Leid mittragen (Oßling)

Leid mittragen (Oßling)

Jeremia 20, 7-11a (11b-13)                                             Okuli – Oßling, am 24.03.2019

“Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; “Frevel und Gewalt!” muss ich rufen. Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich´s nicht ertragen konnte; ich ware schier vergangen. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: “Schrecken ist um und um! Verklagt ihn! Wir wollen ihn verklagen!” Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: “Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen!” Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden. Und nun, Herr Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen. Singet dem Herrn, rühmet den Herrn, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet.”

Liebe Gemeinde! “Gott ist das Fluchen seiner Heiligen lieber, als das Halleluja der frommen Heuchler.” Originalton Martin Luther. Er schreibt, dass ihm die massiven Gottlosigkeiten Jeremias zum starken Trost wurden. Du bist schuld, Gott! So Jeremia. Er betet Gift und Galle. Würden wir das wagen? Gott alles vor die Füße schmeißen, vor die Himmelstür oder wo wir ihn sonst vermuten: Da hast du den Dreck! Du bist schuld! Mal davon abgesehen, dass wir das bei jeder Beichte machen, ist es die Frage, ob wir nur Worte abgelesen murmeln, oder es wirklich meinen: Du bist schuld, Gott! Dieser Satz hat den Ton einer Anklage, sagt aber zuerst nichts weiter als: Du bist verantwortlich, Gott. (Nur) wer Verantwortung hat, kann auch schuldig werden. Wir würden sicher nicht behaupten, Gott würde keine Verantwortung für die Erde und seine Menschen übernehmen. Also ist er auch mit verstrickt in die Sachen der Menschen. Gott hat so auch eine Bringeschuld. Er sitzt mit im Boot. Jeremia in seiner Ohnmacht, seiner Einsamkeit, seinem Schmerz erinnert Gott daran. Er schleudert sich seinem Gott hin, betet ihm Wut und Verzweiflung ins Gesicht: „Du hast mich verlockt wie ein junges Mädchen, lügenhaft getäuscht und vergewaltigt, Gott, wie ein Ringkämpfer zu Boden geworfen. Darüber lachen alle und verspotten mich täglich. Immer muss ich den Menschen nur ihren Untergang und Tod ankündigen. Dieses, dein Wort, aus meinem Mund, wird im Gerede der Leute zu Hohn und Spott.“  Vertrauen auf Gott ist kein Schönwetterglaube. Heiß oder kalt ist Gott angenehm, beide Seiten hat der Glaube. Jeremias Glaube hat Eiszeit. Frostig betet er. Seine Gedanken sind spitz und hart wie Eisbrocken. Er glaubt, dass sein Gott es ist, der sein Leben so bitter macht: Es ist ja Gott, der mich zwingt zu sagen, was mir Qual bereitet. Vor Menschen könnte man fliehen, wenn sie einem übel wollen, und außer Landes gehen. Aber vor Gott? Versucht hat er´s: „Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich´s nicht ertragen konnte, ich wäre schier vergangen.“ Hier wird einmal mehr deutlich, dass Gottes Wort den menschlichen Wünschen oft entgegenläuft, im doppelten Wortsinn. Es kommt zum Treffen. Jeremia muss reden, der Prophet muss künden. Auch Paulus berichtet, wie sich Gottes Wort gegen ihn durchsetzt und schreibt: „Die Verkündigung ist mir als Zwang auferlegt; wehe mir, ich predige das Evangelium nicht.“ (1Kor 9,16). Jeremia sieht: nicht seine Gegner, sondern Gott selbst ist die Ursache seiner Qual. Und damit ist er nahe an der Wahrheit. Genauso verzerrt die Vorstellung von Gott ist, er wäre der Chef der Weltsündensparkasse und führe Strichlisten über Minus und Plus, genauso falsch ist die Illusion, die Nähe Gottes bringe nur Glück und Frieden. Niemals. Keiner kommt unverletzt aus einer Begegnung mit Gott. Je näher einem Gott ist, desto schwerer der Weg. Wir sehen das an den Glaubensvätern der Bibel und am deutlichsten an dem, der die größte Nähe zu Gott lebte: Der Zimmermann aus Nazareth. Die Nähe, in die Jeremia von Gott gezogen wird, lässt sein Leben eine einzige Zerreißprobe sein. Du, Jeremia, beruft ihn Gott, bist mein Künder. Ich will nicht, sagt der, und Gott dazu: Quatsch nicht, ich sende dich, aus und Schluss! Du muss das, was ich von meinem Volk an Betrug, Heuchelei, Missachtung und Bosheit erdulden muss, mit deiner Person allen vor Augen führen. Du bist der Träger meines Wortes. Und weil mein Wort mit Füßen getreten und im Gefängnis gehalten wird,  erhältst du Tritte und wirst in den Block gelegt. Wirst du bespeit, wisse – so spuckt mein Volk auf meine Liebe. Wirst du in Schlamm und Jauche geworfen, dann wisse, so ist mein Wort aus Reinheit und Licht in den Gestank und die Verwesung der Sünde gestiegen. Wirst du gebunden, wisse – sie versuchen mein Wort zu binden durch Halbwahrheiten und Frommtun. Fragt man dich um Rat, werden sie doch nicht auf dich hören, denn sie halten sich – mit meinem Wort – die Ohren zu. Droht man dir mit dem Tod, dann fühle meine Angst, dass mein Volk mich totkriegen will … So zieht Jeremia seine Lebensspur, einsam durch die Nähe Gottes. Er trägt an Gottes Leid mit. Das ist seine unverlierbare Würde. Verachtet in seinem Leben, war er doch ein Großer seiner Zeit. Und seine Worte bewegen Menschen und Zeiten bis heute. Glaube, hören wir heute, ist Anteil nehmen, Anteil nehmen an Gott. Wer Anteil nimmt ist nahe. Nähe zu Gott nähert sich auch dem Leiden Gottes. Darauf liegt, besonders in der Passionszeit, das Augenmerk, dass wir den Leidenweg Jesu verinnerlichen. Die Augen sollen uns aufgehen, mit welcher Hingabe sich Gott in die Sache der Menschen eingemischt hat. Das Leiden Jesu, sein Kreuz, ist der Schlüssel zum Herzen Gottes. Im Leiden Jesu erkennen wir unser Heil. Wir sind erlöst durch Jesu Leiden und Sterben. Das geschah für uns. Im Leiden Jesu erkennen wir zugleich einen Teil  unserer Bestimmung: Das Leid nicht ausklammern, sondern mittragen. Amen.