Liebes Tagebuch…

Liebes Tagebuch…

1Tim 1, 12-17                           3. Sonntag nach Trinitatis – Oßling/Großgrabe, am 28.06.2020

„Ich danke unserm Herrn Jesus Christus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit. Amen!“

Liebes Tagebuch! So, liebe Gemeinde, beginnt mancher seine sehr persönlichen Aufzeichnungen. Unser Predigttext ist ein in die Öffentlichkeit gelangter und weit verbreiteter Auszug aus dem Tagebuch des Paulus. Titel etwa: Vom Brandstifter zum Brandmeister. Das erste, was seltsam klingt, ist seine harte und offne Selbsteinschätzung, wenn er sagt: „…ich war früher ein Lästerer, Verfolger und Frevler.“ Das ist deshalb verwunderlich, weil es aus dem Blickwinkel seiner Zeitgenossen ganz und gar nicht so war: er war ein sehr frommer Mann, hielt sich absolut an die Gesetze Gottes und der Religion, war vorbildlich im Gebet und Besuch des Gottesdienstes – ein Musterbeispiel in der jüdischen Gemeinde, ein tadelloser Mann, in Glaube und Moral. Paulus selbst lebte in der völligen Sicherheit, dass genau das vor Gott zählt. Dann berichtet er von einer, nein der Wende. Vor Damaskus zeigt sich ihm der von den Toten auferstandene Jesus. Im Licht dieser Begegnung sieht er: alles war falsch. Ich meinte, mit Gott im Reinen zu sein auf Grund meiner Lebensführung. Ein fataler Irrtum. Ich verließ mich auf das Urteil anderer, wie ich vor Gott dastehe: sie bescheinigten mir: fromm, untadelig, vorbildhaft. Auch an anderen Stellen schreibt Paulus davon, wie er sich mit Erschrecken, ja Ekel von dem Bild, was er sich von Gott gebastelt hat, abwendet: als wäre Gott einer, den man mit Geld, Frommsein, Gebeten, guten und besseren Taten kaufen, bestechen könnte, damit man ins Paradies eingelassen wird, den Himmel erbt. Wie anmaßend und unangemessen eine solche Haltung Gott ggü. ist, zeigt allein schon ein Blick auf unser Erbrecht. Selbst, wenn wir die tadellosesten Menschen wären, Mutter Theresa in den Schatten stellten durch unser Gutsein – wir wären deshalb nicht qualifiziert, unseren verstorbenen Nachbarn oder Bill Gates oder sonst wen zu beerben. So ein Anspruch unsererseits wäre null und nichtig, wir würden vielleicht sogar auf Zurechnungsfähigkeit untersucht. Nur Kinder und Leute, die im Testament erwähnt werden, erben. Das Erbe des ewigen Lebens erhält also keiner durch sein Gutsein, er ist entweder Gottes Kind oder im Testament erwähnt, namentlich. Warum denken wir in so einem, vor Gott lächerlichen, Muster: die Guten und guten Taten muss Gott belohnen, mit dem ewigen Leben? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Da ist alles wichtig, was eben mit Leistung zu tun hat: Schönheit, Kraft, Erfolg, Geld, Gesundheit, und, und. Zugleich leiden wir an der Kälte, die dadurch existiert. Denn wir sind Wesen mit Herz, Beziehungswesen. Qualitätvoll, lebenswert werden unsere Tage in Wahrheit aber durch Freundschaft, Respekt, Selbstlosigkeit, Würde des Einzelnen – eben Liebe. Und Liebe ist Beziehung. Das wurde Paulus schlaglichtartig klar. Glaube an Gott ist Beziehung zu Gott, nicht Tadellosigkeit. Mit Erschrecken sieht er auf sein Leben: Ich glaubte (er denkt an seine Polizeitätigkeit bei der Verfolgung der Christen, die er mit betrieb), für Gott zu kämpfen, glaubte, seinen Willen zu kennen, und war ohne Beziehung zu ihm, ein Sünder. Die Lebenswende bei Paulus ist nicht eine Umkehr von Gottlosigkeit, von moralisch verwerflichem Leben – sie ist das große Fragezeichen an eine makellose Frömmigkeit. Damit haben Menschen, nicht zuletzt Christen aller Zeiten, große Verstehensprobleme. Ist es Gott denn nicht wichtig, dass die Menschen nach seinen Geboten leben? Ist Gebet, Gottesdienst, Gutes tun – nein, es ist Gott nicht wichtig. Spätestens hier meldet sich stärkster Protest. Deshalb muss genauer gesagt werden: es ist Gott nicht zuerst wichtig. Was dann? Da Jesus uns auffordert nicht „Gott“, sondern „Vater“ zu sagen, wird etwas mehr Klarheit. Was ist denn Vater und Mutter wichtig: gehorsame Kinder, ja. Gute Zensuren in der Schule, ja. Dass sie einen guten Weg gehen, lernen, ihre Talente entfalten, fleißig und ordentlich sind, den Eltern keine Schande machen, ja – aber nicht zuerst. Eltern, die ihre Kinder lieben, ist zuerst und zuletzt die Liebe wichtig, die Beziehung. Wer Kinder hat, will nicht zuerst, dass seine Kinder ordentliche Menschen werden, sondern ihre Freunde. Was ist den los in einer Familie, wenn alles „ordentlich“ läuft, aber Eltern und ihre erwachsenen Kinder haben sich entfremdet? Paulus erkennt sich in einer vollkommnen Entfremdung von Gott, an den er meint zu glauben. Er wollte alles richtig machen, Gott seine Leistungen bringen, aber Gott wollte mehr, sein Herz. Paulus suchte den Weg in den Himmel, Frieden mit Gott, aus eigner Anstrengung und ihm wurde gesagt: das ist nicht möglich. Was menschliche Leistung Gott ggü. vermag, macht ein Vergleich deutlich. Nehmen wir an, einer will nach Amerika. Er kündigt es an, steht dabei am Atlantischen Ozean, springt mit Badehose ins Wasser und krault, selbstbewusst auf seine Schwimmkünste vertrauend, in die Weiten hinaus. Was würden wir wahrscheinlich tun – die Küstenwache alarmieren, bald würde ein Rettungsboot starten. Genau das hat der Vater im Himmel getan. Damit wir „hinüber“ kommen, hat er ein Schiff bereitgestellt, damit wir Hafen, Heimat und Bestimmung unseres Lebens erreichen. Er hat Jesus Christus auf diese Erde geschickt, hier von Paulus so formuliert: „Fest und wahr ist das Wort und wert, dass alle Welt es hört: Jesus Christus kam in die Welt, uns gottferne Menschen von Tod und Unheil zu retten.“ Sünder, gottfern ist der Mensch ohne Jesus Christus. Sünder ist, wer von sich glaubt, ich schaffe das mit mir und Gott, geb mir die größte Mühe. Gerettet ist nur, wer in das Schiff steigt. Das ist eine Glaubensentscheidung, ein Glaubensschritt. Auf das Schiff verlassen, das will Gott, auf Jesus vertrauen. Das beginnt so, dass ich dem Vater im Himmel mein Vertrauen ausspreche und bekenne: Ich glaube, dass Jesus Christus, am Kreuz für mich gestorben und von den Toten auferstanden, mein Herr ist. Er hat mich erlöst von Tod und Sünde und mich so zu seinem Kind gemacht. Wenn du so glaubst, bist du gerettet, im Bild vom Schiff – dann bist du zugestiegen. Als Paulus das erkennt, da weiß er, ich bin angekommen, habe Frieden mit Gott. Allen wird die sichere Überfahrt angeboten. Und Paulus versteht auch für sich – im Bild vom Schiff –  dass es viel Arbeit gibt, vielleicht Deck schrubben, Essen kochen und vor allem Rettungsarbeit: den vielen Schwimmern, die immer noch meinen, aus eigner Kraft heilig und gut genug für den Himmel zu sein, den Rettungsring zuzuwerfen: lass dich retten aus deiner Vergeblichkeit, komm zu Jesus. Paulus sieht – wie tröstlich für uns – jeder ist von Gott geliebt, jeder darf kommen: Menschen mit einer Vergangenheit, Versager sind höchst willkommen, Menschen, mit leeren Herzen und Händen und kleinen Glauben. Das macht Mut. Wir leben durch Jesus nicht aus uns selbst, sonder aus Gottes Liebe, sie trägt uns, wie das Schiff den Passagier. Es gibt für Gott keine hoffnungslosen Fälle. Er liebt Durchgefallne, Außenseiter und schenkt, jedem der kommt Würde und Wert. Über solche Liebe kommt Paulus ins Staunen, und wir dürfen mit einstimmen, und ruft erleichtert und dankbar: „Ihm aber, dem König über alle Welten und Zeiten, dem Unvergänglichen, unsichtbaren, einen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit über alle Zeiten der Welt hin und in Ewigkeit.“ Amen.

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