Mit Gottes Gnade, Liebe und Barmherzigkeit rechnen

Mit Gottes Gnade, Liebe und Barmherzigkeit rechnen

Lk 18, 9-14                                                    12. Sonntag nach Trinitatis – Großgrabe, 30.08.2020

„Jesus sagte zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an deine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

Liebe Gemeinde! Ich wünschte, ich wäre wie der Pharisäer. Der ist nicht nur ein anständiger Mann, eine Respektsperson, der lässt sich auch seinen Glauben etwas kosten. Der schwimmt nicht mit der Masse im Strom. Seine Hingabe, sein Krafteinsatz, Gott zu dienen, seine Ehrfurcht vor den Geboten, ist beeindruckend. So möchte ich sein. – Ich wünschte, ich wäre nicht wie der Pharisäer, weil: für ihn sind andere als schwarzer Hintergrund für seine weiße Weste gerade gut genug. Ja, er hat sich nichts vorzuwerfen. Aber das weiß er auch ganz genau. Er schaut auf andere herab. So möchte ich nicht sein. – Was Jesus erzählt, irritiert die Zuhörer. Da wird alles auf den Kopf gestellt: der eine bringt große finanzielle und persönliche Opfer und kommt schlecht weg. Der andere, der seine Mitmenschen betrogen hat und bereut, wird einfach freigesprochen. Neben dem Inhalt irritiert auch die Form der Geschichte. Sie kommt so leicht daher und ist doch unheimlich angriffslustig. Da ist einerseits diese eigenartige Distanz – denn Jesus gibt uns eindeutig die Zuschauerrolle. Aber irgendwie kann man nicht unbeteiligt bleiben. Dieses Gleichnis rückt einem auf den Leib, so, als würden sich die Schauspieler unter die Zuschauer begeben. Man wird genötigt Stellung zu beziehen. Es ist, als würde uns das Erzählte anschauen und fragen: Und? Und?? Deshalb, weil der Text nicht locker lässt, habe ich gleich zu Anfang eine persönliche Antwort versucht. Ihr habt ja gehört, wie halbfertig und schillernd sie geklungen hat. Wie gesagt, ich bin etwas irritiert. Einerseits erscheint der Pharisäer wie eine Leitfigur des Gottvertrauens und zugleich wie das ganze Gegenteil. Beim Zöllner ist es genauso: einerseits möchte ich nicht so sein wie er. Er ist verzweifelt und hat allen Grund dazu. Er betreibt ein halbbetrügerisches Gewerbe. In der Ansehensskala liegt er ganz unten. Und doch wünscht sich der Zuhörer, es möge ihm ergehen wie dem Zöllner, von dem Jesus sagt: er wurde von Gott freigesprochen. Die Irritation, die Jesus auslöst, wird auch noch vom einleitenden Satz verstärkt: „Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten fromm zu sein, dies Gleichnis.“ Schon hier muss der Hörer Stellung beziehen. Entweder sagt er: hier bin ich nicht gemeint, denn ich maße mir nicht an, fromm zu sein und schaue nicht auf andere herab, es betrifft mich nicht. Ein leiser Zweifel bleibt bei dieser Entscheidung. – Andere mögen selbstkritisch erkennen: na ja, manchmal maße ich mir Dinge an, die mir nicht zustehen. Und dass ich nie auf andere herabschaue, kann ich auch nicht sagen. Diese Rede Jesu betrifft mich. – Vielleicht gehören wir zu den Selbstkritischen. Jedenfalls haben wir im Zuschauerraum Platz genommen und sehen: da gehen zwei in den Tempel um zu beten. Mehr haben sie aber dann auch nicht gemeinsam. Der eine ist mit Gott fertig: er legt ihm sein Arbeitsergebnis vor, sehr detailliert. Der andere fängt mit Gott an. Auch die Länge der Gebete ist bezeichnend. Der Zöllner stammelt fünf Worte, der Pharisäer scheint nicht zum Ende zu kommen. Da stehen sie nun vor uns auf der Bühne: das strahlende Vorbild und der Gescheiterte, der Tadellose und der Sünder. Es berührt mich, dass Jesus kein Interesse hat, die Frage zu beantworten: Worin bestehen denn nun die Sünden des Zöllners. Keine Details, nichts. Gott will den Menschen vor anderen Menschen nicht beschämen. Liebe deckt zu, schützt, schweigt. Aber der Mensch, der „Bessere“, der Tadellose, in dem steckt der große Moralist. Er kreist um seine Guttaten und zieht dabei über die anderen richtig vom Leder: „O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die anderen Leute – Spitzbuben, Betrüger, Ehebrecher oder wie der da. Ich faste zweimal die Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ Der Pharisäer wusste um den lasterhaften Lebensstil seiner Mitmenschen. Er durchschaute auch die Vergangenheit dieses Zöllners. Der steht gebeugt und stumm weit hinten. Aber statt Anteilnahme und Fürbitte hat der Fromme nur Verurteilung in sich. Gotteserkenntnis und Menschenverachtung können ganz dicht beieinander liegen. Glaube hat seine Gefährdungen. Die Glaubensbeziehung zu Gott wird getrübt und verdunkelt, wo immer sich einer selbstgerecht über andere stellt. Wer sich von Gott zwar beschenkt weiß, aber nicht als bedürftig wahrnimmt, beginnt sich zu überheben. Diese Haltung spiegelt der Pharisäer: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Die Sünden anderer benennt er sehr drastisch, für die eigenen ist er blind. Das Gebet des Zöllners ist mehr als knapp. Aber seine Reue wird ausführlich beschrieben. Er hat begriffen, dass es Gott ernst mit ihm ist. Und es vor Gott ernst um ihm steht, dass Gott nicht sein Kumpel ist. So hält er Distanz. Respekt vor Gott wird hier so beschrieben: „Der Zöllner aber stand ferne.“ Jetzt seine Selbsterkenntnis: Gott, vor dir bin ich ein Sünder. Einer, der Gnade braucht und nicht verdient. Mein Leben steht im krassen Widerspruch zur Liebe Gottes. Er schämt sich: „Er wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel.“ Weil er so verzweifelt ist über sich selbst. Die Folgen seines Lügens und Betrügens kann er nicht ungeschehen machen. Er weiß auch nicht, wie er aus dem Schlamassel seines Lebens rauskommt und ahnt sicher, dass er nicht plötzlich ein guter Mensch sein kann. – Wie groß ist die Kraft wirklich, die ein Mensch hat, ein anderer zu werden? Kann ein Mensch sich wirklich ändern? Der Zöllner sieht seine Sünden und ihm wird übel. Noch übler wird ihm, wenn er an morgen denkt. Auch das wird kein sündenfreier Tag. Was bin ich bloß für ein mieser Schwächling, der heute Gott um Vergebung bittet und weiß, dass er morgen wieder sündigen wird. Der Prophet Jeremia sagt über die Persönlichkeitsstruktur des Menschen treffend: „Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding, wer kann es ergründen?“ (Jer 17,9) Ja, so sieht´s aus mit uns Menschen: was Gott anbetrifft trotzig: Ich brauch dich nicht unbedingt, Gott, und ich tu deinen Willen, wenn er mit meinem übereinstimmt. Kommen aber Nöte, Ängste, Krankheit, da ist die Verzagtheit und das Jammern groß. Der Zöllner sieht hellsichtig etwas von diesem Trotz, dieser Angst. Es stößt ihm bitter auf, dass sich an diesem Herzen nichts ändern wird. Da schlägt und schlägt er verzweifelt auf dieses trotzige und verzagte Ding ein. So heißt es hier: „Er schlug sich an seine Brust.“Und als er darauf schlägt, kommt ein Ton aus dieser Finsternis und Armut, ein Ton, der bis zum Himmel dringt und Gottes Herz bewegt. Da steigt aus diesem dunklen Abgrund ein winziges Röcheln, ein großartiges Gebet: „Gott!“ Das ist der Urlaut des Geschöpfs. „Gott! Sei mir Sünder gnädig!“ Je tiefer der Mensch sich als Sünder begreift, desto tiefer greift er nach Gottes Barmherzigkeit. Wer aber meint, er bräuchte nur etwas Besserung für ein paar Fehler, wird Gottes Barmherzigkeit verfehlen. Gott ist kein Fassadenverschönerer. Wer Gott aus der Tiefe seines Herzens um Gnade bittet, dem wird in die Tiefen seines Wesens Barmherzigkeit eingegossen. Barmherzigkeit wirkt immer befreiend, wie hier erzählt: „Der Zöllner ging befreit in sein Haus.“ Dabei bleibt offen, ob dies allein Jesu Urteil ist, oder sich in der Erfahrung des Zöllners ausdrückt. Wir wissen nicht, ob er erleichtert, erfreut oder genauso bedrückt ging, wie er kam. Das ändert aber nichts daran, dass er vor Gott gerecht, frei gesprochen wurde. Nicht das Gefühl der Erleichterung ist ein Zeichen von Gottes Gnade, sondern allein seine Zusage: „Wer bittet, dem wird gegeben.“ (Mt 7,8) Es bleibt auch offen, ob sich im Leben der beiden etwas geändert hat, weil es um heute geht. Gott ist jetzt voller Gnade, Liebe und Barmherzigkeit. Rechne damit. Jetzt! Amen.

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