. Der Gott, von dem wir manchmal meinen ihn zu kennen, von dem wir glauben, dass wir ihn glauben, von ihm wird hier gesagt: Gottes Gegenwart ist und zeigt sich bei dem Hässlichen, Unwertesten, Allerverachtetsten, bei Schmerz und Krankheit. Da wird mir Angst und Bange, denn ich suche und glaube die Gegenwart Gottes. Jetzt steht vor meinem Glauben die Frage: Wo will ich Gott und Gemeinschaft mit ihm finden? Hier werde ich mit der rabiaten Antwort konfrontiert: wer Gemeinschaft mit Gott sucht, der findet sie in Unwertem, im Allerverachtetsten, im Schmerz. Das möchte ich nicht. Da fürchte ich mich. Würde ich mir diese Worte im Kopf erklären, eben, dass Jesus dieser Knecht ist, wäre das ja nicht falsch, aber ich würde meine Furcht tarnen und verstecken. Und das ist wohl das Letzte, was Gott von uns will, wenn er uns anspricht. Also lasse ich dieses Wort tun, was es tut. Es hat eine tiefsitzende Furcht in mir angesprochen, berührt: die Furcht vor Verachtung, Schmerz, Krankheit. Und ich habe zugleich bei dieser Berührung sonderbar Tröstliches gespürt und erlauscht: dort ist Gott, bei Schmerz und Verachtung. Tröstlich, sonderbar tröstlich, weil der Gedanke aufglimmt, dass Gott auch in meinem Schmerz ist, dort, wo in den Tiefen meiner Seele Hässliches ist, wo ich mich verachte, nicht annehmen kann, was ich niemandem zeige, weil es für mich unwert ist – dort will Gott sein. Soll ich daraus schließen: Gott hat mich ganz angenommen, vollkommen angenommen, bis in die dunkelste Furcht, in den geheimsten Schmerz. Wenn ich das glauben könnte, würde ich glauben. Ob mein Glaube so weit gereift ist? Dass Gott sich meine Jacke anzieht, meine Verzweiflung überstreift, alles Hässliche in Wort und Tat, meine Armseligkeit und Verbitterung, alle Flüche und alles, wovon man sich nur schaudernd abwenden kann? Dass Gott so ist – nicht Urteil, sondern vollkommene Annahme – wer kann das glauben? Gibt es jemand? So beginnt diese unglaubliche Botschaft von dem Gott, der sich selbst verliert: „Viele entsetzten sich über ihn, weil seine Gestalt hässlicher war als die der anderen Leute.“ Schon nach diesem einen Satz schütteln die Hörer den Kopf. Nicht so einen Gott. Und der Prediger muss die Frage nach dem Glauben stellen: „Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde? Wer würde es für möglich halten, dass die Macht des Herrn sich auf diese Weise offenbart?“ Glauben wir an einen hässlichen Gott? Nein. Glauben wir, dass unser Gott sich für uns hässlich macht? Eher nein. Glauben wir, dass Gott sich mit uns hässlich macht? Dieser Glaube wäre teuer, er würde kosten, mein Bild von Gott, mein Bild von mir und noch manches. Glaube ist teuer. Davon erzählt unser Wort. Und auch von der billigen Sichtweise auf Gott. Der billige Glaube, dass ist dieses beziehungslose Bejahen einer „höheren Macht“, die Gute belohnt und Böse bestraft. Dieser billige Glaube prostituiert die Welt in Schwarz und Weiß, in Gläubige und Ungläubige. Dieser Glaube ist deshalb billig, weil er die Liebe verachtet. Er kann über einen ohnmächtigen Gott, schwach und krank nur sagen: „Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“Dieses Wort rückt mir auf den Pelz. Es fragt: Wie teuer oder billig ist dein Glaube? Suchst du Gottes Liebe im Schwachen oder Starken, in deinen Schwächen oder Stärken, willst du stark werden durch Gott oder schwach? Es ist mir schwer, den zerschlagnen,geschundnen Gott, so, wie er sich uns zeigt, anzuschauen. Es ist, als würde ich dann hören: schau hin, damit du heil wirst. Das bist du vor Gott: „Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachteste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg.“ Das ist meine Wahrheit. Davon habe ich mich innerlich und äußerlich oft abgewandt. Ich wollte nicht wissen, dass ich mich damit von Gott selbst abwandte. Es ist meine Wahrheit, der wahre Zustand meines Glaubens, der hier benannt wird, wie ich im tiefsten zu Gott stehe: „Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ Für manchen unter uns ist es vielleicht leichter, für mich nicht. Ich will nämlich nicht schwach sein, mich tragen, jemand für mich leiden lassen. Das ist mein Widerstand gegen Gott, die Krankheit meines Herzens. Aber auch diese Krankheit trägt er: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.“ Wir haben so festgefügte Bilder von Gott und glauben auch noch daran. Ob wir uns erlösen lassen? In unserm Predigtwort redet einer, bei dem die Erlösung begonnen hat. Er wird erlöst von dem Bild eines starken Siegergottes, der die Bösen und Frevler bestraft. Hässliches, Leid, Krankheit – all` das ist Strafe, Maßnahmen des gerechten Gottes. Und jetzt erlebt einer an dem leidenden Gott die Geburt seines Glaubens. Ihm wird klar: „Wir hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.“ Die Todesstunde unsrer Moral ist die Geburtsstunde unsres Glaubens. Hier stirbt einem sein Bild von Gott und er begegnet Gott selbst. Erstaunt, erschreckt, beglückt ruft er: „Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf das wir Frieden hätten.“ Welche Strafe, welcher Friede? Die Selbstbestrafung und der eigne Unfriede. Die Paradiesgeschichte am Anfang der Bibel erzählt davon: Habenwollen und Angst und sich verstecken. Im Nehmen der Paradiesfrucht, in dem Habenwollen, was einem nicht zusteht, im nicht Akzeptieren des andern, ihm etwas neiden, wegnehmen – darin bestraft sich der Mensch selbst. Indem er raubt, verliert er. Er verliert die Gemeinschaft mit Gott und seinem Nächsten. Und schon ist die Angst da. Wir tragen viele Masken. Wo bist du Mensch, warum versteckst du dich, ruft Gott schon im Paradies. Nur wenn wir zueinander finden und uns finden lassen von Gott, wird Friede, Friede in uns. Das lese ich hier. Mit brennender Reue und doch voll Freude ruft einer, dem gerade der Glauben geboren wird:„Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.“ Wie wahr: auf seinen Weg, auf sein Habenwollen, auf seine Angst sah jeder. Und nun diese Befreiung: „Aber der Herr warf unseren Wahn auf ihn.“ Ich fühle mich von dieser Auseinandersetzung mit diesem Wort etwas erschöpft, getröstet und aufgewühlt. Ich bin verunsichert. Das wird wohl vorerst so bleiben. Aber sprachlos macht mich dieser Gottesknecht, dieser Mann, mit dem sich Gott ganz eins weiß, in ihm lässt Gott sich vor uns sehen. Dass dieser Mann es tut und wie er es tut, das macht mich einigermaßen fassungslos. Um uns Menschenkinder zu uns selbst zu bringen und zurück zu Gott, damit wir wieder sein können, was wir sind, schreckt er vor nichts zurück: „Er litt willig und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird … er ist für die Missetat meines Volkes geplagt, obwohl er niemand Unrecht getan hat …und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen.“ Welcher Plan? Es bleibt nur ein Schluss: der Plan der Liebe. Gott will nicht bestrafen und vernichten, sondern zurückgewinnen. Und so ringt er bis zum Äußersten um seine Geschöpfe, die gefangen sind in Strafe, Angst und Vereinzelung. Er trägt es. Und damit trägt er uns, wie wir sind. Unsere Nöte, Ängste, Sorgen, unsere Dunkelheiten sind nicht das, was sie sind. Sie sind da, aber getragen und aufgehoben. Er hat dich auf der Schulter. Trägt er dich, dann auch alles, was du trägst. Weil er deine Not trägt, ist er dir in deiner Not nahe. Suche ihn in deiner Not, du wirst ihn erblicken, weil er deine Angst trägt, ist er dir nahe in deiner Angst. Suche ihn in deiner Angst, du wirst ihn erblicken. Weil er deinen Tod trägt, ist er dir in deinem Tod nahe. Suche ihn in deinem Tod und du wirst das Leben erblicken. Nichts und niemand kann dir etwas anhaben, um seinetwillen: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Röm. 8, 38.39) Amen.

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